Olympia Städtisches Musiktheater „Maria Callas“
Anagoor: Mephistopheles / Rivelazione / L’italiano è ladro
Gastspielreihe vom 26. bis 28. April 2023
Aufklärung durch Kunst
Foto: Anagoor
Das Städtische Musiktheater in Athen setzte seine, von der Italienischen Botschaft und dem Istituto Italiano grosszügig geförderte Reihe „Viva Italia“ fort. Im Februar standen zwei anregende Tanzabende auf dem Programm, nun bestritt das im Veneto angesiedelte Theaterkollektiv Anagoor drei Abende mit unterschiedlichen Produktionen. Die Gruppe hat sich in Italien und darüber hinaus mit seinen performativen Recherchen einen Namen gemacht. In jüngster Zeit arbeiteten und arbeiten die Italiener regelmässig am Mülheimer Theater in der Ruhr. Anagoor, als dessen Leitfigur man wohl Simone Derai bezeichnen darf, wechselt in seiner Theaterarbeit gerne die Medien und greift auf bestehende Kunstwerke oder -formen zurück, um in der Auseinandersetzung mit diesen aktuelle Fragestellungen und Probleme zu verhandeln. Die Befragung ästhetischer Positionen verbindet sich dabei leichterhand mit dokumentarischen Praktiken.
Die Performance „Mephistopheles“ bringt filmischen Bilderstrom und elektronischen Sound zusammen. Auf der Bühne befinden sich eine Leinwand und der Musiker Mauro Martinuz am Live-Set. Das Werk ist von Johann Wolfgang von Goethe inspiriert, der sich kurz vor seinem Tod nochmals der Lektüre seines „Faust“ zuwandte, wie eingeblendeter Text bemerkt. Der Titel „Mephistopheles“ steht darum für Abenteuer und Versuchungen des Lebens, für dessen vielgestaltige Realität. Die Bilderspur führt vom Altenheim ins Archäologische Museum von Olympia und über Orte des Glaubens ins Schlachthaus. Die mythische Grundierung der Performance verändert den Betrachterblick und macht das Unabänderliche des Lebenszyklus‘ manifest. Selbst ohne direkten „Faust“-Bezug machen die Bilder und ihr Klangraum ersichtlich, was unsere Gesellschaft „im Innersten zusammenhält“.
Foto: Anagoor
In „Rivelazione“ wird der Betrachter mit Bildfragmenten konfrontiert, zu denen ein Erzähler tritt. In sieben Meditationen findet eine Annäherung an den Italienischen Renaissancekünstler Giorgione statt. Die Art der Performance des Schauspielers Marco Menegoni, welche nur Leinwand und Mikrophon benötigt, entzieht sich einer simplen Benennung. Mal ähnelt das Gesagte einer Lecture-Performance, ein anderes Mal einem literarischen Sprechakt. Und einmal ist es nur der Klang eines Gewitters, der uns Giorgione’s gleichnamiges Gemälde näher bringt. Anagoor erweitert durch kluge Beobachtungen und eine auf dem überlieferten Wissen basierende Narration unseren Blick auf den Maler. Die performativen Meditationen führen von Vasari direkt in unsere Gegenwart, entfalten spielerisch eine ästhetische und analytische Metaebene.
Die am dritten und letzten Abend präsentierte Performance „L’italiano è ladro“ bringt drei Akteure auf die Bühne: Luca Altavilla, Marco Menegoni und Lisa Gasparotto. Sessel und Standmikrophone sowie ein Porträt Pier Paolo Pasolinis an der rückwärtigen Wand bilden die Szene. Liefert Gasparotto Informationen zum gleichnamigen Poem von Pier Paolo Pasolini, so ist es an den Herren, in Sprechakten die Dichtung zu vermitteln. Die Performance ist auf das Sprechen konzentriert, was einem nicht-italienischen einiges abverlangt. Die Präsentationsform macht aber Sinn, da Pasolinis Dichtung gerade davon handelt: vom Sein der Sprache, von deren ästhetischer und politischer Gestalt.
Der Pasolini-Abend beschloss ein sehr interessantes Gastspiel, das verschiedene Facetten der Arbeit von Anagoor zu zeigen vermochte. Das Olympia-Theater hat, was sich bestätigte, leider nicht das rechte Publikum für derart zeitgenössisches Theater. Man hätte Anagoor mehr Zuschauer und mehr Diskussion gewünscht. Das Theater sei in jedem Fall für dieses bemerkenswerte Engagement gelobt.
Ingo Starz (Athen)