Mein Dank an die digitale Welt
Ich betrachte mich gerne als den letzten analogen Menschen, weil ich die Sozialen Netzwerke sicherlich nie in mein Leben hinein lassen werde, auch sonst manches Zeitgemäße verweigere und es mir nur mühsam gelingt, nicht jedesmal tobsüchtig zu werden, wenn mich wieder eine KI-Stimme auffordert, diesen oder jenen Knopf zu drücken oder sie in Ruhe zu lassen und meine Anfrage online zu erledigen…
Aber unsere Welt hat auch ihre Vorzüge. Wenn man als Opern- und Theaterfreund im Sommer – aus welchen Gründen auch immer – daheim geblieben ist, war man (vor allem in Bezug auf Oper) keinesfalls verloren. Der Tisch war auf den Fernsehschirmen und mit den Internet-Streams am Computer reich gedeckt.
Bayreuth: Tristan und Isolde
Salzburg: Jedermann
Salzburg; Hoffmanns Erzählungen
Salzburg: Der Spieler
Salzburg: Der Idiot
Salzburg: Dudamel Konzert mit Asmik Grigorien
Bregenz, Seebühne: Der Freischütz
Bregenz, Festspielhaus: Tancredi
München: Tosca
Verona: La Boheme
Verona: Turandot
Pesaro: Bianca e Falliero
Pesaro: Il viaggio a Reims
Aix en Provence: Madama Butterfly
Graz, Schloßberg: Ring an einem Abend
St. Margarethen: Aida
Gars am Kamp: Der Liebestrank
Sommerarena Baden: Wiener Blut
Schloßspiele Kobersdorf: Der Diener zweier Herren.
Niemand wird behaupten wollen, es sei dasselbe, „live“ dabei zu sein oder nur die Information über das Gebotene digital zu bekommen – allerdings auf dem viel bequemeren, kostenparenderen Weg. Und ich werde jetzt nicht aufzählen, bei welchen Gelegenheiten ich heilfroh war, den langen Weg und das Geld für die Karten gespart zu haben – aber es war schon einige Male…
Und vieles war doch sehr interessant. Ich habe mit angesehen, wie ein isländischer Regisseur sich den „Tristan“ vorstellt und die Bühne, die andere leer gespielt haben, wieder vollräumt; ich habe erlebt, mit welch hartem, klarem, aber auch gänzlich glanzlosem Blick Meisterregisseur Robert Carsen auf den „Jedermann“ sieht; ich habe mich unendlich gut auf der Bregenzer Seebühne mit Stölzls köstlich frechem, einfallsreichem „Freischütz“ unterhalten (ja, so darf man bearbeiten, besonders an einem solchen Ort). Was man nicht darf, ist das, was in Salzburg mit „Hofmanns Erzählungen“ geschehen ist – eine so brutal zerstörerische Inszenierung gehörte bestraft (und die Hauptrollen-Sängerin gleich mit).
Irgendwie originell fand ich, wie in Baden bei Wien die Zeit stehen geblieben ist. Wenn Dr. Arthur Schnitzler oder Friedrich Hofreiter mit Gattin Genia und k.u.k. Offiziere in die Badener Sommerarena gegangen wären, hätte damals „Wiener Blut“ vermutlich genau so ausgesehen wie heute (nur ohne Schiebedach für Regenfälle). Das muss man sich auch geben… und verständnisvoll lächeln, statt zu spotten oder zu schimpfen.
Danke, digitales Zeitalter, mit dem ich oft auf Kriegsfuß stehe, aber ich weiß, was ich den Errungenschaften unserer Zeit verdanke. In diesem Fall einen reichen Kultursommer.
Renate Wagner