Es geht um den Kopf
Ich will nicht sagen, dass Anton Cupak immer recht hat, wer hat das schon, aber sein Instinkt ist fabelhaft – außerdem ist er nie naiv, wozu viele Menschen neigen. Er wusste, dass Placido Domingo an der Met nicht durchhalten würde, während ich daran dachte, wie viel Nerven er doch in Salzburg gezeigt hat, also vielleicht zieht er den Met-Macbeth trotzig durch. Aber Salzburg war halt eine ganz andere Welt: Kunststück, mit der Präsidentin hinter sich und einem liebenden Publikum vor sich.
Trotzdem – ganz so freiwillig wird Domingos Abgang von der Metropolitan Opera nicht gewesen sein, auch wenn es vermutlich schwer war, sich in einer vergifteten Atmosphäre zu bewegen, wo die schuldlosen Steinewerfer sich offenbar keine Hemmungen auferlegt haben und in puritanischer Selbstgefälligkeit („Ach, wie anders ist der Gute!“) agierten.
Aber es ging um mehr, und die New York Times sagt es ja offen:
By Tuesday morning, State Senator Brad Hoylman, whose district includes Lincoln Center, was calling for Mr. Domingo to be removed from the production — and for Mr. Gelb to be removed from his job if not.
If not!!! Zu Deutsch: Wenn Domingo singt, ist Herr Gelb persönlich dran, kann Herr Gelb gehen. Nun, man kann sich vorstellen, wie diese „einvernehmlichen“ Verhandlungen ausgesehen haben, wenn der Direktor um seinen Kopf bangen, ja kämpfen musste.
Domingo wird sich von den USA zurückziehen (müssen, wollen) und – wie ich in dieser Glosse einmal bereits angedeutet habe – einen Ort in Europa suchen, wo er sicher ist, nicht angespuckt zu werden. Für etwas, das ja noch in keiner Weise „gerichtsanhängig“ geworden ist. So versteht man auch Domingos Aussage, er mache sich „Sorgen um ein Klima, in dem Menschen ohne angemessene Untersuchungen verurteilt werden.“ Aber „Unperson“, wie er so schnell geworden ist (der Fall vom absoluten Gipfel des Olymps was Reputation, Beliebheit und Gagen angeht, in die Müllkippe der kollektiven Verachtung – eine griechische Tragödie), hört ihm ohnedies nicht mehr zu.
Den Kopf, bzw. seine Karriere verloren, hat auch Vittorio Grigolo. Lassen wir wieder die New York Times zu Wort kommen:
Mr. Domingo’s departure occurred the day that news broke that a young star tenor, Vittorio Grigolo, had been suspended by the Royal Opera in London, following an incident on a tour of Japan. Mr. Gelb said he had advised Mr. Grigolo that he would not be welcome to sing in Verdi’s “La Traviata” at the Met this winter unless the Royal Opera’s investigation cleared him
Also, Grigolo soll besser gar nicht mehr daher kommen und Gelbs Stellung gefährden, wobei sein Verhalten – das man eigentlich auf Video sehen wollte, um es zu beurteilen – natürlich in die Kategorie „Wie blöd kann man sein?“ fällt. Die ganze brodelnde, kochende, hochgehypte „Sexual harassment“- Bewegung kann an niemandem in der Welt vorbei gegangen sein („ein der sexuellen Sphäre zugehöriges Verhalten, das die Würde einer Person beeinträchtigt oder dies bezweckt und für die betroffene Person unerwünscht, unangebracht oder anstößig ist“ laut Google), und jeder, der seine fünf Sinne zusammen hat, wird heutzutage seine Hände, ja sogar Blicke kontrollieren, zumal in der Öffentlichkeit. Was Grigolo offenbar, wenn man der Aufregung trauen kann, nicht getan hat – vor dem Vorhang, im Angesicht von allen. Entweder war er besoffen oder er wollte etwas beweisen.
Wie immer, schlecht wird es ihm bekommen. Die Londoner haben ihn (es passierte bei einem Gastspiel des ROH in Tokio) für die letzte Vorstellung rausgeworfen… und was Wien tun wird? Also, ehrlich, ich hätte mich auf seinen „Werther“ am 22. Oktober gefreut, denn er ist ein fabelhafter Sänger und Darsteller: Auf der Website der Staatsoper ist er noch angeführt. Quod licet Placido (der singen darf), non licet Vittorio – das ginge ja dann auch nicht…
Mein Gott, ich möchte nicht in der Haut von Mr. Gelb und auch nicht von Monsieur Meyer stecken – aber am wenigstens in der von Senior Domingo und Signore Grigolo!
Renate Wagner