Sang- und klanglos adieu?
Oder: Dank an Roland Geyer
Roland Geyer hatte sich als Person immer dermaßen im Hintergrund gehalten, dass man sich als Opernbesucher wunderte, als er vor Beginn der letzten „Jenufa“-Vorstellung (und damit auch der letzten Aufführung in „seinem“ Theater an der Wien) vor den Vorhang trat, um sich zu verabschieden. Und sich zu bedanken – bei dem Publikum, dessen Treue er pries, bei dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien und vor allem dem Arnold Schoenberg Chor, zwei „Klangkörper“, ohne welche die Aufführungen seiner Ära nicht möglich gewesen wären (wobei ihm noch einige weitere Orchester beistanden).
Das Publikum feierte Geyer herzlich, applaudierte Zustimmung, aber ist das genug? Eigentlich hätte er metaphorische Blumen (und Orden aller Arten) dafür verdient, wie er in den letzten eineinhalb Jahrzehnten Wien sein drittes große Opernhaus gegeben (und damit auch das Theater an der Wien vor der Musical-Seuche gerettet) hat.
Es war dies ganz allein sein Verdienst, denn die Stadt Wien wusste wirklich nicht, was es mit diesem Juwel eines Hauses anfangen sollte (ja, natürlich wurde die „Zauberflöte“ nicht direkt hier uraufgeführt, ihre Gewinne haben den Bau, mit dem wir heute leben, finanziert).
Nur Roland Geyer hatte eine Vision zu einer Zeit, wo man ihm gerne mit dem wienerischen Spruch „Brauchen wir denn das?“ gekommen ist. Staatsoper und Volksoper schienen die Bedürfnisse von Wienern und Touristen-Gästen reichlich zu befriedigen. Geyer bewies, dass es ein Publikum darüber hinaus gab und dass man es mit besonderen Stücken, mit Raritäten, mit Moderne ins Haus holen konnte.
Er begann 2006, und von Anfang an waren da Namen, die man mit diesem Haus verbinden würde – Christof Loy, Keith Warner, dann Robert Carsen mit vielen außerordentlichen Inszenierungen, er holte (für eine „Ariadne“) Harry Kupfer zurück, den großen Mann, der damals im Ausgedinge dümpelte. Später kam als interessanter Beitrag Damiano Michieletto. Geyer ließ Konwitschny Verdis „Attila“ zertrümmern und Tatjana Gürbaca Unsägliches mit „Capriccio“ anstellen. Natürlich gelang nicht alles, das wäre ja abnormal, zumal in einem Haus, das immer das Experiment, das Neue im Blick hatte. Aber man wollte alles sehen.
Es gab viele erstklassige Dirigenten am Haus, am wichtigsten war in den Anfängen Nikolaus Harnoncourt, der hier eine Wiener Heimat fand und 2014 eine kleine Sensation mit den drei semi-konzertanten Da Ponte-Opern machte.
Lange bevor sich Dominque Meyer etwa zur Mitte seiner Direktionsära an der Staatsoper an die Barockopern wagte, hatte Geyer dieses Loch in den Wiener Spielplänen gesehen und reich gefüllt. Es gab Händel-Opern sondern Zahl (und da er sein Haus auch konzertanten Aufführungen, die per Tournee vorbei kamen, öffnete, vervielfältigte sich die Erfahrung an Werken, die das Publikum machen durfte). Geyer spielte Monteverdi, Gluck, Rameau, Salieri und eine Menge frühen Mozart und er erzielte erstaunliche Erfolge mit den szenischen Aufführungen von Oratorien (Schöpfung, Lazarus, Saul, Elias).
Es ist nicht einmal annähernd möglich aufzuzählen, wie viele Werke hier in 15 Jahren auf den Spielplan standen, einige Uraufführungen, Modernes, dem man ohne das Theater an der Wien nie in die Nähe gekommen wäre, viele Raritäten großer Komponisten, manches in Vergessenheit Geratene.
Geyer öffnete sein Haus auch Placido Domingo, der an der Staatsoper gar nicht alles auf die Bühne bringen konnte, was ihm sein Ehrgeiz diktierte, also kam er in das Theater an der Wien, mit „Luisa Fernanda“, mit „Il Postino“, den „Due Foscari“, schließlich mit dem Macbeth. Auch Jose Carreras durfte noch vorbei schauen, als „El Juez“ von Kolonovits (weil sich die Stars halt so schwer von der Bühne trennen).
Natürlich kam es in all den Jahren auch zu, sagen wir, kuriosen Events. Ein Intendant darf sich etwas ausdenken, auch wenn es so haarsträubend ist wie die (wirklich nicht gute) Idee, Wagners „Ring“ auseinander zu hacken und neu zusammen zu stückeln. Tatjana Gürbaca machte 2017 „Hagen“, „Siegfried“ und „Brünnhilde“ daraus, und man kam aus dem Kopfschütteln nicht heraus – aber man sah sich natürlich auch das an. Und war eine Pointe, als Geyer den amerikanischen Filmregisseur William Friedkin für „Hoffmanns Erzählungen“ engagierte (offenbar erwartete er sich einen Schuß „Exorzisten“ für Offenbach). Als ihm die Aufführung nicht gefiel, sprang der Intendant für die zweite Premiere (mit der von ihm so geschätzten Marlies Petersen in den Frauenrollen) selbst als Regisseur ein… Er hat das später nicht wiederholt, es gerät ihm zur Ehre, dass er dem Prinzip der persönlichen Anfütterung, dem so viele Direktoren verfallen, widerstanden hat.
Ab 2013/14 bekam das Theater an der Wien die Kammeroper, die der aus Ungarn zugezogene Hans Gabor zu einem so wunderbaren kleinen Haus hoch gebracht hatte, das nach seinem Tod nicht auf demselben Niveau zu halten war (und das versuchten einige). Es ist auch dem Theater an der Wien nicht so recht geglückt – ein Subunternehmen, das einem (verschiedenen) Subintendanten zugeteilt war. Sicher eine gute Sache für die jungen Künstler, die hier eine Saison als „Junges Ensemble“ viel spielen und singen durften, von bescheidenerem Gewinn für das Publikum, weil man sich weniger auf das Neue, Seltene und Interessante konzentrierte, als auf das „Eindampfen“ großer Opern für den kleinen Raum (besonders katastrophal bei „Don Carlos“). Mit der noch ausstehenden letzten Premiere, „Enoch Arden“ von Ottmar Gerster liegt man hoffentlich wieder richtig, wenn das Werk auch mehr als 80 Jahre auf dem Buckel hat.
Was Geyer nie hatte, war viel Geld für Stars. Sein Abschiedparcours mit einer Kristine Opolais als Tosca, einer Nina Stemme als Küsterin waren seine seltenen Ausflüge in die A-Klasse der Sänger (nicht vergessen: Diana Damrau hat gelegentlich vorbei geschaut), aber im Grunde hat niemand von ihm Startheater verlangt. Man ging ins Theater an der Wien der Werke wegen, sogar der Inszenierungen wegen (wenn man sich gelegentlich auch grün und blau ärgern konnte), man ging in dieses Haus, weil es dort interessant und lebendig war.
Am Ende hat das Theater an der Wien von Roland Geyer aufgeholt, was das „digitale Zeitalter“ verlangt, und es kamen doch eine Menge an Aufzeichnungen seiner Produktionen zusammen. Dergleichen ist als DVD-Dokument unerlässlich, auch weil die Nachwelt dadurch den Mimen Kränze flechten kann und anschaulicher, als jede geschriebene Kritik vermitteln kann, erlebt, wie es damals war.
Über Geyers Zukunftspläne weiß man nichts, er könnte (er wird im Dezember 70, auch wenn man es ihm absolut nicht ansieht) in Pension gehen. Es wäre schade um den nie erlahmenden Elan, den er in diesen Jahren gezeigt hat. Doch wenn er einen Schlußstrich unter sein Berufsleben zieht, soll er nicht das Gefühl haben, dass das Wiener Opernpublikum nicht zu würdigen weiß, was er geleistet hat.
Was immer er vor hat, unser Dank ist mit ihm, desgleichen die besten Wünsche für die Zukunft. Für Stefan Herheim kann man nur hoffen, er möge seine Sache so gut machen wie Roland Geyer.
Renate Wagner