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APROPOS: Sehr geehrter Herr Bundeskanzler!

21.01.2021 | Apropos, Feuilleton

01 A P R O P Os Renate Ipse 300

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler!

Von: Wagner-Wesemann [mailto:wesewag@aon.at]
Gesendet: Donnerstag, 21. Jänner 2021 16:54
An: sebastian.kurz@​bka.gv.at.
‚Betreff: Theater

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

ich schätze es über die Maßen,
dass man Sie persönlich anschreiben kann,
auch wenn ich bezweifle, dass dieses Mail Sie persönlich erreicht.
Sei’s drum, irgendjemand Kompetenter wird sich meines Problems,
das das vieler Menschen ist, schon annehmen.
Mein Kollege Heinrich Schramm-Schiessl konnte sich bei seinem Schreiben an Sie auf einen berühmten ÖVP-Vater und lebenslange Parteimitgliedschaft berufen (und bekam einen Anruf aus Ihrem Büro).
Ich kann das leider nicht, hoffe aber, „nur“ als Staatsbürger dennoch Beachtung zu finden.

Ich frage mich, ob irgendjemand –
Sie sind ja leider für die Kultur nicht zuständig,
sollten es aber sein, sie bereichert ungemein –
sich wirklich überlegt hat, was er den Theatern und dem Publikum mit dem Zwang des „Reintestens“ antut.

Ich habe die Rundfrage der Wiener Staatsoper,
ob ich mich testen lassen würde,
um in eine Vorstellung der Staatsoper zu gehen,
ehrlich mit „Nein“ beantwortet.
Es kam trotzdem ein freundliches Insert zurück,
„Vielen Dank für Ihre Teilnahme“.

Ich denke, die Theater wissen genau,
dass man mit dem „Reintesten“
den Theaterbesuch ruiniert.
Denn wenn selbst ich, die lebenslang seit ihren Jugendtagen
wie besessen ins Theater gegangen ist,
nicht bereit bin, die Umständlichkeit eines Tests auf mich zu nehmen,
wie dann andere, denen es nicht sooo wichtig ist?

Man muss sich das vorstellen –
man muss sich per Online einen Termin holen,
dann hinfahren,
ich vom 13. Bezirk in die Stadthalle
(kein Katzensprung, und noch dazu die „gefährlichen“ Öffis,
die man meiden soll)
dann der Test, aufs Ergebnis warten, dann zurück –
da ist jedes Mal ein halber Tag weg.

Und das vor jedem Besuch immer wieder,
weil es ja ein „frischer“ Test sein muss?
Hat irgendjemand bedacht,
was man den Menschen da zumutet?

Ich rechne eigentlich nicht damit,
in absehbarer Zeit in ein Theater zu kommen,
wenn man sich von Seiten der Regierung nicht doch einmal entschließen wird,
sich mit den FFP2-Masken zu begnügen.

Und denken Sie bitte an die Jugend, die danach dürstet,
wieder „ins Kino“ zu gehen
(hat Ihnen das in Ihrer Jugend nichts bedeutet?).
Wenn sie jedes Mal erst einen Test holen müssen,
wo bleibt da die Spontaneität des Entschlusses – „Wir gehen ins Kino!“
(Wenn Sie doch Zeit hätten, sich auf den neuen Poirot-Film,
Kenneth Branagh in „Tod auf dem Nil“, zu freuen!)

Herr Bundeskanzler, es ist so nicht machbar.
Bitte, pfeifen Sie das Reintesten zurück.
Die Masken sollen ja gut sein,
und man hält gerne Abstand,
wenn man sich das viel zu umständliche Testen erspart,
das alles kaputt macht.
Und sagen Sie mir nicht, ich könne ja zu meiner Ärztin gehen.
Ja, sie ist näher (spontan geht allerdings nichts, nur auf Anmeldung),
aber jedes Mal 25 Euro Gebühr zusätzlich?

Theater, Oper, Kino, Ausstellungen (und sagen Sie mir jetzt nicht, ich darf ja bald ins Museum gehen! Na, Gott sei Dank!) waren immer mein Leben.
Machen Sie mir das bitte auf meine alten Tage bitte nicht kaputt.

Ihre
Dr. Renate Wagner-Wesemann

 

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