ASCHAFFENBURG: DIE SCHÖNE GALATHÉE von FRANZ VON SUPPÉ – Gastspiel des Theaters HOF
2.11. 2022 (Werner Häußner)
So ist das mit den bezaubernd schönen Bildnissen: So lange sie in Stein gemeißelt da stehen, sind sie für ihren Schöpfer wunderhübsch anzuschauen. Doch geraten sie in die Dynamik des Lebens, zerspringt das Ideal. Franz von Suppé, der unterschätzte Verfertiger melodienseliger Operetten, hat dem erhabenen Mythos über eine zum Leben erweckten Statue einige scharfe Beobachtungen über seine Zeit beigemischt und das antike Personal in die großbürgerliche Operettenpublikumsgegenwart von 1865 versetzt: den Bildhauer Pygmalion, den sagenhaften Midas, den olympischen Götter-Mundschenk Ganymed und eine Statue der Nymphe Galathea, einer alten Sage nach Gefährtin des aus der Odyssee bekannten Kyklopen Polyphem und zugleich Geliebte des jugendlichen Akis.
Librettist Leonhard Kohl von Kohlenegg – Pseudonym Poly Henrion – hat aus der Mixtur einen feinsinnigen Spaß für antikenkundige Gebildete gebacken, dessen Hintersinn heute einer aktualisierenden Vermittlung bedarf. Für die Inszenierung des Theaters in Hof an der Saale haben sich Bearbeiter Ludwig Bender und Regisseur Uwe Drechsel mit einigem Erfolg daran gemacht, die süffisante Persiflage auf die Gründerzeit-Typen Suppés durchschaubar zu machen. Drechsel, Ehrenmitglied des Theaters Hof, das er 17 Jahre lang als Intendant leitete, hat sogar ein Vorspiel verfertigt, das ein wenig mit dem Publikum kokettiert: Der Diener Ganymed holt aus den Reihen der Zuschauer einige auf die Bühne, die dann – weil die Darsteller angeblich im Stau steckengeblieben sind – drei der vier Rollen übernehmen sollen.
Herausgekommen ist eine nett arrangierte Stunde über Misogynie, lustgreisige Begehrlichkeit und weibliche Unabhängigkeit. Denn die wundersam zum Leben erweckte Statue, die sich staunend und selbstbewusst die Welt der Begriffe und der Sinneseindrücke erobert, reagiert beileibe nicht so, wie sich ihr Erschaffer ein „liebend Weib“ vorgestellt hat: Sie geht entwaffnend frei mit Konventionen und Moralprinzipien um und schert sich nicht um patriarchale Autorität. Und dazu neigt sie noch der Jugend zu! Was ist die Lösung für das zersplitternde Weltbild des Herrn Professors Pygmalion? Zurück zu Stein! Das Experiment, das eigene Frauenbild ins Leben zu holen, scheitert. So viel Steifheit kann nur im starren Stein Erfüllung finden, die Dynamik einer Beziehung überfordert das männliche Selbstbewusstsein.
Drechsel entwickelt zwischen ein paar antikenbeschwörenden Bühnenstatuetten Annette Mahlendorfs viel lustspielhafte Bewegung, lenkt den Blick auf die philiströsen Beziehungsstrukturen, die das Stück karikiert, bleibt aber viel zu dezent, um die schlüpfrigen Zweideutigkeiten von Text und Musik auch nur anzudeuten. Denn es geht nicht nur um den Stachel wider das Beziehungsmodell des ausgehenden 19, Jahrhunderts.
Suppé und sein Librettist nennen nicht umsonst den Diener des Bildhauers Ganymed: Der Jüngling war in der antiken Literatur eindeutig homoerotisch konnotiert und galt als Geliebter von Göttervater Zeus. In der Operette wurde er durch eine „sie“ verkörpert – nämlich den Mezzo Anna Grobecker – und nicht von einem Buffo wie Marian Müller in der Hofer Produktion. Das gab dem jugendlichen Diener des älteren Herrn und seinem Flirt mit der verlebendigten Statue einen pikanten Touch, dem das „Kuss“-Duett zwischen beiden zum Pläsier des Publikums von damals ein Obershäubchen aufsetzte.
Und auch die Nymphe Galathea, die in der Operette durch ihre naiven Fragen die Herren schön ins Schwitzen bringt, bedient in der Dichtung Ovids weniger den wilden Polyphem, sondern eher den pubertierenden Acis, ein Motiv, das in der Operette wiederkehrt. Ähnlich wie Suppés „Fatinitza“ oder Offenbachs „Die Insel Tulipatan“ verbergen sich in der „schönen Galathée“ damals wohl mühevoll an der Zensur vorbeigemogelte Konstellationen, die heute einen von queerem Impetus beherzten Zugriff vertrügen.
Beim Gastspiel des Hofer Ensembles im hübschen Theaterchen von Aschaffenburg geben sich Markus Gruber als erfahrener Komödiant in der Rolle des Kunsthändlers Mydas, Minseok Kim als zunehmend irritierter Pygmalion, Marian Müller als kecker Ganymed und Yvonne Prentki als mit allen (Koloratur-) Wassern gewaschene, lebenslustige Statue alle Mühe, das Publikum animiert zu unterhalten. Unterstützt werden sie darin ziemlich erfolgreich durch ein Salonorchester, das die wunderhübschen Melodien Suppés zartgliedrig zum Leben erweckt, am Flügel gestützt von Mengling Chen mit sicherem Gespür für Tempi und Rhythmen. Summa summarum ein vergnügtes Stündchen, das freilich noch ein wenig „unerhörte“ Fantasie pikant beflügeln könnte.
Werner Häußner