Ins Kino!
Das erste Mail kam gestern von Presse-Lady Claudia Pinter, die für den Verleih Kinostar eine Pressevorführung des Films „Semper Fi“ ankündigte, Action offenbar. Heute schickte sie für Sony Pictures das Ersuchen nach, das Publikum darauf aufmerksam zu machen, dass „Narziß und Goldmund“ wieder zu sehen sein wird – ja, ganz kurz nach dem Filmstart kam Corona, mancher hat es versäumt, nachholen bitte, es ist eine schöne, solide und zu Herzen gehende Literaturverfilmung des großen Hermann Hesse.
Der Filmladen folgte heute per Mail mit der Ankündigung eines Riesenprogramms für die nächsten Wochen – und die anderen kommen wohl auch noch. Zögerlich zwar, denn die Kinobetreiber und die Verleiher wurden offenbar mit der nicht sehr professionellen Meldung „Übermorgen könnt ihr aufsperren“ überrumpelt.
Ahnen die Verantwortlichen nicht, was so ein Kinobetrieb mit sich bringt? Jetzt soll man adhoc – zack, zack gewissermaßen – die Leute aus der Kurzarbeit (wenn nicht gar aus der Kündigung) zurückholen, Säle aufmachen, Putzkolonnen mobilisieren und Desinfektionsecken einrichten, das Computersystem darauf umstellen, dass jeder zweite Platz leer bleibt. Und die Filme bestellen und bekommen?
Sicher, diese werden nicht mehr wie vor noch ein, zwei Jahrzehnten in riesigen Spulen geliefert, die dann von geduldigen und kundigen Vorführern zusammen geklebt wurden. Sie sind wohl per Computer abrufbar, aber auch da steckt jede Menge Logistik dahinter, das braucht Verträge, die Lieferfirmen sind ja auch… na, vielleicht nicht im Dauerschlaf, aber zumindest benommen. Also? So hopp, hopp geht es nicht.
Die Corona-Krise, die sich in eine ausgewachsene Kinokrise verwandelt hat, bringt auch für mich einen zusätzlichen Wermutstropfen: Nicht, dass „Skip“ eine besonders hochwertige Kinozeitschrift gewesen ist, aber es gibt sie, seit ich denken kann – also seit Jahrzehnten. Immer lag das bunte und ziemlich umfangreiche Heft gratis in den Kinos herum, und man konnte es beim Heimfahren in der Straßenbahn durchblättern. Natürlich beherrschten die „Blockbuster“ über viele Seiten das Geschehen (die großen Firmen investierten ja auch das meiste Geld in die Werbung), aber behandelt wurden alle Filme, auch die kleinen, die arthaus-Produktionen für ein spezielles Publikum. Und die Mitarbeiter reisten zu Press-Junkets, man konnte Interviews mit Stars und Regisseuren lesen – kurz, mich hat das immer sehr interessiert.
Und nun gab es gleich nach den Kinoschließungen die Meldung, „Skip“ werde eingestellt, mit der Begründung, dass es ja nun keine Werbung mehr gäbe. Aber tatsächlich hat man den Eindruck, dass die Herausgeber – wie ja auch bei der „Bühne“, die in ihrer bisherigen Form eingestellt wird und bei Red Bull neu herauskommen soll – kein rechtes Interesse mehr an dem Produkt hatten.
Immerhin, im Moment gibt es noch die Website,
https://www.skip.at/kinoprogramm
und die ist nützlich, wenn man wissen will, was in den Kinos gespielt wird. Im Moment noch wenig, aber während die Theater tatsächlich „faul“ sind und nicht mit Schnellschüssen in den Juni gehen (die Liederabende der Staatsoper sind ja nicht sooo aufwendig zu organisieren), werden die Kinos sicher so bald wie möglich „da“ sein.
Und wir Kritiker sollten hoffentlich das Geschehen und die Neuerscheinungen begleiten können. In den Pressevorführungen sitzen ohnedies immer nur ein bis zwei Dutzend Leute in den riesigen Sälen, also wir werden uns schon nicht anstecken. Außerdem haben wir ja, weil die Pressevorführungen oft schon einen Monat vor dem Starttermin stattfinden, schon einiges gesehen.
Ich könnte ad hoc mit einigen Kritiken dienen. Mit „Richard Jewell“ beispielsweise, kein angenehmer Film, aber einer, der dem 90er Clint Eastwood als Regisseur Ehre macht, weil er ein waches Auge auf die medialen Missstände der USA wirft. Oder mit „Seberg“, einer sehr gelungene Biographie über die Schauspielerin Jean Seberg (bemerkenswert gespielt von Kristen Stewart), die zu viel Protest gegen (vor allem rassische) Missstände in sich hatte, um sich in Hollywood einzufügen. Oder mit „Marie Curie“, einem Biopic über die Nobelpreisträgerin, das klar macht, dass ein verständnisvoller Gatte zwar hilfreich war, aber eine Männerwelt damals immer noch völlig willens war, weibliche Leistung in den Hintergrund zu drängen. Oder mit „The Hunt“, einem Film, vor dem sich die Amerikaner in ihrer jetzt so dominierenden politischen Korrektheit regelrecht gefürchtet haben (wohl in dem unangenehmen Gefühl, dass es bei ihnen tatsächlich Leute gibt, die aus Spaß auf „Menschenjagd“ gehen…), Oder mit „Mulan“, die Realverfilmung über die Schwerter schwingende japanische Heldin, die man schon als Zeichentrickfigur gekannt hat und die nun, mit computerisierten Kunststücken, ungemein echt (und sympathisch) wirkt…
Dazu kommen jede Menge deutscher Filme, „Undine“, „Crescendo“, „Das Vorspiel“, „Waren einmal Revoluzzer“, alles interessant, und wenn man Zweifel an diesem und jenem anbringen kann, sind es immer noch die außerordentlichen Schauspieler, von Nina Hoss bis Paula Beer, die legitim locken können, den Fernsehschirm und das Smartphone zugunsten der großen Leinwand hinter sich zu lassen.
Ins Kino!
Renate Wagner