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APROPOS: Wer und warum?

13.09.2022 | Apropos, Feuilleton

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Wer und warum?

Die Dinge sind ja nicht nur als Fakten interessant. „Der Spiegel“ beschuldigt Ulrich Seidl, bei den Dreharbeiten zu seinem Pädophilie-Film „Sparta“ in Rumänien die Rechte und das Seelenleben von Kindern verletzt zu haben.

Das kommt punktgenau zu dem Zeitpunkt, wo der Film bei zwei großen Festivals gezeigt werden soll. Der erste Termin wurde bereits gesprengt, der zweite (18. September beim Festival von San Sebastian) hält vielleicht, oder auch nicht, man wird ja sehen.

Was mich daran interessiert, ist nur in zweiter Linie die  Anschuldigung. Ich frage mich – wie ich mich auch beim „Ibiza“-Skandal gefragt habe -, wer da dahinter steckt. Denn irgendjemand muss den „Spiegel“ ja auf ein Thema angespitzt haben, dessen Fakten (oder nicht Fakten) auf das Jahr 2019 (damals fanden die Dreharbeiten statt) zurück gehen. Also – wo sind die Gegner, die hier so zielsicher arbeiten? Wer will Seidl ruinieren? Und warum?

Oder – in unserer verkehrten Welt ist alles drin: Welche Werbeagentur hat sich diesen ungeheuren Popularitätsschub für Seidl ausgedacht, wobei gleich einkalkuliert wurde, dass nicht nur seine Mitarbeiter, sondern auch Journalisten im „Profil“, im „Standard“, mit dem Feuerschwert für ihn eintreten würden?

Wobei natürlich sowohl Stefan Grissemann wie auch Bert Rebhandl schon ein Sicherheitsnetz unter sich aufspannen. Sollte bei neuen „Untersuchungen“ herauskommen, dass man von echtem Fehlverhalten sprechen kann, möchten sie natürlich nicht einem Pädophilen (und der „Kinderschänder“ wäre dann Seidl und nicht der Antiheld seines Filmes) das Wort geredet haben. Aber sonst würde man jedem Vorverurteilten nur wünschen, dass dermaßen für ihn in die Bresche gesprungen worden wäre… Und welche Gedankenakrobatik da angestellt wird, dass man Kindern ja nicht sagen darf, was wirklich vorgeht, wenn man sie in „Verführungsszenen“ einsetzt, sonst würden sie ja nicht „echt“ agieren? Rein künstlerisch gedacht natürlich…

Nun bekenne ich persönlich, dass ich Seidls Filme verabscheue. Ob er Mensch und Tier, Mensch und Religion schmutzig sieht, ob er alte Nazis in ihren Kellern grölen lässt oder gierige weiße Frauen nach  Schwarzafrika schickt, um sich die dortigen Männer zu kaufen, ob er (in seinem letzten Film „Rimini“) die Ausbeutung erbarmungswürdiger alter weißer Frauen durch einen schweinischen Disc-Jockey lustvoll ausmalt – stets präsentiert er mit spürbarer Lust am Ekligen im Menschen die schmutzigsten Abgründe des Seins. Und weil wir in einer völlig verrückten Welt leben, hat er dafür viel Bewunderung, Kritiker-Beifall und Festival-Preise geerntet – für seine angebliche „Ehrlichkeit“…

Keine Ahnung, wer die Macht hatte, Herrn Seidl vor den Karren zu fahren. Sein Problem besteht nun darin, den ganzen Mist der Welt lustvoll auszustellen – und dabei als großer Moralist durchgehen zu wollen. Er scheint noch nicht bemerkt zu haben, dass der Schmutz, der sein Thema ist, auf ihn als Person abgefärbt hat.

Wie er aus dieser kunstvoll geschmiedeten Intrige aussteigt, ist nicht voraus zu sehen. Time will tell. Vielleicht gehen mehr Leute als je in „Sparta“. Vielleicht bekommt er in San Sebastian einen Preis. Vielleicht will man ihn in Rumänien ins Gefängnis stecken. Seidl, der Unschuldsvolle, der Wohlmeinende, könnte glatt das Thema für seinen nächsten Film gefunden haben – wie böse Rivalen versuchten, einen Saubermann zu stürzen…Triumph oder Untergang? Time will tell.

Renate Wagner

 

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