Greek National Opera, Athen: Aschenbrödel . Premiere vom 24. April 2015, weitere Vorstellungen bis 30. April
Ein Wiener Märchen im Walzertakt
Copyright: Greek National Opera
Die Werke von Johann Strauss (Sohn) gehören bis heute zum Repertoire der Musiktheater. Seine Operetten „Die Fledermaus“ und „Der Zigeunerbaron“ erscheinen regelmässig in den Spielplänen, das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker sendet via Fernsehen und Radio seine Tanz- und Marschmusik in alle Welt. Zu wenig Bekanntheit gelangte hingegen sein unvollendet gebliebenes Ballett „Aschenbrödel“. Beim Tod des Komponisten waren der 1. und Teile des 3. Akts fertiggestellt. Josef Bayer kam die Aufgabe zu, die Partitur zu vollenden. Da Gustav Mahler das Ergebnis nicht befriedigte, verweigerte er zunächst die Aufführung in Wien. So kam eine überarbeitete Fassung des Balletts am 2. Mai 1901 im Königlichen Opernhaus zu Berlin zur Uraufführung. Die Wiener Erstaufführung fand 1908 an der Wiener Hofoper statt. Ebendort stellte der damalige Ballettdirektor Renato Zanella seine Fassung von „Aschenbrödel“ 1999 vor, hundert Jahre nach dem Tod des Komponisten. Das Publikum bedachte die Produktion mit zwanzigminütigem Applaus, die Presse fiel sehr positiv aus: „Mit der Neufassung des (…) Johann Strauss-Balletts ´Aschenbrödel´ ist Renato Zanella eine spritzige Tanzkomödie voller Überraschungsmomente gelungen“ (Der Standard).
Der Italiener Zanella erhielt seine tänzerische Ausbildung in Verona und Cannes. Nach einem ersten Engagement bei Heinz Spoerli in Basel kam er an das renommierte Stuttgarter Ballett. Dort lernte er die modernen Klassiker und das zeitgenössische Repertoire kennen – von Cranko und Bejart bis Neumeier und Forsythe. Die dortige Pflege des Handlungsballetts, das von John Cranko in den 60er und frühen 70er Jahren so furios wiederbelebt wurde, dürfte Spuren bei Zanella hinterlassen haben. 1989 begann er seine Karriere als Choreograf in Stuttgart, wo er bald zum ständigen Choreografen ernannt wurde. Die Wiener Staatsoper holte ihn 1995 auf den Posten des Ballettdirektors. Während seiner zehnjährigen Amtszeit verantwortete er 40 eigene Choreografien. Eine internationale Tätigkeit sowie ab 2009 Operninszenierungen folgten. Seit September 2011 leitet Renato Zanella das Nationalballett in Athen. Hier bringt er nun wieder Strauss´ „Aschenbrödel“ auf die Bühne. Wie in Wien steht ihm der Modeschöpfer Christian Lacroix als Kostüm- und Bühnenbildner zur Seite. Die Menge und Vielfalt der prächtigen Kostüme und die detailreichen Prospekte, die ein farbiges Bild des alten Wiens auf die Bühne zaubern, beeindrucken auch das Athener Publikum in der Alexandra Trianti Hall des Musikzentrums Megaron Mousikis, wo die Nationaloper mit dieser aufwendigen Produktion zu Gast ist.
Am Kern des Märchens hat Zanella nichts verändert, er hat die Handlung jedoch in das Wien des (schätzungsweise) früheren 20. Jahrhunderts verlegt und die Figuren in der Modewelt angesiedelt. Aschenbrödel heisst nun Grete und arbeitet im Modesalon ihrer Stiefmutter Madame Leontine. Auf einem Silvesterball begegnet sie dem Modemacher Gustav, der sich in sie verliebt. Ihre Stiefschwestern bändeln indessen mit Gustavs Brüdern an. Eine bedeutsame Hinzufügung des Choreografen ist die Figur des Johann Strauss, der wiedererstanden auf einer Wolke vom Himmel herabfährt und die Geschicke Gretes lenkt. Sein Erscheinen ist von einem berühmten musikalischen Zitat begleitet: dem Walzer „An der schönen blauen Donau“. Diese Melodie und der „Klipp-Klapp“ Galopp sind die einzigen musikalischen Hinzufügungen zur Originalpartitur, die vom Orchester der Oper unter Leitung von Elias Voudouris kompetent und schwungvoll interpretiert wird. Renato Zanellas Fassung des Balletts zeichnet sich durch erfrischenden Witz und grossen Detailreichtum aus, wobei sich letzteres besonders in der Ballszene des 2. und der Modenschau des 3. Akts zeigt. Gleichwohl muss man feststellen, dass die Dramaturgie des letzten Akts Schwächen aufweist und sich die Handlung nach der Pause etwas in die Länge zieht: Die relativ lange Traumszene Gretes bräuchte vermutlich Tänzer von internationalem Rang um einen als Zuschauer mehr in den Bann zu schlagen.
Die Solisten und das Corps des Ballet der Griechischen Nationaloper bieten gute und überzeugende Leistungen, können aber natürlich nicht mit der tänzerischen Qualität des Wiener Staatsopernballetts verglichen werden. In Technik und Gestaltungsvermögen sind die Tänzerinnen und Tänzer der Athener Produktion begrenzt, nutzen ihre Möglichkeiten aber in bester Weise. Nadia Muzyca hat als Gast die Rolle der Grete übernommen und weiss diese mit viel Anmut und Charme in Szene zu setzen. Im Pas de deux der Traumszene des 3. Akts läuft sie zu Hochform auf, was auch ihren Partner Danilo Zeka als Gustav beflügelt, der zuvor in Ausdruck und Bewegungen etwas gehemmt wirkte. Aleksandar Neskov gibt einen eleganten, charismatischen Johann Strauss (Sohn). Vom Publikum zu Recht gefeiert wird Stratos Papanoussis, der eine hinreissende Madame Leontine auf die Bühne bringt. Da sitzt wirklich jede Geste, so dass sich Witz und Boshaftigkeit in wunderbarer Weise in der Figurenzeichnung verbinden. Vanessa Kourkoulou und Popi Sakellaropoulou sind die neidischen Schwestern Fanchon und Yvette, Agapios Agapiadis und Anton Koruti ihre übermütigen Liebhaber Franz und Josef. Das Quartett macht seine Sache tadellos, wobei die beiden Herren ein wenig Zeit brauchen, um sprungtechnisch in die Gänge zu kommen. Für die „klassische“ Balletteinlage in Zanellas Tanzkomödie sorgen formschön Natasha Siouta als Signorina Cerrini und Igor Siadzko als Signor Querra. Viorel Berinde verleiht Monsieur Arnaud, dem Arbeitgeber Gustavs, gravitätische Würde.
Mit seiner Choreografie „Aschenbrödel“ hat Renato Zanella seinem Athener Ballett dankbare Aufgaben zugewiesen und es gleichzeitig sehr gefordert. Das Ergebnis ist ein bemerkenswerter, abwechslungsreicher Ballettabend auf beachtlichem Niveau. Das Publikum dankte mit starkem Beifall und Bravorufen.
Ingo Starz