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APROPOS: Ich hätt‘ so viel zu sagen

Ich hätt‘ so viel zu sagen

14.12.2024 | Apropos, Feuilleton

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Ich hätt‘ so viel zu sagen

Ich bin ein Zeitungsleser. Nein, genauer gesagt, ein Internet-Leser, aber es sind ziemlich ausschließlich Zeitungsberichte und -Artikel, die ich mir zu Gemüte führe. Und wie die meisten Menschen denke ich mir etwas zur Lektüre.
Eigentlich möchte ich jeden Tag irgend etwas zu irgend etwas sagen, aber ich erinnere mich an den Ausspruch meines Vaters, wenn ich wieder einmal den Mund unbotmäßig aufgemacht habe: „Dich brauchen wir gerade zum Krenreiben…“

Na ja. Aber immer den Mund halten? Etwa zum Fall Hinterhäuser? Was ist dazu zu sagen? Das die „Cancelerei“ ja doch nicht funktioniert. Hat es wieder einen „weißen alten Mann“ erwischt? Ach was. Schauen wir doch auf den Fall Föttinger. Ein paar Vorwürfe, drei Tage später vergessen (ebenso wie die 15 Millionen Euro, mit denen ihn die Stadt Wien entschuldet hat). Bei Hinterhäuser wird es genau so sein.

Gut, Frau Davydova, die mit wirklich dünnen Vorwänden gekündigt wurde, hat sich gewehrt. Das sind so die Fälle, wo man krampfhaft nach einem Vorwand sucht (und sei er noch so dünn), um jemanden los zu werden. (Man erinnert sich, wie Agnes Husslein wegen „Compliance“-Verstößen, sie hat ihren Hund äußerln führen lassen  – damals kannte man das Wort noch gar nicht, es wurde neu in die Vorwurfs-Diskussion geworfen – aus dem Belvedere entfernt wurde, wie Maria Happel wegen „Unfreundlichkeit“ aus dem Reinhardt-Seminar gemobbt wurde. Geht’s noch? Ja, es hat funktioniert.)

Dass in Salzburg dann der beleidigte, weil abgesägte Michael Sturminger (nicht ganz zu Unrecht, weil  seine „Jedermann“-Inszenierungen immer blöder geworden sind) aufgejault hat – no na. Und sonst? In ein paar Tagen ist alles vergessen.

Nur geärgert hat mich das Geschwurbel, mit dem sich Herr Hinterhäuser nicht „entschuldigt“ hat (irgendwelche Phrasen, am liebsten „Wir nehmen das sehr ernst“, muss man heutzutage schon abdrücken), sondern selbstbewusst erklärte, „dass wir wahrscheinlich sehr sehr gute Festspiele machen“. Also sehr, sehr – doppelt gute.

Also, wenn ich mir das Programm 2025 ansehe, bin ich davon nicht so total überzeugt. Ein Händel, ein Schönberg-Mahler-Progrann, ein Kassandra-Monodram und ein alternativer „Macbeth“ (den echten von Verdi nimmt man wieder auf, damit Asmik Grigorian wieder ihre Hauptrolle bekommt), ein Vivaldi-Verschnitt und ein Peter Eötvös, von Mozart ein Frühwerk und wieder ein Verschnitt von seinen Jugendopern… ich weiß nicht recht, auch wenn ich reich wäre, reizte mich wenig davon, Unsummen dafür zu bezahlen.  

Da wird sich das Publikum wahrscheinlich auf Lisette Oropesa als Maria Stuarda stürzten, aber Belcanto-Kunststücke sind  eigentlich keine Programmpunkte, die ich für Salzburg als notwendig sehe – wo es keinen großen Mozart, keinen Strauss gibt.

Herr Hinterhäuser kann sich für seinen „alternativen“ und ach so mutigen Zugang zu einem Festival-Programm loben lassen, verlängert ist er schon, und daran wird sich nichts ändern, und von den Anschuldigungen gegen seine Person redet morgen schon niemand mehr.

Also, was soll’s?

*

Meine Opernfreunde verstehen mich nicht mehr. Wie konnte ich Lise Davidsen (nach der Met-Übertragung) als Tosca gut finden? Nur, weil ich meine, jede Sängerin, die eine Rolle perfekt singen kann, hat auch das Recht, sie sich auf ihre Persönlichkeit zuzuschneiden?

Nun – man darf ja gescheiter werden. Nach der Wiener Serie (die ich natürlich nicht gesehen habe), wo sie, wie ich höre, ihr New Yorker „Anti-Diven“-Konzept beibehalten hat und vielen einfach leblos vorkam, frage ich mich auch, ob die „Diva“ nicht zur Person und Persönlichkeit der Tosca gehört. Es macht sie glanzvoller und interessanter, wenn sie im ersten Akt Cavaradossi sekkiert, wenn sie im zweiten Akt Scarpia entgegen steht, wenn sie im dritten Akt ihrem Liebhaber zeigt, wie er „come la Tosca in teatro“ seinen Tod spielen soll… Das hat schon was.

Natürlich kann man es auch anders machen. Aber dann gefällt es halt vielen nicht. Das Risiko geht man bei „Um-Interpetationen“ ein.

*

Von wegen Uminterpretationen. Da steht eine voluminöse Frau auf der Bühne des Burgtheaters, in Schlabberhosen und mit Hosenträgern, und behauptet gewissermaßen, sie sei Liliom. Und sie behauptet es nicht nur, zahllose Kritiken bestätigen es ihr in hymnischen Worten. Und ich, die ich die Theaterwelt wieder einmal nicht verstehe, bin von vorvorgestern.

Ich gebe zu – ich mißtraue nicht nur den Politikern (was die sich leisten, da g’hört was dazu!), sondern auch meinen Kritiker-Kollegen. Glauben die wirklich alles, was sie da schreiben? Oder gibt es da nicht Vorgaben – die Reinsperger ist der Star der Stunde, sie ist die Größte, also Jubel? Und wer nicht mit einstimmt, ist daneben, ist draußen, soll gefälligst den Mund halten.

Bitte, erkläre mir einer (jetzt einmal abgesehen davon, ich wage es zu sagen, dass ich die große Leistung, die alle ihr nachsagen, mit meinen Augen nicht gesehen habe) warum Frauen Männerrollen spielen müssen?

Ja, ich weiß, ich habe Theaterwissenschaft studiert und das mit Wonne und Begeisterung, dass Sarah Bernhardt und auch Adele Sandrock den Hamlet gespielt haben, aber das waren die Ausnahmeschauspielerinnen ihrer Epoche, die einfach in der „Rolle der Rollen“ brillieren wollten  (wahrscheinlich aus Jux und Tollerei und um der Sensation willen).

Aber wo ist, wie es im Burgtheater nun dauernd geschieht, der fassbare, erklärbare Grund, dass Monsieur Argan, der eingebildete Kranke, dass Liliom, der Lackl und Hutshenschleuderer, und dass demnächst Tartuffe von einer Frau gespielt werden? Und das nicht von den „Ausnahmeschauspielerinnen“ unserer Zeit (und selbst das wäre kein Grund bei diesen Rollen). Was bringt das, außer einen lächerlichen Bauchfleck vor „Genderfluid“, was für die betroffenen Personen gelten mag, aber sicher nicht für Männer der Weltliteratur?

Und wenn es denn schon geschieht, warum muss man es bejubeln? Na ja, wenn man es nicht tut, hält man sich vielleicht nicht lange auf seinem Theaterkritiker-Sessel. Wer nicht so hundertprozentig vernetzt ist wie Föttinger oder Hinterhäuser, den kann es ganz schnell aus dem Job schleudern. Dann schon lieber eine Hymne auf diesen seltsamen Liliom, der Computer ist geduldig.

Renate Wagner

 

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