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APROPOS: Sie genieren sich nicht

27.08.2019 | Apropos, Feuilleton

APROPOS: Sie genieren sich nicht

Nicht schon wieder Domingo! Doch. Aber keine feuchten Küsse, sondern als Denkansatz für etwas ganz anderes. Dass der Begriff des früher dafür so hoch gelobten „Förderers junger Sänger“ ein wenig obsolet geworden ist… ja. Aber man fördert ja nicht nur „Fremde“. Man fördert auch Familienmitglieder. Nun, als man nicht genug über Domingo herziehen konnte, fiel der Los Angeles Times auch ein, wie ungeheuerlich es war, dass Gattin Marta Domingo an diesem Haus „La traviata“ inszeniert hätte. Und nicht gut, wie man hinzufügte.

Dergleichen hätte man früher, als der Chef noch mächtig war, nicht gesagt. Oder es wäre einem nicht gut bekommen. Ich erinnere mich, als ich vor Jahrzehnten schrieb, es schade Dagmar Koller (alles Gute zum Geburtstag!) wohl nicht, dass sie einen mächtigen Politiker zum Mann habe… vielleicht war das ungerecht. Nachweislich geschadet hat es mir. Egal, tempi passati.

Es geht um ein ewiges Thema: Nepotismus. Freunderlwirtschaft. Vetternwirtschaft. Protektion! wie man in Wien so schön sagt und die offenbar ein ewiges Phänomen ist. Besagter Helmut Zilk erklärte einmal offen, wenn er für einen Job zwei gleichwertige Bewerber hätte, nähme er den mit Protektion. Das war immer so. Als ich noch für die Radio-Kultur des ORF gearbeitet habe, wurden bei uns immer die „Protektionskinder“ der Politik zwischen gelagert, solange ihre Partei oder ihr Gönner noch keinen richtig guten Job für sie gefunden hatte. Volkmar Parschalk nahm das ganz gelassen, er wusste, die bleiben nicht lange…

Irgendwie scheint es, der Nepotismus würde nirgends so offen und schamlos (und für jedermann einsehbar) betrieben wie in der Kunst. Familienmitglieder inszenieren? Die Wiener Staatsoper hätte wohl, bitte schön, „Cosi fan tutte“ nicht Chiara Muti anvertraut, stünde nicht Riccardo Muti am Pult. Und als das Theater an der Wien Christoph Waltz als Regisseur für „Fidelio“ ankündigte, brachte dieser fraglos Ehefrau Judith Holste als Kostümbildnerin mit. Irgendwer muss es ja machen, keep it in the family.

Es gibt einige Herren-Paare, die überhaupt nur im Doppelpack zu haben sind: Jossi Wieler / Sergio Morabito, Moshe Leiser / Patrice Caurier, Torsten Fischer / Herbert Schäfer. Kriegt man da zwei für den Preis von einem? Wohl kaum. Aber man kriegt einen nicht ohne den anderen. Double your pleasure, double your fun, hieß es in einer amerikanischen Werbung.

Ja, und die Sänger. Gut, so herzerquickend schamlos wie die schöne Anna macht es niemand in der Branche. Und wer sie garantiert haben will, der nimmt auch Yusif Eyvazov – Bachler in München bucht so zu ihrer Turandot den Kalaf mit, und auch Thielemann in Dresden engagiert zu ihrer Elisabeth den Don Carlos gleich dazu. Pereira an der Scala, Gelb an der Met, Meyer in Wien wissen, was gut für sie ist. Wobei wir nicht ungerecht sein wollen – alle Herren Direktoren sind Profis genug: Wenn Herr Eyvazov nicht imstande wäre, die Rollen, die er als die bessere Hälfte des Stars bekommt, auch ordentlich zu singen (so dass die großen Häuser der Welt sich nicht blamieren), hätte er auf die Dauer keine Chance. „Protektion“ öffnet die Tür, aber auf der Bühne steht man allein…

Anna Netrebko ist nicht die einzige. Elina Garanca hat offen gesagt, dass sie lieber für einen Monat in New York singt, wenn ihr Mann gleichzeitig etwas zu dirigieren bekommt (und Peter Gelb wird nicht dumm sein – sondern da eine familienfreundliche Lösung finden). Auch Diana Damrau mag begreiflicherweise von ihrem Gatten nicht getrennt sein, und eine Baßrolle findet sich immer (abgesehen davon, dass ein Sänger wie Nicolas Testé vielleicht allein eine größere Karriere machen würde, wenn man ihn nicht immer als Anhängsel der Gattin betrachtete – aber daran ist nichts mehr zu ändern).

Das alles wird heute so selbstverständlich genommen, dass niemand sich fragt, wieso eigentlich Damen wie (einst) Agnes Baltsa, Angela Denoke oder Camilla Nylund auf der Bühne stehen – ohne dass ihre singenden Ehemänner in ihrem Schatten auftauchten? Es geht auch anders, ist aber nicht so häufig der Fall.

Andere können ihre Vetternwirtschaft besser unter dem Deckel halten. Wenn Thomas Prochatzka es nicht neulich in seinem bemerkenswerten Artikel über die Salzburger Festspiele ausgeplaudert hätte, wüsste man gar nicht, dass Markus Hinterhäuser sein Patenkind Lukas Crepaz auf den Posten des kaufmännischen Direktors der Salzburger Festspiele gehievt hat. Wie findet man das? Übel, um es offen zu sagen.

Am schlimmsten ist, dass es „eh alle“ machen : Sie genieren sich nicht, sie genieren sich einfach nicht.

Renate Wagner

 

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