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APROPOS: Die armen Opfer

23.06.2022 | Apropos, Feuilleton

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Die armen Opfer

Da hätte man doch gedacht, das Thema sei langsam ausgestanden. Placido Domingo singt ja doch überall in Europa, obwohl man ihn so vielfach beschuldigt hat, ein Schmutzian zu sein, Kevin Spacey wird wegen  schwuler Belästigungen vor Jahrzehnten wenigstens nicht sofort ins Gefängnis gesteckt wie Boris Becker für seine Steuertricks. Freilich, Woody Allen dreht keine Filme mehr (was grundsätzlich schade ist), und James Levine ist tot und hat es ausgestanden, dass sein Leben zerstört war.

Man hatte auch den Eindruck, bei dem geschmacklosen Prozeß des Ehepaares Amber Head und Johnny Depp einen Bruch in der „metoo“-Debatte zu sehen, denn die Dame war offenbar zu sicher, dass sie nur Beschuldgiungen erheben müsse und schon in den Status der tragischen Heldin erhoben würde. Doch nein, die männliche Fraktion war stärker – oder hat man inzwischen mitbekommen, dass es zu einfach geworden ist, bloß eine Anklage zu erheben (egal, wie lange es her ist, egal, ob man sie beweisen kann oder nicht) und das „Netz“ heult auf jeden Fall auf…

Kurz und gut, man dachte, das war’s jetzt langsam. Bewusst gemacht,  ausdiskutiert, Neustart, die Männer (oder auch Frauen an der Macht?) wissen, dass sie sich nicht mehr alles erlauben dürfen. Weniger noch – gar nichts mehr. Keine Machtspielchen. Und schon gar keine sexuellen Übergriffe, und seien es auch nur blöde Bemerkungen.

Aber offenbar ist die Opferrolle zu schön, sonst kann man sich nicht erklären, warum das schale Süppchen plötzlich wieder aufgekocht wird. Dabei nennt die Wiener Regisseurin Katharina Mückstein, die die Diskussion jetzt wieder angezündet hat, nicht einmal Namen – und das wäre doch das einzig Süffige an der Sache! Anonymisiert, ohne dass man mit dem Finger auf jemanden (möglich Berühmten bitte!) zeigen kann – ist denn das lustig?  Aber nun geht es unter dem Hashtag #we_do! erneut um Missbrauchsfälle in der Film- und Theaterbranche (mein Gott, die Jahrhunderte alte Tradition der Besetzungscouch!), wobei auch die Filmakademie Wien ins Schussfeld geriet.

Die Verantwortlichen lassen dann stets die schlimmste Phrase los, so gebetsmühlenhaft geleiert, dass man sie schon nicht mehr hören kann: „Wir nehmen das sehr ernst.“ Na gut, und was soll es bringen? Nicht nur den Wandel des Verhaltens (ohnedies nur aus Furcht davor, gnadenlos bloß gestellt und beschuldigt zu werden), sondern echter, überzeugter Wandel des Bewusstseins? Frauen sind keine Sexobjekte (mehr), basta. Männer übrigens auch nicht. Haben wir das eigentlich nicht schon begriffen?

Entsteht nicht der schreckliche Eindruck, es gehöre zum guten Ton einer attraktiven Frau, von sich behaupten zu können: „Auch mir hat jemand gesagt, dass er mich f…will, und ich habe enormen seelischen Schaden davon getragen“? Klingt ein bisschen angeberisch und selbstgefällig, nicht wahr? Wie wehleidig, wie lebensuntüchtig muss man sein, um mit diesen (sicherlich zu überwindenden) Widrigkeien des Alltags nicht fertig zu werden? Schlimmer als Mobbing in der Schule, als Verleumdungen und Bloßstellungen im Netz und was einem noch alles so passiert im harten Leben (die wahren Härten wie Gewalt in der Familie oder echte Armut gar nicht zu erwähnen –  und schon gar nicht echte körperliche Verletzungen wie Prügel und Vergewaltigung)?

Liebe Frauen, die es angeht: Ist Euch das Aufbauschen von Kleinigkeiten in Großigkeiten nicht schon selbst langweilig und peinlich? Besteht das Leben nur noch darin, sich vor Kameras auszuschluchzen, dass Gustav Kuhn mit dem Ellbogen an meinen Busen angekommen ist, pfui, pfui, pfui?

Und was erwarten sich Frauen in empörter, aggressiver Opfermiene von Männern eigentlich? Gar keine „Anmache“ mehr, gar kein Spiel der Geschlechter, aus Angst, mißverstnaden zu werden, am Ende  gar kein Sex mehr? Na gut, man hat ohnedies nicht viel Zeit dafür, man muss ja Karriere machen. Geh ins Kloster, Ophelia. Und du, Hamlet, geh in den Puff. Da zahlst Du, und wenn Du Dich benimmst (was sicher die meisten hoffentlich tun, Sonderwünsche kosten extra), haben die Herren in der Folge keine Probleme mit weiblichen Befindlichkeiten.

Denn die Frauen wissen im Moment nicht, ob sie superstark und wehrhaft sind – oder arme lamentierende Opfer. Vielleicht entscheiden sie sich einmal und stellen den (menschlichen und sexuellen) Dialog zwischen den Geschlechtern auf eine neue Basis.

Renate Wagner

 

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