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APROPOS: Mit harten Bandagen

03.10.2022 | Apropos, Feuilleton

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APROPOS:
Mit harten Bandagen

Es wurde keine Zeit verloren, es ging unmittelbar los. Allerdings wusste Philippe Jordan zweifellos, was kommen würde. Aufbegehren, noch dazu gegen einen Mann wie Bogdan Roscic, der sich eine so breite Machtbasis, sprich: Medienzustimmung gesichert hat? Man denke nur an die Verrenkungen, die der News-Journalist unternommen hat, um die Verlängerung des Vertrags von Roscic zu sichern – der nun auf jeden Fall am längeren Ast sitzt. Jordan hat ein mutiges Spiel begonnen, das er nicht gewinnen konnte. Vielleicht wollte er auch nicht. Vielleicht wollte er nur weg.

Wer immer auch nur ein wenig in der Welt der Printmedien drinnen gesteckt ist, weiß, wie es zugeht, wie die Medien von außen manipuliert werden, meist von der Politik, vielfach von der Kunstszene. Robert Meyer hat nicht nur mir die Pressekarten versagt, weil ihm nicht passte, was ich geschrieben habe. Eine unfreundliche Kritik in der „Presse“ brachte den Direktor dazu, sich beim Chefredakteur ans Telefon zu hängen und zu verlangen, dass diese Dame nie wieder über die Volksoper schreiben dürfe. Meines Wissens nach hat sie es auch nicht mehr getan (tun dürfen). Oder der Kollege Musikjournalist mit Jahrzehnte langer Reputation, über den sich Markus Hinterhäuser beschwerte, er sei aus privaten Gründen (das Nicht-Engagieren eines Familienmitglieds) ihm gegenüber gehässig. Der gute Mann konnte gar nicht so schnell schauen, da war er draußen – und niemand hat sich je die Mühe gemacht, seine Seite der Geschichte zu hören. Auch eine heutzutage übliche Vorgangsweise – Vorverurteilung und weg. Demokratieverständnis („Audiatur et altera pars“), Anstand, Compliance führt zwar jeder im Mund, gelten für diejenigen an den Schalthebeln der Macht aber nur, wenn man dies für sich selbst fordern will, nicht, wenn man es anderen zugestehen müsste…

Philippe Jordan hat keine Chance. Das Gerücht, die Wiener Philharmoniker wollten nicht mit ihm arbeiten, weil er ihnen nicht gut genug sei, ist – egal, ob richtig oder falsch – in der Welt und wird tausendmal wiederholt werden, bis die Rufschädigung so richtig greift. Das Gerücht „Thielemann ante portas“ (da arbeitet auch „News“ heftig daran) steht im Raum und wird nicht vergehen. Nicht, dass dies ein Schaden wäre, wenn man bereit ist, des Mannes über die Maßen bemerkenswerte Fähigkeiten als Dirigent gegen die persönliche Unliebenswürdigkeit abzuwägen, die man ihm nachsagt. (Wenn es darum geht, Thielemann zu stürzen, fällt das allen gleich wieder ein.)

Nun wird mit harten Bandagen agiert. Jordan hat gesagt, was zu sagen ist, hat sich gegen die Übereinkunft der Leitmedien gestellt, die zwanghaft Regietheater fordern und loben.  Jetzt muss sich zeigen, wie mutig die Leute sind, die ihn einst gut fanden – oder taten sie es nur, um Roscic zu gefallen?

Da hat sich das Blatt total gewendet, da kann jetzt mancher „Fink und  Fliederbusch“ spielen, wie Arthur Schnitzler den Journalisten nannte, der für zwei Blätter total verschiedener Couleur schrieb. In einem Lustspiel. Was in der Realität folgen wird, kann sich zur Tragödie auswachsen.

Auf den Kulturseiten wird es wild zugehen, das ist als Thema zu schön und griffig. Wendehälse („Was gebe ich auf mein Geschwätz von gestern“) werden auf einmal meinen, an Jordan sei ohnedies nicht viel dran gewesen. Ob sich die noch klammheimlichen Roscic-Gegner aus dem Löchern wagen? Eher nicht, noch ist die „Macht“ bei diesem. Und damit legt man sich nicht an. Nicht als Dirigent und nicht als Journalist …

Renate Wagner

 

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