Nicht das Was, das Warum
Der Wiener Theaterdirektor Franz Stoss mag vergessen sein, aber ich bewahre ihm ein gutes Andenken. Er war ein kluger Mann. Unvergessen, wie er zu mir einmal sagte: „Bei Wiener Kritikern muss man sich nicht fragen, was sie schreiben, sondern warum sie es schreiben.“ Und da ist alles drin – und mittlerweile gilt das für Journalismus jeglicher Art. Nicht das Was, das Warum.
Ich persönlich hasse es zutiefst, wenn man mich manipulieren will, also für blöd hält. Glauben Leute wirklich, sie müssen nur auf einen Knopf drücken und eine bestimmte Keule schwenken und ich springe – ich demonstriere, ich spende, ich plappere nach, ich heule auf? Meinem Sohn habe ich von frühester Jugend an beigebracht: Rudi, denk dialektisch! Glaub nicht alles, was man Dir sagt! Jedes Ding hat zwei Seiten, mindestens. Überlege erst mal, bevor Du reagierst. Überlege, was Du meinst. Überlege, was Du sagst.
Und nun zum Thema. Natürlich ist Kultur auch Politik, also ist es im Kulturjournalismus, in dem ich mich ein Berufsleben lang umgetan habe, genau so schwer wie sonst wo, saubere Hände zu behalten. Denn die (längst negativ beantwortete, ewige) Frage ist natürlich, ob man – da man ja kein meinungsloses Neutrum ist – überhaupt je „objektiv“ sein kann. Glücklicherweise wird das bei einer Theaterkritik nicht verlangt. Da steht mein Name darunter, und ich gebe meine persönliche Meinung ab. Das ist ein Statement, das gewissermaßen erlaubt ist. Und jeder – der vielleicht unverstandene Künstler, der Leser mit anderer Meinung – kann aufschreien. Protestieren, mich beschimpfen. Das muss man aushalten. Die Fronten sind klar.
Die Kollegen, die scheinbar „objektiv“ ihre Storys schreiben, haben es schon schwerer, zumal in einer Welt der „unerwünschten Meinungen“ (wie es Angela Merkel angesichts von Thilo Sarrazin so undemokratisch formulierte – denn ist Demokratie nicht als Dialektik der Meinungen gedacht?). Nun muss man den Dummerchens, die noch immer in die falsche Richtung denken, zeigen, wo’s lang geht. Mit der Wahrheit ist das nicht so leicht zu bewerkstelligen – außerdem: Was ist schon Wahrheit? Die Dinge scheinen das zu sein, aus welcher Seite man sie zu betrachten wünscht (man nennt das Ideologie).
Und wenn das nicht so richtig passt, da hilft man – auch als angebliches Qualitätsmedium, auch als hochdekorierter Autor – ein bisschen nach. Der „Spiegel“ druckt verlogene Geschichten, um Menschen in das gewünschte Eck zu manipulieren. „Was kümmert mich das Wörtliche?“ wie Herr Menasse geradezu unverschämt ins Gesicht der Mitwelt erklärt. Ja, manche stehen da selbst ernannt offenbar drüber, die richten sich die Welt schon ein. Ganz ungestraft?
Und wir wettern, wenn Donald Trump von „Fake News“ spricht? Mann o Mann! Aber wir leben schon so lange damit. Wenn wir nicht als denkende Bürger unseren Verstand schärfen, sind wir verloren. „Spiegel“ und Menasse ins Stammbuch: Man merkt die Absicht und ist sehr verstimmt (ein paraphrasiertes, aber nicht verfälschendes Zitat). Mein Gott, mein Berufsstand – jener der Schreiber – ist ohnedies so sehr beschädigt. Die hoch geschätzten Protagonisten der neuen Tiefpunkte haben es uns gezeigt: Das Gesudel ist überall, auch dort, wo man sich in seiner Qualitäts-Überlegenheit nicht genug brüsten konnte.
Renate Wagner