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APROPOS: Die Ballade von der Unverhältnismäßigkeit

04.08.2018 | Apropos, Feuilleton

APROPOS:
Die Ballade von der Unverhältnismäßigkeit

Wäre ich ein Unternehmer im Druckereigewerbe, ich würde auf eine Zukunftsmarke setzen. In der Art eines Rechnungsbuchs, nur dass die einzelnen Scheine (mit zwei Durchschlägen, zum Herausnehmen, je einer für die Beteiligten und einer fürs Archiv) folgenden Text enthielten:

_________________________

Ich, ……………….,
erkläre mich mit einmaligem Beischlaf mit
…………………
ausdrücklich einverstanden.
Ausgenommen:
° Küssen
° Fellatio
° Cunnilingus
° Sado Maso
° Sonstiges (bitte genau ausführen)
(Zutreffendes bitte ankreuzen)
Datum, Zeitraum
(denn was um 20 Uhr gilt, muss nicht mehr für 22 Uhr gelten),
Ort, Unterschrift
……………………………………..
Mit Unterschrift zur Kenntnis genommen und bestätigt vom Antragsteller
…………………………………………
Dieses Dokument kann bei Gericht vorgelegt werden
________________________________________________

Das mit den Zeugen wird nicht immer so leicht sein… Da bliebe übrigens auch – weil die Stempelmarken ja abgeschafft sind – das Problem des Amtsstempels offen… Aber mit solchen beamtigen Lappalien könnten sich die Frauenministerien der Welt befassen.

Wird die Zukunft so aussehen? Oder wird diese ganze Welle von Anklagen (wo sicher neben berechtigten Angriffen auch Verleumdungen dabei sind) irgendwann verschwinden, so wie sie gekommen ist – und neuen Erregungen im Netz Platz machen?

Es geht ja heutzutage alles so schrecklich schnell. Schlagzeile Gatti, und schon ist die Schlagzeile Kuhn Schnee von gestern. Nur wie seine Mitwelt ihn ansieht, schräg nämlich, das wird ihm jedenfalls bleiben.

Man kennt ja das Phänomen des Internets (in dem Film „Cleaners“ wurde das auch sehr klar ausgeführt): Aufmerksamkeit ist ein Endprodukt, das man nur noch erreicht, wenn man die Dosis der Erregung immer höher schraubt – darum die schrecklichen Szenen von Hinrichtungen, damit die Terroristen ihre Zugriffe bekommen, darum die immer hektischeren, immer schamloser manipulierten Anklagen in allen Belangen, die unseren Alltag betreffen, darum die immer größeren Namen, die man ins Gespräch werfen muss, um entsprechend in aller Welt Geschrei zu erregen.

Wen interessiert es, wenn Orchestermitglieder oder Verwaltungsbeamte, deren Namen nur die unmittelbare Umwelt kennt, wegen Anklagen sexueller Natur hinausgeworfen werden – schlimm genug für die Beteiligten, die solcherart angeschüttet (zu Recht oder zu Unrecht) durchs Leben gehen müssen. Aber so richtig süffig wird es nur, wenn man sich in kristallinen Höhen bewegt, wenn ein „Erlkönig“ zu Fall gebracht wird oder man sinnlos Lebenszeit mit den Spekulationen verschwenden kann: Wird Katharina Wagner einem solcherart in Verdacht geratenen Mann (der ja plötzlich kein hoch geschätzter Künstler mehr ist, sondern nur noch eine Peinlichkeit, die man „sehr ernst nimmt“) den „Ring“ dirigieren lassen?

Brechts „Ballade von der Unzulänglichkeit des menschlichen Planens“ ist längst zur Ballade von der Unverhältnismäßigkeit des menschlichen Handelns geworden.

Renate Wagner

 

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