Heute schon „Virtue gesignalt“?
Wir werden nicht nur andauernd mit neuen Entwicklungen überschüttet, wir müssen auch ganz schnell die damit verbundene neue Sprache kennen, natürlich auch benützen (in dem Sinn, wie es vorgeschrieben wird) – und danach handeln sowieso.
Das neue Modewort in den USA lautet „Virtue signalling“, also zu Deutsch: „Tugend bekannt geben“, sprich: Zur Schau stellen, dass man unbedingt zu den „Guten“ gehört. Jedem Empörungsschrei sofort mit der nötigen tremolierenden Anteilnahme zustimmen. Und wenn es auch noch so banal ist. Denn wer wird schon Rassismus befürworten? Und ich bin überzeugt, dass ihn ein Großteil der Menschen auch nicht lebt. Aber das reicht nicht: Wenn die Sozialen Medien wieder ihr Gebrüll anstimmen, ist man besser dabei – sonst wird man strafend gerügt, wie es so manchem Promi gegangen ist, der wagte, sich zu irgend einer der täglichen ideologischen Hetzjagden nicht zu äußern.
Natürlich, wenn viel Geld daran hängt… dann merkt sogar Facebook-Chef Mark Zuckerberg, dass er den Dingen nicht einfach ihren Lauf lassen kann. Denn es gibt (man muss sich schließlich vor genau den Geistern, die er mit „Facebook“ erfunden hat, ducken!) ganz schnell einen Ethik-Kodex der Werbewirtschaft. Und die hat beschlossen, Zuckerbergs Soziale Medien, wenn sie nicht „brav“ sind und die Meinung der „Hässlichen“ löschen (sicher, wer mag schon „Hate Postings“), einfach durch Geld-Entzug zu bestrafen.
Man kann sich vorstellen, was es bedeutet, wenn mehr als 90 (!) Unternehmen, darunter Giganten wie Coca-Cola und Unilever, beschlossen haben, nicht mehr bei Zuckerberg zu werben – ganz wie es die Allianz „#StopHateforProfit“ von ihnen in einem Boykottaufruf verlangt. Natürlich rasselt der Wert der Aktie in die Tiefe. Das soll, man muss sich die Summe auf der Zunge zergehen lassen, Zuckerbergs Privatvermögen um 7.2 Milliarden (Milliarden!) Dollar geschrumpft haben! (Jetzt ist er nicht mehr der reichste, sondern nur mehr der viertreichste Mann der Welt!) Zeit, etwas zu unternehmen, ein bisschen „Virtue signalling“ wäre gut. Denn wenn’s ans Eingemachte, wenn’s ans Geld geht…
Ob Zuckerberg mit den Zähnen knirscht, wenn er bedenkt, dass er es war, der mit „Facebook“ alles, was uns heute quält, angestoßen hat – und eine virtuelle Macht kreiert, vor der die reale Macht nun in die Knie geht? Die armen Zauberlehrlinge… wo ist der „Große Meister“, der alles wieder zurecht rückt, der „Verdammt noch mal! Schluß mit dem Blödsinn!“ brüllt.
Auch bei uns geht man brav in die Knie. Wie die stellvertretende Bezirksvorsteherin Mireille Ngosso von der SPÖ verkündet hat (wie? Natürlich über Twitter, einem der Facebook-Nachfolger, der Papst und Trump benützen es auch), hat die „Mohren“-Apotheke in der Wipplinger Straße, eine der drei ältesten Apotheken Wiens, ihre Tradition über Bord geschmissen und wird (nachdem eine Online Petition genügend Druck gemacht hat) ihren Namen und ihr Logo ändern.
Wie gut, wie beruhigend, dass die Alemannen mehr Standfestigkeit beweisen und nicht gleich vor jedem Geschrei zurück weichen und wimmernd in die Knie gehen. Die Vorarlberger Brauerei, die ihr „Mohrenbräu“ seit 200 Jahren verkauft, ist nicht bereit, „ad hoc etwas zu ändern, das 200 Jahre Tradition hat“. Natürlich geht es ihnen um die eingeführte Marke, jeder weiß am „Markt“, was sie wert ist und was es kostet, sie zu ändern (das könnte einen Marktsturz bedeuten).
Aber bitte, es geht auch um Tradition, die man vielleicht nicht so einfach wegschmeißen will. Als Josef Mohr 1784 in Dornbin eine Gaststätte mit angeschlossener Brauerei eröffnete und man das Bier nach der Familie nannte, hatte niemand Rassendiskriminierung im Sinn. Die Firma hat im Moment alle ihre Auftritte auf den Sozialen Netzwerken still gelegt, was ziemlich vernünftig ist, wenn man nicht beschimpft werden will (wie ist das mit Haß-Postings, die nicht sein dürfen? Oder nur in eine Richtung?) Und jedenfalls hat noch niemand den unsäglichen Satz von sich gegeben: „Wir nehmen die Sache sehr ernst.“ Sicher tun sie das. Aber sie wissen auch, dass Mohrenbräu nichts mit Rassismus zu tun hat – es wäre schwachsinnig, das noch betonen zu wollen, weil es im Grunde ohnedies jeder weiß…
Und wenn Autorin Joanne K. Rowlings meinte, ein Mensch, der menstruiert, sei in ihren Augen eine Frau, hat sie mit Sicherheit nicht beabsichtigt, die zahllosen Splittergruppen zwischen Mann und Frau, die mittlerweile anerkannt sind, zu verhöhnen, sie hat wohl nur fest gestellt, was man für eine biologische Tatsache halten könnte. Aber nein – der Shitstorm brach los und kann sie viel Geld kosten.
Eine solche Frau muss doch weg! Wie wäre es damit, zur Strafe ihre „Harry Potter“-Bücher zu verbrennen? Wenn man sich solcherart an der „Cancel-Culture“ beteiligt (von wegen „Kultur“ – und wieder so eine neue Wortschöpfung: Früher hieß das „Juden raus!“. oder?). dann ist das doch „Virtue signalling“ ersten Ranges, nicht wahr?
Renate Wagner