„Was Regisseuren so durch die Birne rauscht…“
„Was Regisseuren so durch die Birne rauscht…“
Dieser Satz von Gerhard Stadelmaier, einem der Promi-Kritiker des deutschen Feuilletons, formuliert so vollendet meine Gefühle angesichts der derzeitigen Inszenierungs-Unkultur, dass ich ihn immer wieder zitiere.
Einer Generation entstammend, die Respekt vor dem Werk über alles stellt (wobei jede zulässige Neuinterpretation selbstverständlich erwünscht ist, wenn sie Sinn macht), kann man derzeit nur verzweifeln – und das nicht nur angesichts dessen, was ein Ponnelle, ein Strehler oder, horribile dictu, auch ein Schenk einst an Theaterverstand und Liebe zur Sache mitgebracht haben.
Was ich heute sehe, ist nur die brutale, aggressive Lust an der Destruktion. Wir haben uns daran gewöhnen müssen, dass es auf unseren Bühnen nicht mehr darum geht, was Libretto und Musik vorgeben, sondern einzig und allein darum, was Regisseuren dazu einfällt. Und oft nicht einmal dazu einfällt, sondern „irgendwie“ einfällt, denn dem Werk gegenüber, das auf dem Theaterzettel steht, gehen sie keinerlei Verpflichtung ein. Und ob ein Zuschauer erkennen mag, was sie da auf der Bühne herumpoltern und –hampern, ist ihnen ja schnurzegal.
Solange das große Netzwerk von Intendanten und Regisseuren funktioniert, wird es so weiter gehen. Solange Entscheidungskompetenz mit nichts anderem mehr verbunden ist als mit Geld, das man unkontrolliert ausgeben kann, und Macht, das zu tun, was man gerade will, wird sich nichts ändern. Rechenschaft ist man niemandem mehr schuldig. Die Theater- und Opernwelt ist zur Spielwiese für tobsüchtige Kinder geworden.
Vorausgeschickt: Da ich bis zu meinem letzten Schnauferer neugierig darauf sein werde, was heutzutage geboten wird, bin ich für jeden Stream dankbar. Was dabei allerdings heraus kommt…
Die ewig gleiche Marthaler-Masche bei Glucks „Orphée et Euridice“ in Zürich, unendlich langweilig.
Dmitri Tcherniakovs ziellose Spinnereien rund um den „Freischütz“ in München (und vorher eine geradezu lächerliche Einführung, in der ein hoffnungsloser Dramaturg und eine Sängerin, die alles täte, damit man sie arbeiten lässt, jeden Blödsinn mit tiefernster Miene zu rechtfertigen suchen).
Lotte de Beers schwachsinnige „Aida“-Puppen samt Amneris mit Erzengel-Flügeln in Paris.
Und schließlich das absolute Chaos (eigentlich ein ur-gestriges Happening), das Milo Rau sich in Genf für Mozarts „La Clemenza di Tito“ ausdachte. Danke für den Stream, jetzt weiß man, was man sich bei den nächsten Wiener Festwochen nicht anschauen muss.
Und die Wien Staatsoper setzt mit einer uralten „Carmen“ nach – wobei Calixto Bieito auch einer jener Regisseure ist, bei dem man sich dauernd fragt: Und was ist ihm diesmal wieder eingefallen? Nun, man weiß es längst, diese Carmen kam über DVD und Stream schon vielfach zu unserer Kenntnis. Also – es gibt eine Telefonzelle. Und Autos. Toll!
Wirklich? Nun, immerhin erkennt man, wenn auch in eine andere Welt versetzt, in etwa die Geschichte von „Carmen“, also die gegebene „Basis“. Was man bei den anderen genannten Inszenierungen bei bestem Willen nicht behaupten kann.
Renate Wagner