Leute, ihr übertreibt!
Das soll nun nicht meine tägliche Glosse zum Fall Teichtmeister werden, ich bekomme auch kein Honorar dafür, dass ich irgendetwas Verhetzendes hinschmiere – so wie niemand beim „Merker“ auch nur einen Groschen, Entschuldigung, einen Cent für seine Arbeit bekommt. Dafür gewährt man mir etwas Anderes, Wichtigeres – ich darf meine Meinung sagen.
Gelegentlich geht man auf die Straße und pickt bei der Straßenbahnhaltestelle die beiden Gratiszeitungen aus dem Ständer, obwohl sie wahrlich nicht der Mühe wert sind. Aber manchmal erfährt man doch Dinge, die man anderswo nicht liest. Etwa, dass sich zum Teichtmeister-Prozeß fast 40 (!!!) Medien aus Österreich, Deutschland und Frankreich angemeldet hatten. Diese Zahl muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – wie viele Zeitungen und TV-Sender gibt es? Da will absolut jeder dabei sein.
Du liebe Güte, verhandeln wir hier den Fall einen Serienkillers, der ganz Europa in Atem hält, oder über einen Mann, der – wie Tausende, Zehntausende andere auch – Kinderpornos angesehen hat? Schlimm genug, aber ein solches Medienaufkommen? Wo ist da die Proportion, wie wichtig ist so etwas? Geht es um die Sache oder geht es um die künstlich aufgeheizte Sensation, geht es um die Lieblingsbeschäftigung der Menschenjagd? (Man gönnt den Ausländern übrigens den Ärger über sinnlosen Spesenaufwand, Flüge, Züge, Hotels und was sonst noch für ein paar Tage Wien…)
Ich habe einmal kurz überlegt, was man gesagt hätte, wäre es um eine andere Sucht gegangen. Bei Alkohol schon einmal gar nichts in einem Land mit einer Dunkelziffer von 10 Prozent Alkoholikern. Das erinnert mich an eine Geschichte, die mir mein Vater erzählt hat, der in der Zwischenkriegszeit Polizist war. Eines Tages wurde er zu seinem Vorgesetzten gerufen. „Du, da liegt ein Besoffener am Donauufer und lallt, er ist der Werner Krauss. Du, Wagner, bist der einzige, der den kennt. Geh hin und schau, was los ist.“ Mein Vater ging hin, es war der Werner Krauss in desolatem Zustand, und er hat ihn mit allen Anzeichen des Respekts nach Hause gebracht. Niemand hätte den Mann, der an seinem Alkoholproblem zugrunde gegangen ist wie auch sein größter Bewunderer Oskar Werner, dafür verachtet. Leid getan haben sie seinem – wegen ihrer Sucht.
Hätte Teichtmeister „nur“ Kokain geschnupft – was hätte man gedacht? „Du Trottel, da hat Du eine so tolle Karriere, und Dir fällt nichts Besseres ein, als Dir das Hirn aus dem Schädel zu blasen?“ Man hätte den Kopf geschüttelt – und ihn eigentlich bedauert.
Nehmen wir an, er hätte exzessiv „normale“ Pornos geschaut, diejenigen, wo Damen und Herren gegen Entgelt in jeder Hinsicht „ungezwungen“ so tun als ob – und was angeblich leicht zugänglich ist und viel geschaut wird. Man hätte die Achseln gezuckt und gesagt: „Na, Florian, Du Schweinderl, das hätten wir Dir gar nicht zugetraut.“ Und die Sache wäre erledigt gewesen. Sucht als Allerwelts-Vergehen.
Bei Kinderpornographie wird die dauernd so gern zitierte „Rote Linie“ überschritten – und das stimmt fraglos. Aber ein Konsument, auch wenn er als „Mörder der Kinderseelen“ indirekt mitschuldig ist, hat wohl kein „aktives“ Verbrechen begangen (wie so viele Priester, die die Kirche geschützt hat, wie so viele, denen man Kinder anvertraut und von deren Übergriffen man dauernd liest). Hätte Teichtmeister sich je aktiv vergangen, es wäre herausgekommen, ausgeschlachtet worden und er hätte wohl nicht in Freiheit auf seinen Prozeß warten können.
Dennoch sind am geplatzten Prozeßtag Demonstranten vor dem Burgtheater aufmarschiert, haben den Verkehr am Ring eine Zeit lang blockiert und Transparente geschwenkt, auf denen stand; „Null Toleranz für Kinderschänder! Kindesmißbrauch ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“
No na, kann man da nur sagen, wer wird dieser Selbstverständlichkeit widersprechen? Und die Demonstranten haben dazu heftig getrommelt, wie man auf den Fotos sieht. Worum geht es da eigentlich wirklich? Und worum geht es bei dem Medienauflauf bei dem Prozeß?
Geht’s noch? Merkt niemand, wie inadäquat das ist`? Dass sich hier nur eine Gutmenschen-Gesellschaft selbst medial lautstark inszeniert, froh, dass sie ein Opfer gefunden hat, das sie am liebsten vierteilen würde (ja, das war eine Hinrichtungsart von 13. bis ins 18. Jahrhundert!).
Leute, habt Ihr alle Euren Verstand abgegeben in der schönen neuen Medienwelt der künstlichen Emotionen und geifernden Entrüstung? Mir fällt der alte lateinische Spruch ein: Tempora mutantur et nos mutamur in illis (und die Römer hatten ja meistens recht).
Vielleicht sollten wir uns dagegen wehren und davor zurückhalten, mit dem medial diktierten Zeitgeist blind mitzurennen?
Renate Wagner