Arthur Sullivan:
MACBETH, THE TEMPEST, MARMION OUVERTÜRE
Dutton Epoch 2 SACDs
Weltpremiere bzw. erste vollständige Aufnahmen
„Oh, what a tangled web we weave, When first we practise to deceive!“ Sir Walter Scott
Den größten Erfolg im Theaterschaffen Sullivans außer der ruhmreichen Zusammenarbeit mit Gilbert bildete die Schauspielmusik zu Macbeth. Zu Sir Henry Irvings sechsaktiger Macbeth Version 1888 schuf Sullivan stimmungsvolle musikalische Tableaus, die zur Spannung des Stücks beitrugen. Nicht zu viele, nicht zu wenige, wie Zeitgenossen anmerkten. Neben einer ausladenden Ouvertüre, die Sullivan später zu einer Konzertversion umarbeitete, gibt es noch 12 weitere reine musikalische Szenen, daneben auch melodramatische Passagen, bei denen der formidable Schauspieler Simon Callow krächzen, schnauben, nuscheln, und in unvorstellbar köstlich elisabethanisch exzentrischer Weise seine verbindenden Textpassagen rezitieren kann. Die Musik zeigt Sullivan auf der Höhe seines Schaffens und wurde zwischen „The Yeoman of the Guard“ und „The Gondoliers“ geschrieben. Sie ist aber mitnichten gleichmäßig auf das Stück verteilt. Sie konzentriert sich auf die Hexenszene und Macbeths Interaktion mit ihnen im 4. Akt, aber es gibt kaum Musik zur Lady und noch weniger zum letzten Drittel des Stücks. Das dürfte aber nicht an mangelnder Inspiration des Komponisten, sondern an den Anweisungen des Textautors gelegen haben. Auf jeden Fall ist die Musik Sullivans lautmalerisch höchst gekonnt gearbeitet, professionell im guten Sinn, sie folgt – ohne selbst Originalität für sich in Anspruch nehmen zu dürfen – großteils dem Duktus der Musiksprache der Frühromantiker. Vor allem aber verbindet sie sich ganz bemerkenswert mit dem Text und klingt so von allen Naturgeistern und menschlichen Affekten inspiriert, dass man sich fragt, warum grosso modo nur Griegs Peer-Gynt sich aus dem reichen Erbe der Schauspielmusiken des 19. Jahrhunderts dauerhaft in unser Konzertleben retten konnte. Vielleicht weil es dazu Suiten gibt, die auch ohne Text aufgeführt werden können?
Die Schauspielmusik zu The Tempest ist sogar noch reicher und dank Ariels Lied und des charmanten Duetts zwischen Juno und Ceres (die lyrisch wohlklingenden Soprane von Mary Bevan und Fflur Wyn überbieten einander gar an poetisch sinnlichem Vortrag) auch mit wunderbarer Vokalmusik ausstaffiert. Sullivan konnte mit einem Mendelssohn Stipendium ausgestattet 1958 in Leipzig studieren, wo ihn auch der Sommernachtstraum hörbar zu manchen „feenhaften“ Eingebungen seiner Schauspielmusik zum „Sturm“ inspirierte. Charles Dickens apostrophierte Sullivans Musik Meisterlichkeit. Wer wäre ich, mich nicht diesem Urteil anzuschließen? Das BBC Concert Orchestra und die BBC Singers unter der musikalischen Leitung von John Andrews, der sich immer wieder erfolgreich vernachlässigter englischer Musik annimmt, entführen mit ihrem sensitiven Musizieren den Hörer in eine zauberhafte, dem Schauspiel wie ein Handschuh angepasste Märchenwelt. Welch wunderbar tönende Reverenz an Shakespeare.
Mit 25 Jahren schrieb Sullivan die ausladende Konzertouvertüre „Marmion“. Basierend auf Sir Walter Scotts gleichnamiger epischer Dichtung, mit der Schlacht von Flodden Field als Epizentrum, ist hier ein ganz und gar romantischer Sullivan zu erleben, der eher an Carl Maria von Weber als an den musikalischen Humoristen, als der er bekannt ist, erinnert. Später kürzte Sullivan dieses atmosphärisch dichte und bravourös instrumentierte Stück um zum Vorspiel zu Sir Henry Irvings Produktion von „King Arthur“. Da DECCA in den 70-er Jahren nur diese kondensierte Version aufnahm, ist auch die hier erstmals komplett vorliegende Einspielung eine jedenfalls hörenswerte Novität auf dem Tonträgermarkt. Das Album ist insgesamt das Kennenlernen mehr als wert. Die Tonqualität ist untadelig.
Dr. Ingobert Waltenberger