Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

APRPOPOS: Es geht rund oder: Das Publikum schlägt zurück

10.06.2022 | Apropos, Feuilleton

00 a apropos renate ipse 300

Es geht rund
oder:
Das Publikum schlägt zurück

Lange hieß es, das Wiener Publikum gehe der Schauspieler wegen ins Theater und der Sänger wegen in die Oper.

Das müsse, so überlegten Leute in Führungspositionen, diesem dummen Publikum doch abzugewöhnen sein. Sie sollten gefälligst der Regisseure wegen kommen und sich über Interpretationen den Kopf zerbrechen. Wie gut das gespielt und gesungen ist, sei wohl zweitrangig.

Nach diesem Gesetz verfahren einige Herrschaften in Wien, und wenn sie mit ihren Besucherzahlen eingebrochen sind, gab es die beste Ausrede der Welt: Corona.

Was aber, wenn das Imperium der Zuschauer zurück geschlagen hat und deutlich gesagt: Wir wollen  nicht mehr! Nein, danke, das nicht! Nicht länger mit uns!

Nun gehe ich persönlich unaufhörlich ins Theater, sobald es etwas Neues gibt – eine Gewohnheit, mir seit den Teenager-Jahren eingeprägt, nach Jahrzehnten nicht so leicht zu tilgen. Diese verdammte Neugierde, es immer wieder wissen zu wollen, trotz der unaufhörlichen schlechten Erfahrungen, mit denen man geprügelt wird.

Wenn ich nun auf das Burgtheater-Angebot der noch gegenwärtigen Saison (für das Haus allerdings abgeschlossen, keine Premieren mehr bis zum Ende der Spielzeit) zurück blicke, was sehe ich – abgesehen davon, dass mir das meiste gar nicht mehr einfiele, wenn ich nicht so gewissenhaft Buch führte? (Zum Glück gibt’s Excel).

Ich will nur zur Erinnerung die quantitative Überfülle dessen, was das Burgtheater des Martin Kusej an Premieren geboren hat, anführen – und dabei habe ich durchaus das Eine oder Andere verweigert.

04.Sep.21   Burgtheater / Akademietheater       
      Jelinek:  Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!

05.Sep.21   Burgtheater        
      Schiller:  Maria Stuart

09.Sep.21   Burgtheater
      Shakespeare:  Richard II.

18.Sep.21   Burgtheater
      Handke, Peter:  Zdenek Adamec

26.Sep.21   Burgtheater
      Gorki / Stone:  Komplizen

10.Okt.21   Burgtheater
      Poe: Der Untergang des Hauses Usher

23.Okt.21   Burgtheater / Akademietheater       
      Kirkwood, Lucy:  Moskitos

29.Okt.21   Burgtheater        
      Erdmann:  Der Selbstmörder

20.Nov.21  Burgtheater
     Horvath:  Geschichten aus dem Wiener Wald

12.Dez.21  Burgtheater /  Vestibül
     Greig, David:  Monster

18.Dez.21  Burgtheater / Akademietheater       
     Fritz, Marianne:  Die  Schwerkraft der Verhältnisse

11.Jän.22   Burgtheater
     Icke, Robert:   Die Ärztin  (nach Schnitzler)

19.Feb.22   Burgtheater        
     Sartre:  Geschlossene Gesellschaft

24.Feb.22   Burgtheater / Akademietheater       
     Stephens, Simon:  Am Ende Licht

26.Feb.22   Burgtheater / Kasino   
     Melle, Thomas:  Ode

13.Mär.22  Burgtheater / Akademietheater       
     Wentz, Lisa:  Adern

29.Mär.22  Burgtheater
      Shakespeare:  Der Sturm

02.Apr.22  Burgtheater / Akademietheater       
      Goetz, Rainald:  Riech des Todes

05.Apr.22  Burgtheater        
      Crimp / Rostand:  Cyrano de Bergerac

11.Apr.22  Burgtheater / Akademietheater       
      Zeller, Felicia:  Der Fiskus

23.Apr.22  Burgtheater
      Euripides u.a.: Die Troerinnen

29.Apr.22  Burgtheater / Akademietheater       
      Kracht:  Eurotrash

Ein Angebot, das einer Analyse wert wäre, die ich hier nicht unternehmen will. Ehrlich zu vermerken ist allerdings, dass ich mich bei vielen der Titel überhaupt nicht mehr daran erinnere, was da eigentlich los war (und warum ich mich dafür interessieren sollte). So viel Entbehrliches unter den „neuen Stücken“! Und Tatsache ist, dass kein einziger der Abende, auch nicht die Minichmayr als Maria Stuart oder Moretti im Sartre (um von der Wiener Schauspieler-Sucht zu reden), mir als unvergesslich in Erinnerung geblieben ist. Als nötig. Als bereichernd (das gibt es). Als: Das muss ich gesehen haben.

Was soll ich mir anschauen? fragen mich viele Leute, weil sie wissen, wie viel ich gesehen habe. Ich würde mich, auch bei Josefstadt und Volkstheater, in dieser Spielzeit zu keiner einzigen Empfehlung hinreißen lassen. Es wird Theater gespielt, weil sehr viele Leute davon leben, dass der Vorhang aufgeht (und den Rest begleicht der Staat wie zuletzt Josefstädter Millionenschulden, von denen nicht mehr die Rede ist, weil der Direktor die Gunst der Medien genießt). Aber wo wäre unser ehrliches Interesse geweckt worden – anstelle dessen bekommt man überall nur aufgezwungene Ideologie (und teilweise auch kläglich schlechte Schauspieler).

Föttinger, dessen Josefstädter Ensemble immer blasser geworden ist, will es nächste Saison besser machen, mehr Schauspielertheater im alten Sinn liefern, und ja, wenn Robert Meyer im „Wald“ spielt, kommt das Publikum, und sei es nur aus Neugierde, ob er das noch kann nach all den Jahren Operette und Musical, wo er in „seiner“ Volksoper mitwirkte, ohne dass eine tiefere Notwendigkeit bestanden hätte (außer für ihn und sein Ego). Und die Leute werden auch in „Ritter, Dene, Voss“ gehen, lustvoll vergleichend, wie die „Neuen“ es im Vergleich zu den „Originalen“ machen.

 Ob das allein die Auslastungszahlen wieder in die Höhe reißt? Zu oft habe ich schon bei zweiten Vorstellungen in der Josefstadt gesehen, dass der Dritte Rang einfach gesperrt war. Von dem, was sich im gähnend leeren Zuschauerraum des Volkstheaters tat, ganz zu schweigen. Und die schlechten Erfahrungen sitzen fest im Gedächtnis.

Wo ist die Lösung? Zu „normalem“ Theater wird sich ein Herr Voges am unglückseligen Volkstheater nicht verstehen, und die Premierenvorschau des Burgtheaters enthält wieder vieles, das wie Zwangsbeglückung aussieht, und bei den „Klassikern“ kommt es darauf an, was die Damen und Herren Regisseure daraus machen (in dieser Saison haben sie vieles verhunzt).

Worauf will ich hinaus? Darauf, dass ich keine Lösung habe. These und Antithese führten zur Synthese, heißt es. Antithese hatten wir lange genug. Synthese mag ein Drahtseilakt sein – könnte aber gelingen, wenn er von Leuten unternommen würde, die das Theater und das Publikum nicht a priori von Herzen hassen und verachten. Denn solche haben sich ausreichend auf unseren Bühnen tummeln dürfen. Schluß damit. Wo, bitte, sind die Leute, die das Theater lieben?

Die Aufforderung: Macht Neues! kann nicht länger das Publikum außen vor lassen. Das hat nämlich seine Macht erkannt. Nicht hinein gehen, nicht Zeit und Geld (und gar nicht so wenig davon!) opfern. Dass es aber ohne Publikum  nicht geht – die schmerzliche Erkenntnis hat die laufende Saison den Wiener Theatermachern beschert.

Renate Wagner  

 

Diese Seite drucken