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Apropos: ZWANGSPAUSE

15.03.2020 | Apropos, Feuilleton

 

ZWANGSPAUSE

Zwangspause – mit Hausarrest noch dazu.
Noch vor einer Woche wäre das undenkbar gewesen. Ein Blick auf die „armen Italiener“, aber bei uns? Ja. Bei uns.

Im Mittelalter hätten die Prediger die leidende Bevölkerung noch mit dem Höllenfeuer bedroht und „Corona“ als Strafe Gottes für irgendetwas beschworen. Aber wir? „Wie kommen wir dazu?“

Offenbar hat es im Dezember letzten Jahres auf einem Markt für lebende Fische und Meeresfrüchte in Wuhan begonnen – ein Virus, mittlerweile „Sars-CoV-2“ benannt, der eine schwere Lungenerkrankung mit Fieber und in manchem Fällen tödlichem Ausgang bewirkt.

Wem verdanken wir das innerhalb kürzester Zeit bei uns, in Österreich? Ja, die gepriesene „Globalisierung“, die manchen so viel Geld und vielen so viel Leid bringt, wird schon dahinter stecken – eine offene Welt, in der sich jeder nach Belieben bewegen konnte und, wie einst Aids, eine Krankheit in Nullkommanichts über die Welt strreuen kann…

Jammern nützt nichts, es ist eine Situation, wie sie die privilegierte Nachkriegs-Generation von Mitteleuropa noch nie erlebt hat. Noch nie war man aufgefordert, einfach zu – überleben. Wir müssen diszipliniert zuhause bleiben, damit niemand uns ansteckt und wir, gegebenenfalls, niemanden anstecken. Die Individualisten, die meinen „Das ist eh alles übertrieben“ und „Ich hab’ keine Angst“ und die sich ihr Beisl und ihren Heurigen nicht nehmen lassen wollen – geht nicht. In Zeiten wie diesen trägt jeder die Verantwortung nicht nur für sich, sondern auch für andere. Also: zuhause bleiben.

Aber – was tun in einer Welt, die sich geradezu rasend schnell  bewegt hat, wo die Freizeit oft noch hektischer war als der Beruf, „was kann man noch unternehmen“ (möglicherweise nur, um nicht zum Denken zu kommen?)…

Die wirtschaftliche Frage ist von enormer Tragweite, aber auch da geht es darum, nicht los zu schreien, wild zu beschuldigen, die Stimmung zu vergiften und die schrecklichsten Fake News zu verbreiten (wer tut das und warum? Wer hat etwas davon?), sondern ruhig zu bleiben. Abwarten. Das Meiste dessen, was geschieht, ist „beyond our control“. Nur, was wir selbst tun, dafür sind wir verantwortlich. Also: Nützen wir die „gewonnene Zeit“ (wie wäre es, das einmal so zu betrachten?).

Freie Zeit – ist das wirklich so schrecklich? Ja, wir können nicht einmal mehr ins Kino gehen. Letzten Mittwoch war ich, nachdem die „Albertina modern“ davor in allerletzter Minute ihre Pressekonferenz abgesagt hatte, für lange Zeit letztmals im Kino (was ich natürlich noch nicht wusste): „Mulan“, das hätte demnächst der große Disney-Hit werden sollen, ist schon verschoben. Die Schließung der Theater war schon am Tag davor verfügt worden. Ich fragte die Dame an der Kinokasse, wie es hier weiter gehen würde. Sie war ganz stolz – die Computer seien so umgestellt, dass nur jeder zweite Platz verkauft würde, damit niemand eng an seinem Nebenmann sitzen müsse, 99 Menschen pro Saal. Das war Mittwoch. Der Mensch denkt, und Corona lenkt. Ab Montag „spielen“ sie auch das nicht mehr. Und ich hatte doch Karten für den Londoner „Fidelio“ mit Jonas Kaufmann, Teufel noch einmal, der verrückte Regisseur (der den Bayreuther „Tannhäuser“ so zerlegt hat, dass man nicht wusste, was ist wo) hätte mich interessiert. Geht nicht…

Alle Filmkritiken, die ich schreiben könnte, weil ich die Pressevorführungen schon gesehen habe – „Richard Jewell“, „Seberg“, „Marie Curie“, „Vergiftete Wahrheit“, „Harriet“, „Waren einmal Revoluzzer“ oder eben „Mulan“ – sind obsolet, ich brauche meinen Lesern nicht den Mund auf das wässrig machen, was sie in absehbarer Zeit nicht sehen können.

Was tun, „allein zuhause“ (wenn man hoffentlich das Glück hat, mit einem Partner zusammen zu sein, den man mag und mit dem man gut reden kann)? Also, für mich ist lesen immer eine gute Lösung (Buchkritiken werden folgen). Nun könnte es ja sein (sollte nicht, kann aber), dass jemand keine Bücher bei der Hand hat. Aber einen Computer hat schon (fast) jeder. Ich empfehle die Website

https://www.projekt-gutenberg.org/

damit kann man sich durch die Weltliteratur lesen. Kostenlos. Grenzenlos. Wie wär’s mit „Betrachtungen über die Grundlagen der Philosophie“ von René Descartes? Natürlich ein Scherz, ich bin beim spielerischen Herumklicken darauf gestoßen. Es gibt hier alles. Versuchen Sie’s. Blättern Sie digital, so wie man früher – sehr früher – durch Karteikästen gegangen ist. Was man da alles gefunden hat…

Und es gibt – ich wende mich an die Leser des Online Merker, kann also davon ausgehen, dass sie nicht Netflix-süchtig, sondern auf breiter Ebene kulturinteressiert sind – YouTube. Erstens ist wirklich erstaunlich, was der Opernfreund da alles finden kann – auch an ganzen Opernaufnahmen. Populäres, Raritäten, vielfach hoch besetzt. Großartig.

Und sonst? Alles. Das alte Rom? Das alte Ägypten? Geschichte des Zweiten Weltkriegs? Städte? Museen? Biographien? Ein Angebot, mit dem man in einem Leben nicht fertig wird. Natürlich ist auch YouTube voll von Plunder. Aber „kritisch“ hinzusehen, das sollten wir doch lernen. Vor allem in Krisenzeiten. (Und wenn man beim Surfen auf alte deutsche Krimis stößt – Mann o Mann, das waren Besetzungen!)

Seien wir nicht wehleidig. Bleiben wir zuhause und betrachten es als Chance. Nützen wir die Zeit, ein bisschen was für unseren Verstand zu tun… Auch die Amerikaner haben Erkenntnisse: „Make the best of it“, vor allem, wenn es keine Alternative dazu gibt.

Und wir sind ja nicht völlig isoliert: Es gibt ja Skype. Man kann sich mit seinen Freunden zusammen skypen. Und man kann Oma anrufen und fragen, ob es ihr gut geht. Sie wird es, mutig an der Tatsache kauend, dass sie der „Risikogruppe“ angehört, wahrscheinlich schätzen.

Es ist schon gemein, dass man – bei dem Sonnenschein, auch wenn es kalt ist – nicht in den Lainzer Tiergarten gehen kann. Er liegt bei mir ums Eck und ist gesperrt.
Machen wir uns klar, wie gut es uns gegangen ist – und wir haben es gar nicht gewusst.
Wenn Corona ausgestanden und das Leben wieder ein Leben ist, werden wir es viel besser zu schätzen wissen. Wie alle, die einen Krieg überlebt haben.

Renate Wagner

 

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