Griechisches Nationaltheater Athen / Freilufttheater der Dramaschule
Euripides: Hippolytos
Besuchte Vorstellung am 24. August 2018
Umherirrende Göttin mit Kamera
Copyright: Griechisches Nationaltheater
Das antike Theater von Epidauros ist nicht nur ein wunderbarer und authentischer Ort, um griechische Tragödien und Komödien zu erleben. Es ist auch der Platz, wo die Pflege des antiken Theatererbes am intensivsten betrieben wird. Es ist klar, dass es dabei auch ums Bewahren, um das Fortführen bestimmter Traditionen geht. Damit einher gehen spezifische Publikumserwartungen. Wie bringt man frischen Wind an diesen Ort, wenn man nicht ein ausländischer Regietheaterexponent ist? Katerina Evangelatou ist die Leiterin des Athens Epidaurus Festival und eine erfolgreiche Regisseurin. Sie stand schon in jungen Jahren auf der Bühne von Epidauros, als ihr Vater Euripides‘ „Medea“ inszenierte. Sie nahm sich auf Einladung des Griechischen Nationaltheaters „Hippolytos“ desselben Autors in Epidauros vor – eine Produktion, die nun im Grossraum Athen zu sehen ist. Findet Evangelatou einen von der Tradition abweichenden, gegenwartsbezogenen Zugang zum Werk?
Copyright: Griechisches Nationaltheater
Es ist eine seltsame Geschichte, die uns Euripides erzählt. Im Zentrum steht der Jüngling Hippolytos, illegitimer Sohn des attischen Königs Theseus. Er liebt die Natur und dient Artemis, während er der körperlichen Liebe abgeneigt ist. Dies erzürnt Aphrodite, welche Hippolytos‘ Stiefmutter Phädra in Liebe zu diesem verfallen lässt. Das Unheil nimmt seinen Lauf, Phädra nimmt sich nach einer Begegnung mit Hippolytos das Leben, der Jüngling verliert selbiges durch Zutun der Götter. Was hat es mit diesen beiden Göttinnen auf sich? Katerina Evangelatous Inszenierung setzt hier an, indem sie Aphrodite und Artemis in einer Figur zusammenführt – was durchaus in antiker Tradition steht. Als Resultat sehen wir auf der Bühne eine beinahe omnipräsente Göttin, die neben ihrem Text mit einer Kamera versehen ist. Sie setzt Dinge in Gang, beobachtet und greift ein. Die hybride Göttin als Umherirrende mit Kamera verkörpert menschliche Triebkräfte. Ihre Linse zoomt auf symbolische Gesten und entscheidende Handlungsmomente (Videodesign: Pantelis Makkas). Der Live-Film wird auf einen Korpus projeziert, der in eine idyllisch anmutende Landschaft mit Bach eingebettet ist (Bühnenbild: Eva Manidaki). Der szenische Ablauf, die Auftritte der Chöre (Frauen und Jäger), die Auftritte und Abgänge folgen der Tradition. Doch schon das Sprechen der Figuren klingt wohltuend gegenwärtig. Und mit der Göttin Aphrodite/Artemis, die in ihrer etwas puppenhaften Aufmachung an Lulu erinnert, kommt tatsächliches etwas verstörend Modernes auf die Bühne. Diese Figur schafft aussergewöhnliche performative Momente. Katerina Evangelatou gelingt es, Tradition und Gegenwart in ihrer Inszenierung von „Hippolytos“ auf überzeugende Weise zusammenzuführen.
Alle Beteiligten fügen sich sehr gut in das interessante Regiekonzept ein. Besonders hervorzubeben sind das seltsam-anmutige Spiel von Elena Topalidou als Aphrodite/Artemis und die ungestüm-lebendige Darstellung des Hippolytos durch Orestis Chalkias. In weiteren Rollen überzeugen Kora Karvouni als Phädra, Giannis Tsortekis als Theseus, Diamantis Adamantidis als Diener, Dimitris Papanikolaou als Bote und Maria Skoula als Amme. Die vier beteiligten Musiker sorgen instrumental und elektronisch für den richtigen, atmosphärisch dichten Sound, den Alexandros-Drakos Ktistakis verantwortet. Euripides‘ „Hippolytos“ kommt in einer sorgfältig gearbeiteten, anregenden Inszenierung zur Aufführung.
Das Publikum zeigt sich sehr angetan von der Produktion und spendet am Schluss starken Beifall.
Ingo Starz (Athen)