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ATHEN/ Griechisches Nationaltheater/Theater Rex: EINE WEIHNACHTSGESCHICHTE von Charles Dickens

Vom Geizhals zum Weihnachtsmann

22.12.2018 | Allgemein, Theater

Griechisches Nationaltheater, im Theater Rex, Athen

Eine Weihnachtsgeschichte

Besuchte Vorstellung am 21. Dezember 2018

Vom Geizhals zum Weihnachtsmann

Charles Dickens‘ Erzaehlung „Eine Weihnachtsgeschichte“ (A Christmas Carol) gehoert zu den Klassikern der englischen Literatur. Mit Ebenezer Scrooge hat der Schriftsteller eine Figur erschaffen, die gleichsam paradigmatisch die ruecksichtslose Seite des Kapitalismus verkoerpert (aber auch deren Veraenderbarkeit). Die Erzaehlung ist darum auch weit mehr als nur eine Bekehrungsgeschichte im weihnachtlichen Gewand, sie weist vielmehr deutliche gesellschaftskritische Aspekte auf, mit denen Dickens Missstaende im England des 19. Jahrhunderts beschreibt und anprangert. In den Wochen des Jahreswechsels bieten gleich mehrere Athener Buehnen dramatische Fassungen der „Weihnachtsgeschichte“ an. Das Griechische Nationaltheater setzt das Alt und Jung anziehende Stueck auf die grosse Buehne des Theaters Rex, was sich gerade fuer das Buehnenbild von einigem Vorteil erweist.

Der Regisseur Yannis Moschos greift fuer seine Inszenierung auf eine Adaption von Jack Thome zurueck, welche von Giorgos Depastas ins Griechische uebertragen wurde. Diese Fassung erzaehlt die Handlung fluessig, mit klarem Fokus auf die Hauptfigur und starken szenischen Akzenten. Moschos setzt die Geschichte gekonnt auf die von Tina Tzoka gestalte Drehbuehne, die vor dem Betrachter zwei Haeuser und einen Kirchturm ausbreitet. In diesem anmutigen, eine Stadtsilhouette markierenden Buehnenbild vermag der Regisseur Dickens‘ Erzaehlung mit raschen Szenenwechseln abwechslungsreich ueber die Rampe zu bringen. Stilsicher bewegt sich das Geschehen im England des 19. Jahrhunderts, phantsievoll werden die drei Geister in den Raum gesetzt. Die Auffuehrung hat Charme und Witz, behaelt aber dabei durchaus seine gesellschaftskritische Botschaft. Das Bemuehen von Moschos, die „Weihnachtsgeschichte“ fuer unterschiedliche Altersschichten zugaenglich zu machen, wird von dem Komponisten Thodoris Ikonomou und dem Songtexter Stavros Stavrou sehr erfolgreich unterstuetzt. Gesprochene wie gesungene Worte treffen den rechten Ton. Das Lichtdesign von Lefteris Pavlopoulos und die Bewegungschoreografie von Zoe Hadjiantoniou tragen zum literarisch-musikalischen Spass bei, den die Auffuehrung fraglos bietet. Moschos gelingt eine bildstarke, unbiedere Inszenierung, die sich der Sprache des Autors stets verbunden weiss.

Das rund zwanzigkoepfige Ensemble beweist grosse Verwandlungsfaehigkeit und zeigt sich aeusserst spielfreudig. Alexandros Mylonas als Ebenezer Scrooge ist, ganz wie es sich gehoert, das unbestrittene Zentrum der Auffuehrung. Mit grosser Buehnenpraesenz macht er die Wandlung vom Geizhals zum ‚Weihnachtsmann‘ – oder besser zum grosszuegig Schenkenden – anschaulich. Um ihn herum tummelt sich ein sehr gut ausgewaehltes Ensemble: Aliki Alexandraki als alte Belle, Kostas Vasardanis als Bob Cratchit, Stella Antipa als Martha Cratchit, Alexandros Vamvoukos als Fred, Vasilis Papadimitriou als junger Scrooge, Paris Thomopoulos als Scrooges Vater, Laertis Malkotsis als Erzaehler, Eleni Boukli als junge Belle, Christos Stergioglou als Jacob Marley, Evangelia Karakatsani, Christina Maxouri und Panagiotis Panagopoulos als Geister sowie Ariadni Kavalierou und Zoe Mylona in wechselnden Rollen. Weiterhin bringt die Auffuehrung vier Choristen und die Theatermusiker Thodoris Ikonomou und Giannis Angelopoulos auf die Buehne. Alle Beteiligten tragen zum Drive des Geschehens bei, welchem nie die Naehe zum Dickenschen Sprachduktus und die Wortverstaendlichkeit verloren geht. Am Ende der mehr als zweieinhalbstuendigen Auffuehrung entlaesst die Produktion ein heiter gestimmtes und begeistertes Publikum auf den Heimweg. Gut moeglich, dass der eine oder andere noch laenger ueber Dickens‘ Weihnachtsbotschaft nachdenkt.

Ingo Starz

 

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