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Arnold Esch: VON ROM BIS AN DIE RÄNDER DER WELT

04.12.2020 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Buchcover Esch, Von Rom ...

Arnold Esch: 
VON ROM BIS AN DIE RÄNDER DER WELT
Geschichte in ihrer Landschaft
400 Seiten, Verlag C.H.Beck, 2020 

Man kann viele Ansatzpunkte wählen, um „Geschichte“ – sprich: Vergangenes –  zu betrachten. Selten wird man „Landschaften“ in den Fokus nehmen, so wie der Autor es hier tut. Arnold Esch ist emeritierter Professor für Mittelalterliche Geschichte und war einen großen Teil seines Lebens in Rom ansässig. Das merkt man auch – das alte Rom spielt in seine Betrachtungen immer wieder hinein (und er wird den Römerstraßen etwa vor den Straßen des Mittelalters stets den Vorzug geben).

Esch hat schon ein Buch über Italiens historische Landschaften (Wanderungen zwischen Venedig und Syrakus) geschrieben und wendet sich nun ganz divergierenden Landschaftsthemen zu –  die einzelnen Kapitel von „Von Rom bis an die Ränder der Welt“ haben nicht unbedingt etwas miteinander zu tun. Aber sie ergeben, jedes für sich, interessante Wanderungen, Reisen, die einen unorthodoxen Zugang zur Geschichte bieten (und offenbar jahrzehntelange wissenschaftliche Forschung zusammen fassen).

Ob der Autor dem historisch im Laufe der Jahrhunderte nie wirklich zu fassenden Begriff „Burgund“ in seinen mannigfaltigen Bewegungsrichtungen auf der Spur ist (mit kurzfristigem Stopp beim Nibelungenlied), ob er Menschen der Vergangenheit Alpenpässe überqueren lässt, damals meist als Delegationen zu „beruflichen“ Zwecken, wie wir heute sagen würden, ob er – von den Bergen in die Ebene – italienische Flusslandschaften entlang fährt (bei Po-Übergängen in der Phantasie den Landsknechten des Georg von Frundsberg 1526 begegnend), oder ob er (auf diese Idee muss man kommen) einer alten, längst verfallenen italienischen Bahnlinie durch das nördliche Latium folgt. Wie liebevoll er verlassene Bahnhöfe beschreibt, lässt darauf schließen, dass er sie alle gesehen hat und nicht nur mit der Kühle des Historikers, sondern auch mit der Liebe des späten Betrachters hier zum Leben erwecken will, was sonst gänzlich unbeachtet und vergessen vor sich hin welkt. Was sonst keiner sieht und hier endlich in einem Buch verewigt wird (das übrigens viel mehr Bilder zur Veranschaulichung des Gelesenen vertragen würde).

Wie gesagt, es sind zutiefst individuelle Betrachtungsweisen, die dem Leser hier vorgestellt werden (und auf die außer dem Autor vermutlich kaum jemand käme) – Reisen durch die griechische Inselwelt in der Frührenaissance, wo Meer und Inseln die betrachtete „Landschaft“ des Titels bedeuten und man in die ewigen Machtkämpfe um das „mare nostrum“ einbezogen wird. So manches wird durch anschauliche Schilderung zum Erlebnisbericht (etwa von den Schweinen, die aus historischen weißen Marmorsarkophagen ihre Gerste fraßen…).

Spannend ist es, alte Straßensteine auf Grund ihrer Inschriften nach Informationen zu befragen, noch spannender, einem Ablaßkollektor auf seiner mühevollen Reise von Ort zu Ort zu folgen, um für die katholische Kirche einzukassieren (mit ärgerlichen Nebeneffekten, wenn zu viele Münzen verschiedener Herkunft zu sortieren waren), interessant ist es zu verfolgen (auch ein „praktisches“ Faktum der Geschichte, über das man sich bisher wohl kaum den Kopf zerbrochen hat), wie die so wichtige Nachricht wie jene vom Fall Konstantinopels 1453 nach Venedig und Europa kam…

Der Autor geht in der Fülle seiner Geschichten wie versprochen „an die Ränder der Welt“, Steppen, Wüsten, Meere. Der mühevolle Alltag des Reisens in der Vergangenheit wird quälend bewusst – die Straßen, die Unterkünfte, die Zollstationen, die Gefahren durch Überfälle… Nostalgie kommt da nie auf. Das letzte Abenteuer (denn um solche handelt es sich schließlich) findet fast in der Gegenwart statt:  1992 war der Autor Teilnehmer einer Reise von Moskau nach Wladiwostok in einem Sonderzug für eine deutsch-schweizerische Reisegesellschaft. 9300 km. An den Rand der Welt…

Immer geht es Arnold Esch in seinem Buch auch um die Quellen, die ein Historiker vorfindet. Reiseberichte sind die individuellsten Darstellungen, je nach Bildung und Ausrichtung des Schreibenden von verschiedenem, aber oft doch sehr hohem Wert. Aber Esch kann auch scheinbar unwichtige Dokumente lesen, Rechnungen, Verzeichnisse von Übernachtungen, Verträge, „Haushaltsquellen“, die einfach durch ihre Bestände unendlich viel verraten. Auch Urkunden über Stra0enbau, Straßenarbeiten, Verkehrsverzeichnisse sind in hohem Maße aufschlussreich. Der Autor vergleicht an einer Stelle vier Reiseberichte von Männern, die zur selben Zeit auf demselben Schiff unterwegs waren – und jeder hat anderes in den Fokus seiner Betrachtungen gerückt. Wie es ja auch letztendlich der Historiker tut – und am Ende beweist Esch in seinem Augenzeugenbericht auf der Transsibirischen Eisenbahn, was ein Reisebericht an Information leisten kann, wenn er von der aktuellen Beobachtung ins Historische und Grundsätzliche weiter geht.

Ein Desideratum des Buches wären auf jeden Fall mehr, viel mehr Landkarten, damit man gewissermaßen mit dem Finger auch „mitreisen“ könnte auf den verschiedenen Routen, auf die man mitgenommen wird. Sie sind alle ungewöhnlich genug, um unorthodoxes Interesse an der Historie zu befriedigen.

Renate Wagner

 

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