Eigenlob … riecht
Man kann in Menschen nicht hineinschauen, man sieht sie ja nur von außen. Martin Kušej wirkt (alles nur Vermutung) wie ein stolzer und selbstbewusster Mann, der sich hinter einem unbeweglichen Gesichtsausdruck versteckt, damit man ja nicht ahnt, was er denkt. Aber selbst, wenn er nicht stolz und selbstbewusst ist – nicht einfach automatisch in die nächsten Jahre als Burgtheaterdirektor durchgewinkt zu werden, ist zweifellos eine Demütigung erster Ordnung. (Warum ging das bei Roscic so fraglos glatt? Der News-Star-Journalist kann ja wohl den Beamten nichts befehlen?)
Also muss Martin Kusej für seine zweite fünfjährige Amtszeit im Haus gewissermaßen „vortanzen“, sich den „Hearings“ stellen, und das vordringlich neben Damen, die er (alles bloße Vermutung) als Provinz-Intendantinnen betrachten wird. (Sogar Maria Happel ist wieder dabei, Volkstheater hat nicht geklappt, Reichenau schon, Burgtheater-Engagement und Reinhardt-Seminar hat sie schon, also warum nicht noch die Burgtheaterdirektion?)
Ein bisschen Publicity für sich selbst muss man schon machen, auch wenn es noch so zuwider ist. Ausgerechnet das „Profil“, wo man ihm nachgesagt hat, das Haus wirke „nicht nur nach außen wie gelähmt“, sondern auch nach innen, es herrsche ein respektloser Umgangston gegenüber mitarbeitenden und künstlerischen Teams, „der bis ins Cholerische gehe“ und es herrsche Willkür und eine „Atmosphäre der Angst“. Starker Tobak.
Wenn nun das „Profil“ Martin Kušej hier die Möglichkeit gibt, darauf zu antworten, muss er das tun (vermutlich unter Zähneknirschen, was natürlich reine Vermutung ist). Und weil sich eigentlich noch niemand gefunden hat, der ihn wirklich lobt, muß er es selbst tun…
Kurz, Martin Kušej versteht die Welt nicht mehr, „Diese Behauptungen machen mich sprachlos“. Von Begriffen wie „cholerisch“, „autoritär“ oder „Angst“ distanziert er sich „aufs Deutlichste“. Vielmehr hält er fest: „Ich gehe jeden Tag freudig ins Burgtheater – und treffe dort auf Menschen, mit denen ich freundlich und kollegial verbunden bin.“
Er muss es ja wissen, er ist ja dabei. Bloß – woher kommen die bösen Verleumdungen über das schlechte Betriebsklima?
Stark seien er und seine Leute aus den Krisen hervor gegangen, „das Ensemble des Burgtheaters ist großartig wie selten zuvor.“ Was sich natürlich leicht behauptet, die Frage ist nur, wer ihm zustimmt. Wer denkt bei den heutigen Stars des Hauses – Bibiana Beglau, Franz Pätzold oder Jan Bülow – automatisch an „Burgtheater!“, wie man es einst bei Pluhar oder Heltau tat, von den früheren Namen ganz zu schweigen? Und wenn Kušej seinen „Ausgangspunkt – die Internationalisierung des Hauses, ein mehrsprachiges und diverses Ensemble“ so sehr lobt, soll er einmal ehrlich einen Großteil seines Publikums fragen, was es von dieser (sprachlich oft nicht zumutbaren) Zwangsbeglückung hält…
Was die mangelnde Auslastung betrifft, so ist Kušej nicht der einzige Direktor, der da „nichts dafür“ kann – Pandemie, nicht wahr? „Ich rechne da übrigens mit einer verlässlichen und weiter steigenden Unterstützung durch unser Publikum, das neugierig und erlebnishungrig in unsere Aufführungen kommt. Aus vielen, vielen Begegnungen weiß ich, dass unsere Arbeit außerordentlich geschätzt wird.“
Wie gesagt, kommt darauf an, wen man fragt.
Wenn Kušej „Automatenbüfett“, „Maria Stuart“, „Geschlossene Gesellschaft“ und neuerdings „Nebenan“ als „unsere absoluten Highlights beim Publikum“ bezeichnet, so nennt er bei vier Produktionen drei unter seiner Regie. Ob in der „Maria Stuart“ nicht die nackten Hintern der Herren-Staffage tiefer und ärgerlicher in Erinnerung bleiben als die beiden Königinnen? Sicher, „Geschlossene Gesellschaft“ ist für das Publikum kein Risiko, sauber inszeniert, und Tobias Moretti wollen die Wiener immer live sehen. Was „Nebenan“ betrifft, so ist der Befund nicht so einfach – da hat Kušej wohl dem knieweichen Stück von Daniel Kehlmann nicht die optimale Realisierung zuteil werden lassen.
Aber wenn einen sonst niemand lobt, muss man es, wie gesagt, selbst tun…
Und zu den „Troerinnen“, die Kušej unter den „herausragenden Inszenierungen“ führt, könnte ich ein Mail meiner Schulfreundin (noch aus der Wenzgasse!) beisteuern, die mir völlig ratlos schrieb, was der Abend eigentlich sollte. Und diese Schulkollegin Gitti war immer die beste und klügste in der Klasse.
Nun kann man nur hoffen, dass die Findungskommission sich nicht darauf fixiert, es „müsse“ eine Frau sein, denn das wäre im Sinn der Gleichstellung und Gleichberechtigung ungeheuerlich. Hoffentlich (für ihn) bekommt Kušejj seine Verlängerung, kann den Kopf schütteln und fragen: „Warum nicht gleich?“
Wenn nicht, ist die Demütigung für einen Mann wie ihn (auch wenn er einer der derzeit so unbeliebten „weißen alten Männern“ ist, ist sein Prestige in der deutschsprachigen Theatergeschichte ja schon fest geschrieben) ungeheuerlich. Dann wäre er nicht der erste, der Wien wutentbrannt den Rücken kehrt und meinte (wie einst Peymann), wir seien seiner ja gar nicht würdig.
Was ist an all dem wichtig? Dass in den nächsten fünf Jahren am Burgtheater gutes Theater gemacht wird. Nicht nur politisch überkorrekte konzeptionelle Kunst, wo Diversität wichtiger ist als Qualität, sondern „Theater“, wie man es in Wien versteht. Sinnlich sozusagen statt nur stur und ausschließlich kopfig.
Renate Wagner