APROPOS: Wohin nur, wohin?
Also, in der Wiener Staatsoper darf er im Herbst singen: Was Helga Rabl-Stadler durch den Präzedenzfall des „Luisa Miller“-Auftritts für Domingo geleistet hat, das weiß er wohl selbst am besten. Ob andere ihm so die Stange gehalten hätten, wären die Salzburger Festspiele (immerhin die Salzburger Festspiele!) nicht mit diesem Beispiel voran gegangen – wer weiß, wie andere Entscheidungen ausgefallen wären…?
Also, Ende Oktober in Wien „Macbeth“ mit Placido Domingo. Und sonst? Nun, wenn Anna Netrebko sich schon über die sozialen Medien auf den gemeinsamen „Macbeth“ in New York freut, sind die Chancen auf den Met-Auftritt zumindest ganz gut (kein Opernhaus wird wagen, Frau Netrebko auf Instagram nicht zu lesen). Allerdings steht das Verdikt der Los Angeles Opera noch aus, wo Placido Domingo immerhin Direktor ist (bzw. wohl bald war): Werden sie ihm einen Fußtritt geben? Darauf könnte man wetten.
Eines scheint wohl klar: Es werden doch einige Opern- und Konzerthäuser ihre Verträge mit dem Künstler erfüllen, zumindest in Europa. Schon weil es juridisch vermutlich zu schwierig wäre, sie zu kündigen (und ohne Geld lässt er sich vermutlich nicht ausladen – aber da gilt die Unschuldsvermutung, vielleicht würde er sich auch bloß gekränkt umdrehen und von Geld nicht reden).
Fest dürfte hingegen stehen (und darauf könnte man wetten), dass niemand einen neuen Vertrag mit Placido Domingo abschließen wird. Dass also die Karriere vorbei ist, wenn er die eindrucksvolle Liste der noch anstehenden Auftritte abgearbeitet hat. Den Jago und den Falstaff wird er vermutlich nicht mehr singen…
Die Frage ist: Wohin wird er sich wenden? Ich weiß absolut nichts über Placido Domingo, kann nur dem Internet entnehmen, dass er angeblich in Mexico City und Madrid lebt – Los Angeles ist, wie die ganzen USA, ja sicher kein Ort mehr, wo er gern gesehen wird. Mexico City? Also ich liebe, bewundere und entzücke mich an der Azteken- und Maya-Kultur im Land, aber in einer Großstadt wie Mexico City freiwillig zu leben, scheint schon angesichts der horrenden Kriminalitätsrate nicht wirklich wünschenswert.
Nun ist Placido ja Spanier, zweiter Wohnort Madrid. Aber waren nicht gerade die Spanier besonders gnadenlos mit ihrem Landsmann?
Was ist mit Valencia? Als wir dort eine Führung durch das eindrucksvolle Opernhaus machten, kamen wir im Verwaltungstrakt auch am „Büro Placido Domingo“ vorbei. Er dürfte dort eine ziemlich fette Stellung haben. „Aber er ist ja so gut wie nie da“, erklärte man uns lächelnd. Also auch nicht Valencia.
Nun, mir fällt immer noch Wien ein. Da liebt man ihn noch immer. Mit #metoo scheinen die Wiener nicht viel am Hut zu haben (da sind uns die Kuhn-Tiroler voraus), und über „politische Korrektheit“ knirschen die meisten ohnedies nur mit den Zähnen, obwohl man gelernt hat, den Mund zu halten. Nun besitzt Placido Domingo, wie man weiß, in unmittelbarer Nähe der Wiener Staatsoper einige Wohnungen, in denen sich Kollegen, die eine zeitlang in Wien arbeiten, gerne einmieten. Vielleicht ist da auch ein schönes Appartement für ihn frei?
„Komm nach Wien, ich zeig dir was!“ hieß einst ein Film. (Passenderweise war es ein Erotik-Film.) Aber nein, es geht ja nur darum zu zeigen, dass man einen Menschen nicht anspuckt. Jahrzehnte war er, obwohl „jeder es gewusst hat“, der Größte, Umschwärmteste? Und auf einmal – er ist derselbe Placido Domingo! – kann man gar nicht genug auf ihn losprügeln? Wo liegt da eigentlich die Heuchelei?
Renate Wagner