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ATHEN/ Athens & Epidauros Festival, Peiraios 260: CHRYSIPPOS von Dimitris Dimitriadis

04.06.2019 | Allgemein, Theater

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Athens & Epidauros Festival, Peiraios 260: Chrysippos

Besuchte Vorstellung am 3. Juni 2019

Das Fortleben der Mythen ist in der griechischen Gegenwartsliteratur allenthalben zu entdecken. Das Stück „Chrysippos“ des renommierten Dramatikers Dimitris Dimitriadis, das im Jahr 2008 entstand und nun am Athens & Epidauros Festival gezeigt wird, nimmt auf eine weniger bekannte mythische Figur Bezug. Chrysippos, Sohn des Pelops, wurde im Wagenlenken unterrichtet von Laios, der sich in den überaus schönen Jüngling verliebte und diesen schliesslich entführte. Pelops verfluchte daraufhin Laios, er solle niemals einen Sohn zeugen bzw. falls doch, solle dieser ihn töten. Letzteres trat später ein: Ödipus erschlug seinen Vater Laios. Chrysippos wurde von Pelops befreit und bald darauf von seiner Stiefmutter Hippodameia ermordet. Das ist in Kürze die Geschichte des wegen seiner Schönheit begehrten und umschwärmten Jünglings. Die Anziehungskraft, welche Chrysippos auf seine Umgebung ausübt, ist es, die Dimitris Dimitriadis zu seinem Stück anregte. Und vielleicht stand auch Pasolinis Film „Teorema“ Pate, der ein ähnliches Sujet verhandelt. Bei Dimitriadis wie Pasolini steht ein schöner junger Mann im Zentrum des Geschehens, der von den ihn umgebenden Menschen heftig begehrt wird.

Der Regisseur Thanos Samaras, der auch das Bühnenbild, die Animationen und das Lichtdesign konzipierte, zeigt in einem klinisch weiss anmutenden Hausaufbau in drei längeren Szenen, was vollkommene Schönheit und Begehren bei Menschen auslösen können. Das Ganze präsentiert sich als Laboratorium, in dem bezeichnenderweise das Objekt der Begierde eine lebensgrosse Stoffpuppe ist, also etwas, das von der umgebenden Menschenwelt deutlich abweicht. Als Animation wird in der ersten Szene der stark ausgeprägte Geschlechtstrieb von Chrysippos sichtbar: Wenn die Darsteller den kubusförmigen, über zwei Treppen erreichbaren Aufbau der Bühnenarchitektur betreten, verschwinden sie hinter einer Wand, welche dann als Screen dient und den Zuschauern animiert-abstrakte Sexszenen zeigt. Eine originelle, interessante Lösung ist das. Geht es zu Beginn besonders um die Beziehung der Mutter zum Sohn und darum, wie sie gleichsam als Zuhälterin agiert und Chrysippos an Männer weiterreicht, weitet sich das Betrachtungsfeld nachfolgend aus. Man sieht in der zweiten Szene ein Paar, einander überdrüssig geworden, das den Jüngling als neue Kraftquelle entdeckt hat. Die Eheleute streiten um diesen und letztlich um die Grundfesten ihrer Beziehung. In der letzten Szene kommt man schliesslich ins familiäre Umfeld Chrysippos‘ zurück. Das Begehren ist in Dimitriadis „Chrysippos“ die Triebfeder aller, die vollkommene Schönheit des männlichen Leibes das Objekt der Begierde und zugleich der Moment, vor dem sich die Umgebung ihrer Unvollkommenheit bewusst wird. Die Inszenierung von Thanos Samaras bleibt bedauerlicherweise zu sehr eine sauber geordnete Versuchsanordnung, als dass das Geschehen grössere Anteilnahme beim Publikum auslösen könnte. Man bleibt den ganzen Abend auf merkwürdiger Distanz. Dies mag allerdings auch dem Text von Dimitriadis zuzuschreiben sein, der zwischen Realität und absurdem Spiel unterschiedliche Tonlagen anschlägt. Vielleicht hätte es eines Regisseurs wie Giorgos Lanthimos bedurft, um dieser Gemengelage wirklich Herr zu werden.

Da Samaras den Aktionsradius seiner Darstellerinnen und Darsteller klein hält, wirkt die Aufführung desöfteren etwas blutleer und starr. Gleichwohl können Rania Oikonomidou als Chrysippos‘ Mutter im ersten Bild sowie Thanasis Dovris und Sofia Kokkali als Ehepaar im zweiten Bild stärkere schauspielerische Akzente setzen. Neben den genannten sind es Michael Tampakakis, Nikolas Michas, Giannis Siamsiaris, Angeliki Stellatou und Nikos Karathanos, die um den schönen Jüngling kreisen. Thanos Samaras bewegt selber die Stoffpuppe über die Bühne. Es ist kein grosser Theaterabend, aber doch einer, der einige schöne Gedanken bereithält.

Das Publikum spendet anerkennenden Beifall.

Ingo Starz

 

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