Ich wäre gern dabei gewesen
Mich konnte man mit Kultur nie überfüttern. In meinen großen Zeiten sind mein Mann und ich in London vormittags in zwei große Ausstelllungen und nachmittags und abends noch dreimal ins Theater gegangen, weil die Matineen und Abendvorstellungen oft so geschichtet waren (14, 17 und 20 Uhr) und die Theater im Westend so nahe beieinander lagen (liegen), dass das ohne weiteres möglich war. Und ich wusste alles, was ich gesehen habe, und schrieb darüber…
Ich will nur sagen: Am Silvestertag die gestreamte Burgtheater-Premiere im Kasino anzusehen, die für 18 Uhr angesetzt und mit 50 Minuten terminiert war, und nachher um 19 Uhr rasch zur Staatsopern-„Fledermaus“ zu huschen (sind ja nur ein paar Klicke von einer Website zur anderen), wäre für mich ein Klacks gewesen. Und eine Selbstverständlichkeit, beides zu machen.
Bloß – ich habe, um die Sache in Parallele zu setzen – sozusagen keinen „Test“…
Die Burgtheater-Pressedamen sind immer ausgesucht freundlich zu mir, haben mich selten (na ja, ein paar Mal, aber was soll’s) enttäuscht, und sagten mir auch sofort einen „Pressezugang“ zu, obwohl Culturall die Vorstellung als „ausverkauft“ meldete. Wie kann ein digitales Ereignis „ausverkauft“ sein? Egal, ich verstehe ja offenbar vieles nicht.
Man wollte mir noch Näheres sagen, aber ich war völlig sicher, dass ich dabei sein würde, wenn das Burgtheater Michael Maertens ausschickt, im virtuellen Raum „Die Maschine in mir“ zu zeigen. Da steht er im Kasino, „umgeben von Kameras und mit Blick auf 100 iPads, auf denen die voraufgezeichneten Gesichter der Zuschauer zu sehen sein werden“, wie die APA ankündigte.
Gut, das habe ich schon begriffen, aber dass die Voraussetzung für meine Teilnahme mein ganz persönliches Gesicht sein würde, wurde mir erst klar, als die netten Pressedamen mir diese Anweisungen gaben:
Wir dürfen Sie nun um folgendes bitten:
Bitte laden Sie drei kurze Videos von sich selbst auf unser Portal hoch. So können Sie – auch für Michael Maertens sichtbar – während der Vorstellung im Zuschauerraum des Kasinos digital „Platz nehmen“.
Und so geht’s:
1.Klicken Sie hier: https://upload.xxxxxxxxxxxxxxxxx
und gelangen Sie damit zu unserem Online Portal.
2.Folgen Sie den Anweisungen von Michael Maertens, der Sie durch den Upload leitet.
3.Geschafft!
Sie brauchen dazu einen Computer, Tablet oder Smartphone mit Kamera.
So, jetzt ist es raus. Ich habe keine Ahnung, wie ich mich mit meinem Computer filmen soll (und habe auch nicht die Absicht, es zu tun), besitze weder Tablet noch Smartphone und will es mir auch nicht zulegen, weil ich normalerweise bestens ohne auskomme. Ich bin nämlich eine Verweigerin, auch von sämtlichen Sozialen Medien, von denen ich mir nicht mein Leben ruinieren lasse. (Und ehrlich, ob ich weiß oder nicht, dass die Netrebko Horn bläst, zählt nicht zu den Dingen, die ich für mein Leben als wichtig erachte). Ich will auch nicht mit der Mitwelt teilen, was ich gestern gegessen habe und wie gut es mir geht.
Ich verweigere also die sinnlose Preisgabe meiner Person. Die Corona-Regeln verweigere ich nicht, weil ich sie für vernünftig und verantwortungsvoll halte, aber das steht auf einem anderen Blatt.
Aber Tatsache ist – nun ist es so weit, dass ich nicht mehr an einer virtuellen (!) Theatervorstellung teilnehmen kann, wenn ich mich nicht per Gesicht und Video einbinde. Meine Bitte an die Pressedamen, ob ich nicht einfach zuschauen könnte, wurde freundlich, aber bestimmt abgelehnt. Ich wäre wirklich gerne dabei gewesen, denn meine Neugierde auf Theater aller Art höret nimmer auf. Aber so – nein.
Nun weiß ich ja nicht, ob ich je wieder ins Theater komme. Denn ich würde mich sofort impfen lassen, keine Frage, aber das Testen tu ich mir nicht an, bin ich blöd? Einerseits sperrt man mich ein, was ich gewissermaßen einsehe, andererseits soll ich mir irgendwo online einen Termin holen, dorthin fahren (Öffis voll von Leuten), mich anstellen und unter vielen, vielen Leuten warten, bis ich dran bin – und dann irgendwann erfahren, was ich eh weiß, nämlich, dass ich nicht Corona habe? Was bekanntlich nur für ein, zwei Tage gilt!!! Und vor jeder Theatervorstellung in die Apotheke, die sicher Apothekerpreise für einen Test verlangt, nur damit ich live ins Theater darf? Von dem Kuddelmuddel, das dort bei den „Überprüfungen der Tests“ herrschen wird, ganz zu schweigen.
Ich sehe mich daheim verwelken (zum Glück gibt’s Bücher und DVDs, und zum Glück gibt’s das beschimpfte Amazon, das alles so schnell und verlässlich liefert).
Aber dass ich nicht einmal mehr auf dem Bildschirm dabei sein darf, wenn ich mich weigere, „interaktiv“ zu sein – das gibt mir einen Vorgeschmack auf die Welt, in der mein Sohn sowieso und meine Enkel bald leben werden.
Da kann sich Oma nur verabschieden. Und eine DVD einschieben. Vielleicht wieder einmal den „Peer Gynt“ von Peter Stein…
Renate Wagner