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APROPOS: Ein bisschen weniger Heuchelei, bitte!

03.10.2022 | Apropos, Feuilleton

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APROPOS: 
Ein bisschen weniger Heuchelei,
bitte!

Also, „Profil“ hat seine Schuldigkeit getan. Dass man Ulrich Seidl Gelegenheit gibt, seine Sicht der Dinge ausführlich darzulegen – selbstverständlich, das ist sozusagen Journalistenpflicht, wenn man sie ernst nimmt. Und die Vorwürfe, Kinder bei den Dreharbeiten zu dem Film „Sparta“ in Rumänien  zumindest emotional „missbraucht“ zu haben, stehen im Raum. Nach „Recherchen“ des „Spiegel“, auf die man Seidl angeblich gerade 48 Stunden Zeit gab, darauf zu reagieren, was er offenbar nicht tat. So platzte die journalistische Bombe ohne Gegendarstellung.

Ulrich Seidl ist seither genügend vorveruteilt worden, vor allem, als man es geschafft hat, „Sparta“ die Weltpremiere beim Toronto-Festival zu vermasseln. Mittlerweile aber hat sich, wie das so ist in unserer perversen Medienwelt, der Wind wieder gedreht. „Sparta“ wurde in San Sebastian gezeigt, hat allerdings – vielleicht aus Vorsicht der Veranstalter, man kann so etwas gegebenenfalls auch bei unabhängigen Jurys schon „richten“ – keinen einzigen Preis davon getragen. Das heißt, der Streifen wäre sang-und klanglos untergegangen, hätte er nicht so viel Vorpropaganda mitgebracht.

Nun wird „Sparta“ bei der Viennale gezeigt werden – den Ansturm kann man sich vorstellen, und nachher wohl auch in den Kinos, wenn alle an Film Interessierten wissen wollen, was es nun „wirklich“ mit der Pädophilengeschichte auf sich hat, die laut Seidl keine ist – oder doch ist, Genaues ist aus seinen Aussagen nicht zu entnehmen.

Auf die Dauer hat ihm der gewaltige Publicity-Schub sicher nicht geschadet – und wenn in ein paar Wochen niemand mehr von allem redet (weil es genug andere künstliche Skandale gibt), wird die Österreichische Filmförderung (nach anfänglicher Empörung, zu der man sich aus Sicherheitsgründen verstand,) schon wieder das Säckel für die nächste Produktion aufmachen… Und mittlerweile hat sich auch „der Verband Filmregie Österreich“ dazu aufgeschwungen, die Vorverurteilung Seidls ihrerseits zu verurteilen. Wie schnell sich das Blatt wenden kann…

Und da ist noch das „Profil“-Interview, das Angelika Hager in der „Morgenpost“ ihres Blattes über den grünen Klee lobt. „Schonungslos“, aber „sachlich“ hätten Stefan Grissemann und Wolfgang Paterno ein mehrstündiges Exklusiv-Interview geführt. Das hohe Seidl-Lob zur Sicherheit inklusive („neben Michael Haneke der international renommierteste österreichische Regisseur“). Und das Lob der „Profil“-Journalisten, ihr „präziser Umgang mit der Wahrheit und die akribische Recherchen des Duos“ wird natürlich auch vermerkt. Selbstlob stinkt nicht, wenn einen sonst keiner lobt.

Gleich zu Beginn der „Morgenpost“ wird folgender Seidl-Satz zitiert: „Die Kinder hatten großen Spaß (…), sie hatten viel mehr Spaß als zu Hause, wo ihre Wirklichkeit eine ganz andere ist. Sie reden heute noch davon, dass sie diese Zeit als Urlaub und Ferien erlebt haben“. Das klingt nun fast danach, als sei Seidl nur nach Rumänien, in eine der ärmsten Gegenden dort, gekommen, um armen Kindern eine schöne Zeit zu verschaffen. Und das ist nun Heuchelei pur – denn vermutlich hat ihn nur (er ist ja Künstler) interessiert, „seinen“ Film zu machen und sonst gar nichts.

Die Redakteure geben sich schonungslos in Sachen „Kindeswohl“, aber wohl einzig zu dem Zweck, dass Seidl sich verteidigen kann. Was, wenn man das Interview genau liest, nicht wirklich gelingt. Da wird schrecklich viel herumgeeiert und herumgeschwurbelt, Genaues erfährt man nicht, am wenigsten über die Hintergründe der „Spiegel“-Geschichte und wer sie angeleiert hat. Ungenannte Mächte, die sich die Leute aussuchen, „die man zu Fall bringen will“, wie Seidl meint? So diffus geht es im Leben wohl nicht zu. Da stehen reale Mächte und Interessen dahinter. Interessiert sich dafür niemand?

Natürlich wird man nie die „Wahrheit“ herausbekommen, wird nie die Widersprüche in den Aussagen aufklären, und wenn die Journalisten noch so sehr in den Seelen der armen rumänischen Kinder stochern, was sie wirklich empfunden haben, wird wohl niemand wagen zu wissen. Eigentlich vermittelt die „Causa Seidl“ vor allem die Lust an der Jagd, die Seidl selbst so oft thematisiert hat und der man hier begegnet. Ja, er soll sich verteidigen dürfen. Sich aber nicht als unschuldsvollen Gutmenschen hinstellen, wie er im „Profil“- Interview immer wieder den Eindruck erwecken möchte…

Nebenbei interessant ist ein wohl nur für Insider durchschaubares Faktum. Was veranlasste den „Falter“, sonst brav auf der Seite von „Standard“ und „Profil“ kämpfend, sich in diesem Fall gegen Seidl zu stellen? Man vermutet ja immer Persönliches hinter solchen Aktionen (und hat wohl auch oft recht damit), aber von der Ideologie her müsste Seidl doch für den „Falter“ „ihr Mann“ sein? Nein, man hat sich genussreich in die moralisierenden Vorwürfe vergraben. Was man als Beobachter dessen, was sich in den Medien abspielt, im Grunde ebenso wenig glaubt wie den anderen ihre „Verteidigung“.

So wird Seidl, der in seinen Filmen Menschen immer zum Spielball seines „bösen Blicks“ macht, einmal selbst  zum Opfer, Höhere Gerechtigkeit? Wer weiß. Das Urteil über das Ganze liegt – wie immer! – im Auge des Betrachters.

Renate Wagner

 

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