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ATHEN/ Griechisches Nationaltheater/Experimentelle Buehne: DER UNTERGANG DES EGOISTEN JOHANN FLATZER. Fragment von Berthold Brecht

Verfremdet, verspielt und vertan

14.01.2019 | Allgemein, Theater


Foto-Copyright: Karol Jarek

Griechisches Nationaltheater, Experimentelle Buehne, Athen

Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer. Besuchte Auffuehrung am 13. Januar 2019

Verfremdet, verspielt und vertan

Bertolt Brechts Fragment „Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer“, das in der zweiten Haelfte der 1920er Jahre entstand und rund 500 Buchseiten umfasst, gehoert zu den zentralen Texten des Autors. Heiner Mueller hat eine Buehnenfassung erarbeitet, die 1978 am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg zur Auffuehrung kam. Seitdem hat es viele weitere Theaterproduktionen gegeben, die versucht haben, das von Brecht verhandelte Scheitern der Revolutionstraeume von 1917/18 szenisch zu erfassen.

Die Geschichte von den vier Deserteuren Fatzer, Koch, Kaumann und Buesching handelt von Widerstreit zwischen Individuum und Kollektiv (resp. Gesellschaft) und der Frage, wie mit den menschlichen Primaerbeduerfnissen wie Essen und Sex in einer Extremsituation umzugehen ist. Brechts Text erzaehlt so nicht nur vom soldatischen Tod und der Moeglichkeit, eine neue Ordnung zu schaffen, sondern auch von fleischlichen Dingen und Begierden, welche sich beinahe leitmotivisch durch das Werk ziehen. Fatzers egoistisches Handeln und seine sexuelle Potenz, welche den anderen drei Soldaten abzugehen scheinen, fuehren zur Entfremdung und schliesslich der Toetung der Hauptfigur. Wie Brecht bei der Arbeit an „Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer“ ueber Jahre hin mit unterschiedlichem Textmaterial operierte, der daraus resultierende Korpus stellt nach wie vor eine faszinierende Lektuere dar. Und das Fragment gebliebene Werk bietet reichlich Stoff fuer Regisseure.


Foto-Copyright: Karol Jarek

Simos Kakalas hat sich nun auf der Experimentellen Buehne des Athener Nationaltheaters des Brechtschen Fragments angenommen. Eleni Varopoulou liefert die Uebersetzung ins Griechische dazu. In der Ausstattung von Kenny MacLellan, welche die Figuren immer wieder gleich einer Probensituation um einen grossen Tisch herum gruppiert, baut Kakalas mit einfachen Mitteln die Szenen. Der Regisseur ist zugleich auch der Spielfuehrer, der die Szenen ankuendigt, Erlaeuterungen zu Brecht und seiner Zeit gibt sowie Diskussionen zwischen den Beteiligten entfacht. Das Brechtsche Theatermodell hat es ihm angetan und so fuehrt er dem Publikum im Lauf der rund zweistuendigen Auffuehrung unzaehlige Formen der Verfremdung vor. Dabei kommen auch Masken und Gasmasken zum Einsatz, wobei letztere durchaus mehr Sinn machen. Das ungemein spielerische Element der Inszenierung, das Probenhafte oder Ausprobierenwollen der Szene hat durchaus seinen Reiz und passt zur fragmentarischen Textgestalt von „Fatzer“. So recht zu fassen bekommt Kakalas den revolutionaeren Geist des Werks jedoch nicht. Dafuer bleibt die Szenenfolge dann doch entschieden zu nur erheiternd und simpel. Grosse Fragen tun sich an diesem Abend kaum auf. Und die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts wirkt zu sehr heruntergebrochen auf die Ebene eines baukastenartigen Spiels ueber das, was das Brechtsche Theater auszeichnet. Man koennte die der Formenvielfalt huldigende Inszenierung, die von griechischer Musik bis hin zu einer Schwanensee-Reminiszenz mancherlei bietet, denn auch mit Brecht fuer Anfaenger untertiteln – mindestens wurde die Chance vertan, einen aktuellen Gedankenanstoss zur Frage zu geben, wie man eine Gesellschaft veraendern kann (oder eben nicht).

Das Auftreten von Simos Kakalas‘ Truppe hat etwas Sympathisches an sich, die Darsteller bleiben aber leider eher blass. Dies gilt fuer Michalis Valasoglou, der den Fatzer verkoerpert, so gut wie fuer alle seine Mitstreiter auf der Buehne: Nikos Gialelis, Konstantinos Moraitis, Manos Petrakis, Hara Kotsali und Felice Topi. Die Musik von Giannis Angelakos und der Sound von Coti K. tragen zur Geschlossenheit der Auffuehrung bei, die vielleicht angesichts des Brechtschen Fragments auch ein Problem darstellt. Die physische Praesenz der Darsteller sollte staerker sein, deren Sprechen pointierter daherkommen, um dem Abend das Ringen Brechts um den revolutionaeren Geist einpraegen zu koennen. So sieht man, was man als Brechtleser und -zuschauer schon weiss. Wesentliche Fragen bleiben aussen vor, Kakalas hat verfremdet, verspielt und vertan.

Ingo Starz

 

 

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