Athens Epidaurus Festival, Peiraios 260
National Fashion Show
Besuchte Vorstellung am 28. Juni 2021
National Fashion Show. Copyright: Michalis Kloukinas
Wer einmal Athen besucht und die Wachen vor dem Parlamentsgebäude betrachtet hat, der kennt die Fustanella. Der weisse, gefaltete Männerrock entzückt die Besucher der Stadt und gemahnt die Griechen an die heroischen Taten der Revolution, welche vor 200 Jahren begann und zur Gründung des modernen griechischen Staates führte. Die Fustanella gehört in gewisser Weise wie Acropolis, Staatsflagge und Ouzo zur griechischen Identität. Doch was hat es eigentlich mit diesem Rock auf sich, wo kam er her, wer trug und trägt ihn? Der Regisseur Pantelis Flatsousis hat eine umfangreiche Recherche zu diesem Kleidungsstück und dessen Kontexten in den vergangenen zwei Jahrhunderten unternommen. Das Resultat ist eine National Fashion Show, welche nun im Rahmen des Athens Epidaurus Festival präsentiert wird.
Flatsousis blickt von der Zukunft des Jahres 2121 her zurück auf das nationale Symbol – einer Zukunft, in der die Nationen einem weltüberspannenden digitalen Empire gewichen sind. Ein Gegenstand wie die Fustanella ist nurmehr ein Museumsstück, etwas für Nostalgiker. Mit dieser zeitlichen Distanzierung beginnt der kritische Blick, der sich auf einer wilden Reise durch die Geschichte fortsetzt. Die National Fashion Show zeigt etwa, wie sehr Otto, der erste, aus Bayern stammende König, zur Verbreitung und Anerkennung des Rocks beitrugs, sie zeigt, wie nationale Identität im 19. Jahrhundert geformt wurde. Sie weist auch darauf hin, wie die Fustanella im 20. Jahrhundert vom faschistischen Metaxas-Regime und der Militärjunta instrumentalisiert wurde. Bei alledem gelingt es dem Regisseur und seinem Team eindrücklich, aus der Geschichte eines Kleidungsstücks eine Geschichte des modernen Griechenland zu machen. Dabei werden in einem kritisch gefärbten Catwalk Erzählungen unterschiedlichster Personen zusammengeführt. Aus der Vergangenheit spricht immer auch die Gegenwart (und Zukunft). Die Komplexität und Diversity des Geschehens beeindruckt – und beide Aspekte sind in der Fustanella begründet. Den Männerrock teilen sich nämlich etliche Ethnien im Balkanraum. Den Abend leitet darum auch die Frage: Was macht griechische Identität aus und wie wirkt sie sich auf unsere heutige und eine zukünftige Gesellschaft aus?
National Fashion Show. Copyright: Michalis Kloukinas
Trotz gewisser Längen zieht einen die National Fashion Show in ihren Bann. Sie versteht es nicht nur die beteiligten Akteure zu bekleiden, sondern auch und gerade deren innere Verfasstheit nach aussen treten zu lassen. Die zu Tage tretenden Identitäten der Performer prägen die Erzählung des Abends. Das Gelingen der Show liegt ferner nicht unwesentlich an der ausgezeichneten Teamarbeit. Das Ensemble zeigt eine diverse Community, befreit von simplen ethnischen Zuweisungen und tradierten Geschlechterrollen: Houssain Amiri, Yilmaz Housmen, George Kritharas, Deborah Odong, Fotini Papachristopoulou, Themis Theocharoglou und Enias Tsamatis. Bühnenraum und Kostüme von Konstantinos Zamanis bieten eine grossartige Basis für eine lustvoll-kritische Betrachtung modernen Griechentums. Gelungen sind auch Musik (Jan Van de Engel), Video-Editing (Marios Gampierakis and Chrysoula Korovesi) und Lichtdesign (Eliza Alexandropoulou). Pantelis Flatsousis ist ein wichtiger Beitrag zu den Feierlichkeiten 1821-2021 gelungen. Es wären mehr solcher kritischen Interventionen vonnöten.
Das Publikum dankte allen Beteiligten mit starkem Beifall.
Ingo Starz (Athen)