Arthur Schnitzler:
„DAS ZEITLOSE IST VON KÜRZESTER DAUER“
INTERVIEWS, MEINUNGEN UND PROTESTE 1891–1931
Herausgegeben von Martin Anton Müller
2 Bände, insgesamt 748 Seiten, Wallstein Verlag, 2023
Arthur Schnitzler (1862-1931) stand Journalisten ausgesprochen skeptisch, sogar misstrauisch gegenüber – vielleicht auch, weil es in seiner Umgebung einige davon gab. Und er hätte sich angesichts seiner Popularität auch ohne weiteres ein Zubrot verdienen können, wäre er für Zeitungen tätig geworden wie Theodor Herzl und Felix Salten, aber das lehnte er entschieden ab. Das war ihm zu unsauber.
Schnitzler war schon zu seinen Lebzeiten sehr berühmt, bis zum Ende der Monarchie vor allem als Dramatiker, später als magischer Erzähler. Er konnte sich dem Interesse der Presse an seiner Person nicht entziehen, Damals gab es für ein Publikum, das seine Theaterstücke besuchte und seine Prosa las, keine Möglichkeit, ihn „privat“ anders kennen zu lernen als durch Interviews und Berichte in Zeitungen.
Später war das anders. Rund um seinen 100. Geburtstag 1962 stieg mit der damals so genannten „Schnitzler-Renaissance“ sein Ruhm nicht nur auf der Bühne. Der S. Fischer Verlag, dem er lebenslang verbunden war, brachte damals die vierbändige Dünndruck-Ausgabe der Dramatischen Werke und Erzählenden Schriften heraus. 1967 folgten „Aphorismen und Betrachtungen“, 1977 „Entworfenes und Verworfenes“.
Damit war der Nachlaß (über jenen Teil, der in Marbach ruht, gibt es ein eigenes Verzeichnis in Buchform) noch nicht aufgearbeitet, es gab neben ungespielten Stücken auch noch (teils schon veröffentlicht)t die Briefwechsel mit Brandes und Brahm, mit Hofmannsthal, Beer-Hofmann, Auernheimer u.a.
Dazu kam über Jahre die Edition von Schnitzlers Tagebüchern (allgemein als hochrangiges Zeitdokument erachtet) in zehn Bänden. Sogar ein „Traumtagebuch“ erschien (weiß man doch seit Freud um die Bedeutung der Träume). Kurz, er war ein Dichter, an dem großes Interesse herrschte, um den man sich Mühe machte, abgesehen von einer reichen Sekundärliteratur, teils wissenschaftlichen, teils populären Zuschnitts.
Nun erschien Unerwartetes, und auch nicht bei Fischer, sondern im Wallstein Verlag. Der Literaturwissenschaftler Martin Anton Müller, der an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften die digitale Edition der Briefwechsel Schnitzlers mit Autorinnen und Autoren betreut (den Briefwechsel mit Bahr edierte er 2016), hat Zeitungsberichte zusammen gestellt (rein Privates wie die Sensationsberichte über den Tod seiner Tochter wurden ausgespart… )
Was war nun noch zu finden? Man könnte es „Verstreutes“ nennen, jenes, was in Jahrzehnten an in Zeitungen gedruckter Schnitzler-Rezeption, also Interviews, Meinungen und Proteste, existiert, was von 1891. als man ihn als Schriftsteller wahrnahm, bis zu seinem Tod 1931 erschienen ist. Einst eine schier unmöglich erscheinende Suche, im Zeitalter der Digitalisierung um vieles erleichtert.
Zwei Bände mit gut 750 Seiten sind es geworden, die unter dem durchaus provokanten Titel „Das Zeitlose ist von kürzester Dauer“ (er formulierte gerne provokant) das sammeln, was Schnitzler letztendlich doch öffentlich von sich gab. Ein Mann seines Ranges konnte sich vor Umfragen, vor Gesprächen zu besonderen Anlässen, vor nötigen Huldigungsreden an Kollegen nicht drücken, denn auch das gehörte zum „Geschäft“ des Dichters, der letztendlich im Gespräch bleiben musste.
Es sei, wie Martin Anton Müller im Nachwort meint, eine „öffentliche Biographie“, die man damit vorlegt, wobei natürlich das, was man diese Öffentlichkeit wissen lässt, durchaus nicht mit dem übereinstimmen muss, was in den Tagebüchern steht, die ja nun wirklich „privat“ waren, offen bis zur Selbstentäußerung. (An eine Veröffentlichung, weil er die Tagebücher ja doch als zeitgeschichtlichen Kommentar erkannte, dachte Schnitzler erst vor seinem Tod.)
Was die beiden Bände, die natürlich keine wirkliche „Biographie“ ergeben (dazu gehörten zumindest die Rezensionen von Aufführungen und Prosa), so spannend macht, ist ihre „Diversität“, um den heutigen Begriff zu gebrauchen. Es findet sich alles, das Rede-Antwort-Interview, das Statement, die Berichte jener, die ihre Erinnerungen an Schnitzler formulierten (und verkauften), die obligaten Geburtstagshuldigungen. Ausländische Interviews erkennt man am zweispaltigen Druck – das Original links, die deutsche Übersetzung rechts. Es gibt Beiträge auf Englisch, Französisch, Dänisch, Niederländisch, Italienisch, Ungarisch, Russisch und Schwedisch.
Der Herausgeber, der im Inhaltsverzeichnis leider versäumt hat, neben Autor, Titel und Datum auch das Publikationsorgan des Beitrags anzugeben, was als Überblick wünschenswert gewesen wäre), hat sich am Ende die Mühe gemacht, charakteristische Fragen zusammen zu stellen, und die sind oft von der Art, dass die Antwort nur sarkastisch ausfallen konnte.
Es gibt Peinliches (wer will schon spontan öffentlich sagen müssen, was er von seinen Kollegen hält), es gibt Albernes (was man vom Bubikopf hält), scheinbar Tiefschürfendes – auf die Frage, ob er so alt werden wollte wie Methusalem, antwortete Schnitzler: „Was sind eintausend Jahre im Vergleich zur Ewigkeit.“ Man kann sich vorstellen, dass er Umgang mit Journalisten auch nervtötend war….
Im Ganzen hat man es mit einer Fundgrube, allerdings auch nur mit Stückwerk zu tun. Vor allem das, was als echter „O-Ton Schnitzler“ zu finden ist (falls er vom Journalisten nicht verballhornt wurde, was man nie wissen kann), mag dem nächsten Biographen als Material zugute kommen, wobei natürlich Substanzielles von Banalem zu unterscheiden ist. Immer in dem Wissen, dass Schnitzler Journalismus stets cum grano salis genommen hat.
Renate Wagner