Reichenau – aus Fehlern gelernt
Maria Happel wird in ihrem zweiten Jahr als Intendantin der Festspiele Reichenau nicht mehr versuchen, mit Gewalt ein Stück für ihre Reinhardt-Seminaristen zu suchen, denn angeblich hat sich „Frühlings Erwachen“ im Vorjahr keinerlei Vorliebe des Publikums erfreut. Dafür dürfte sie (ich war letzten Sommer nicht dabei) aus einem Schauspieler, der als Fernseh-Kommissar nie sonderlich aufgefallen ist, einen Publikumsliebling gemacht haben, denn über Stefan Jürgens als „Des Teufels General“ sprachen alle. Dafür darf er 2023 der Titelheld in Molières „Tartuffe“ sein, dem ewig gültigen Heuchler-Stück, das Günter Wams (?) inszenieren wird. Aus der „alten Garde“ der Reichenauer Schauspieler sind Stefanie Dvorak als vollmundige Magd Dorine und Elisabeth Augustin als knurrige Madame Pernelle sicher eingesetzt.
Weil doch so viel von „Protektion“ die Rede ist – man kann es Intendantin Maria Happel natürlich nicht verübeln, dass sie für ihren Gatten Dirk Nocker im „Tartuffe“ die schöne Rolle des düpierten Bürgers Orgon vorgesehen hat. Und für Töchterchen Paula Nocker den Christopherl in Nestroys „Einen Jux will er sich machen“. Immerhin handelt es sich in beiden Fällen um Schauspieler, die ihr Handwerk verstehen.
Mit dem „Jux“ wird sich übrigens das Blatt wenden und alle Zuschauer zurückholen, die im Vorjahr noch nicht nach Reichenau geströmt sind. Denn sie hat das Naheliegende getan und Robert Meyer engagiert, der einst einer der Gründungs-Stars der Reichenauer Sommerspiele war, bis er dem Ehepaar Loidolt zu groß wurde (oder was immer) und sie ihn entfernten. Nun, aus der Volksoper ähnlich rüde entfernt, hat er in der Josefstadt schon ein wenig Fuß gefasst und kehrt als Regisseur und als Hausknecht Melchior („Wenn euer Gnaden mich nicht hätten!“) zurück.
Ganz im Sinne der so unsanft davon getretenen Loidolts ist auch die Produktion der „Kapuzinergruft“ zu werten – wie er es jahrelang tun durfte, hat Nicolaus Hagg wieder einen Klassiker der österreichischen Literatur bearbeitet. Regie führt Philipp Hauß (Burgtheater-Kollege von Maria Happel mit Regie-Ambitionen), und immerhin ist mit Julia Stemberger einen Publikumsliebling noch aus Loidolt-Zeiten mit dabei.
Ob die typischen Reichenau-Besucher „Die Präsidentinnen“ von Werner Schwab goutieren werden, trotz einer sehr ansprechenden Besetzung mit Maricello De Nardo, Johanna Arrouas und Petra Morzé, sei dahin gestellt. Es wird sich trotz des täuschenden Titels ja wohl herumgesprochen haben, dass es dabei nicht um feine Damen geht, sondern um jene, die die Toiletten putzen – um es feiner auszudrücken als Werner Schwab es getan hat…
Es fällt auf, dass Maria Happel selbst nicht mehr täglich auf der Bühne steht (zumindest das Fräulein Blumenblatt im „Jux“ hätte sie sich geben dürfen!), aber dafür ist sie in der Gesprächsreihe „Frauenzimmer“ prominent vertreten. Außer bei dem Duo Erika Pluhar und Regina Fritsch ist die Happel immer dabei, als Gesprächspartnerin für Caroline Peters, Emmy Werner, Brigitte Kren, Stefanie Reinsperger und Sona MacDonald. Das kann man immerhin als exzellente Besetzung bezeichnen.
Am 1. Juli 2023 geht es los, mit einem Fest im Kurpark und dem „Jux“ mit Robert Meyer. Um den Publikumszuspruch muss man sich diesmal wohl nicht sorgen.
Renate Wagner