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APROPOS: „Lernen Sie Geschichte!“

16.03.2019 | Apropos, Feuilleton

„Lernen Sie Geschichte!“

„Lernen Sie Geschichte!“ sagte Bruno Kreisky strafend zu einem Journalisten, der dumm genug war, seine Unbildung merken zu lassen. Und wie recht er doch hatte, der große Kreisky. Man kann’s nicht besser und klarer sagen: Lernen wir Geschichte, denn nichts, absolut nichts auf dieser Welt ist voraussetzungslos zu begreifen und zu erklären. Andererseits fühlen sich die am wohlsten, die am zufriedensten im Sumpf ihrer Unwissenheit tümpeln…

„Geschichte lernen“ bedeutet selbstverständlich in erster Linie, sich mit politischen Entwicklungen auseinanderzusetzen. Der Mensch ist ein „homo politicus“, die Ausrede „Politik interessiert mich nicht“, gilt nicht. Aber es gibt noch andere Geschichte, eine persönliche, die jeder hat. Und Opern- und Theaterfreunde haben die eigene Geschichte ihrer Erlebnisse und daraus resultierenden Erfahrungen. Auch das ist Wissen, ein Wissen, das zählt.

Nun passiert es immer wieder, dass ältere Leute, die natürlich in anderen Welten geprägt und sozialisiert worden sind, im Gespräch mit anderen (oder auch in den Kritiken, die sie schreiben) das eigene Wissen abrufen. Um von der Jugend wild abgemahnt zu werden: Hört doch auf, Ihr ewig Gestrigen, wen interessiert das? Junger Mann, es sollte Euch interessieren – wenn Ihr gescheit seid. (Sonst nicht.)

Es ist das Vorrecht der Jugend, sich selbst für die Allerklügsten und alle anderen für alte Trottel zu halten. Keine Sorge, das regelt sich mit dem Fortschreiten der Jahre (immer vorausgesetzt, dass man klüger wird), man sieht die Dinge dann anders. Weil man auch mehr weiß.

Wer wenig weiß und sich unter Zwergen bewegt, wird diese Zwerge für Riesen halten. Erst wenn er wahre Riesen kennen gelernt hat, wird er (vielleicht) beschämt eingestehen, dass er sich in den Größenverhältnissen geirrt hat. Urteile brauchen Maßstäbe (nicht nur schäumende Selbstgefälligkeit): Wer nicht weiß, wie groß ein Meter ist, wird nicht wissen, dass etwas nur 60 Zentimeter hat – oder auch nicht staunen, wie viel 1,50 Meter sind. Der Vergleich macht sicher.

Und – man muss lernen. Heinrich Schramm-Schiessl, mit dem per e-mail wunderbar zu plaudern ist, hat mich neulich an unsere Stehplatzzeiten gemahnt: „Ich weiß nicht, ob Sie sich am Opernstehplatz noch an die legendäre Frau Brandstetter erinnern können, die immer wieder von Slezak, vom Piccaver usw. geschwärmt hat. Keinem von uns wäre damals eingefallen, sie als rückwärtsgewandt zu bezeichnen, sondern wir haben staunend und manchmal auch beneidend zugehört.“ Und noch etwas, wir hatten, was es heute nicht mehr gibt: Respekt.

Und wie ich mich an Frau Brandstetter erinnere, wie oft bin ich in ihrer Nähe auf meinem Stockerl vor der Staatsoper gehockt (direkt von der Wenzgasse hingefahren, die Aufgaben auf den Knien gemacht)! Sie hat mich auch einmal total zusammengeputzt. Sie sprach von Selma Kurz, die mir kein Begriff war. Ich kannte nur Mimi Coertse, die man („Kurtze“) so ähnlich aussprach. Gott o Gott, als die Frau Brandstetter begriff, wie ungebildet ich bin! Und ich habe mich geniert.

Ich habe dann etwas gemacht, was ich heute noch tue, wenn ich etwas wissen will: Ich kaufe Bücher. Nicht eines, sondern mindestens zwei, drei zu einem Thema. Dann erfährt man im allgemeinen wirklich etwas. Und lernt. Und dann weiß man: Wo wären wir, wenn die Großen der Vergangenheit (Gustav Mahler etwa, Namen schon mal gehört?) an der Institution der Oper nicht so großartig „gearbeitet“ hätten? Wo wären wir, wenn… aber da kann man mit dem Aufzählen gar nicht beginnen. Geschichte kennen.

Ja, und wenn man aus seinem Wissen heraus (und, zugegeben aus der eigenen Prägung) manche Arbeiten heutiger Regisseure (nein, nicht den großen Harry Kupfer, nicht große andere, die sich mit den Werken auseinandersetzen) als plumpes Aufmerksamkeits-Haschen erkennt, tatsächlich oft aus Dummheit, Unkenntnis und Naivität geboren (man höre sich an, was Sänger zu erzählen haben, aber nicht zitiert werden wollen) – darf man dann in einer Welt der Meinungsfreiheit wirklich dafür gerüffelt werden, dass man sich „der neuen Zeit nicht stellt“?

Man stellt sich ihr durchaus, bloß: Gewogen und zu leicht befunden. Aus guten, sehr guten Gründen. Und mit ein bisschen Wissen. Wissen um Geschichte – auf allen Gebieten.

Renate Wagner

 

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