Foto: Greek National Opera
Greek National Opera, Athen: Die Wachspuppe von Tasos Rosopoulos
Besuchte Vorstellung am 17. Maerz 2019
Der Klang von gestern
Die Alternative Buehne der Griechischen Nationaloper greift bei ihren Bemuehungen, neue Werke auf die Buehne zu bringen, gerne auf klassische Stoffe zurueck. Nach einer wenig ueberzeugenden Opernfassung von Ibsens „Hedda Gabler“ findet sich nun die Oper „Die Wachspuppe“ im Programm, die auf der gleichnamigen Novelle von Konstantinos Christomanos (1867-1911) basiert. Der 1911 veroeffentlichte Text traegt die literarischen Spuren seiner Zeit. Der Autor, welcher etliche Jahre in Wien lebte, erzaehlt eine Geschichte, die die Naehe zum Wiener Fin de siecle und zum Symbolismus im allgemeinen spueren laesst. Im Zentrum von Christomanos‘ Erzaehlung steht die todkranke Verginia, die mit dem Handwerker Nikos verheiratet ist. Als die junge Liolia als Dienstmaedchen ins Haus kommt, bahnt sich schon bald eine Affaere mit dem Ehemann an. Im Zeichen des Athener Karnevals kommen die beiden sich naeher, im folgenden Fruehling verfallen sie in Liebe zueinander. Unmittelbar daraufhin stirbt Verginia. Der Weg ist somit frei fuer das Liebespaar, das bald danach heiratet und ein Kind bekommt. Das wachsfarbene Gesicht des kranken Babys erinnert die Nachbarn an die verstorbene Tote. Als Liolia mit dem Kind das Grab Verginias aufsucht, um dort Vergebung zu finden, fuehrt das zu dessen raschem Tod. Und das Sterben setzt sich fort: Nikos kommt im Streit mit dem Rivalen Mimis um, Liolia stirbt an seinem Totenbett. Angesichts der vielen Toten, die Christomanos‘ Novelle aufweist, koennte man von einem geradezu perfekten Opernstoff sprechen.
Foto: Greek National Opera
Dem Librettisten Yannis Svolos ist es leider nicht gelungen, das Personal der Geschichte sinnvoll zusammenzustreichen und die drei Hauptfiguren naeher zu beleuchten. Er bringt vielmehr den Schriftsteller als zusaetzliche Figur auf die Buehne und macht die zahlreichen Nebenfiguren zu einer Art von antikem Chor. Das traegt durchaus nicht zur dramatischen Intensivierung des Geschehens bei, sondern produziert einige Laengen. Man bekommt den Eindruck, dass das Ganze mehr als Schauspiel mit Musik denn als zeitgenoessisches Musiktheater gedacht ist. Die Musik von Tasos Rosopoulos vermag an diesem Eindruck wenig zu aendern. Seine Komposition bringt ein musikalisches Deklamieren auf die Buehne, das melodische Boegen nicht scheut und dabei wenig Akzentuierungen aufweist. Der Gesang klingt – gemessen an dem, was man auf westeuropaeischen Buehnen zu hoeren bekommt – nicht eben zeitgenoessisch. Progressiv ist Rosopoulos‘ Zugriff jedenfalls nicht, was sich auch beim Orchestersatz offenbart, der mittels Akkordeon und Gitarre Elemente traditioneller griechischer Musik miteinschliesst. Vom genannten Volkston abgesehen, entwickelt das Orchester kaum Eigenleben. Es begleitet die Saenger und illustriert das Geschehen. Der Musik von Tasos Rosopoulos gelingt es nicht, atmosphaerische Klangraeume zu schaffen und innere Bilder zu evozieren.
Das von Simos Kakalas auf die Buehne gebrachte Werk, praesentiert sich ein wenig symbolhaft – Karnevalsmasken, die mit dem wachsfarbenen, Tod verheissenden Gesicht Verginias korrelieren – und im Gewand der Entstehungszeit (Buehnenbild: Kenny McLellan / Kostueme: Claire Bracewell). Die Ablaeufe sind konventionell arrangiert, die Figuren gewinnen dabei kaum Tiefenschaerfe. Wenn die Saengerinnen und Saenger nicht solistisch im Einsatz sind, sitzen sie am Buehnenrand, wo sie immer wieder als Chor zu hoeren sind. Das Ergon Ensemble unter der Leitung von Nicolas Vassiliou entledigt sich seiner Aufgabe aufs Beste. Freilich haette man dem in zeitgenoessischer Musik erfahrenen Kollektiv eine bessere Komposition gewuenscht. Zu einer intensiven saengerischen Gestaltung dringt lediglich Theodora Baka als Verginia vor. Ihr wohlklingender, sicher gefuehrter Mezzosopran setzt die Hoehepunkte des Abends. Yannis Kalyvas als Nikos, Stelina Apostolopoulou als Liolia, Dionisos Tsantinis als Mimis und alle weiteren Beteiligten bieten gute Leistungen (wenn sie die Moeglichkeit erhalten, laengere Momente saengerisch zu gestalten). Die Saenger und Musiker lassen einen freilich nicht die mindere Qualitaet des Werks vergessen.
Am Schluss gibt es herzlichen Applaus und einzelne Bravorufe fuer das Ensemble.
Ingo Starz