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APROPOS: Der Unsicherheitsfaktor „Mensch“

24.04.2020 | Apropos, Feuilleton

Der Unsicherheitsfaktor „Mensch“

Neulich sah ich in einer deutschen Nachrichtensendung einen deutschen Politiker, ich kenne ihn nicht, ich weiß nicht, wen ich zitiere. Aber er sagte, man müsse die Verantwortung für das weitere Geschehen wieder in die Hand der einzelnen Menschen legen. Hurra, nichts anderes wollten wir hören.

Aber da stock’ ich schon – denn wer garantiert, dass der Mensch ein intelligentes, veranwortungsbewußtes, soziales (also auch auf das Wohl seiner Umwelt orientiertes) Wesen ist, dem man diese „Selbstverwaltung“ seines Schicksals ohne zu zögern anvertrauen kann?

Ich erinnere mich mit Kopfschütteln an das Foto einer amerikanischen Mutter, die mit einem Haufen Kinder eng gedrängt im Gras sitzt, umgeben von Transparenten: „My Rights are from God“ und „My Rights are not from the Government“. Zu Deutsch: Ich lasse mir nicht vorschreiben, mich und die Meinen zu schützen, und auch nicht, dass ich möglichst niemanden gefährden soll. Ich bin ich und basta…

Die Beispiele, dass Wenige verderben, was viele richtig zu machen suchen (Umfragen sagen, dass in Österreich 90 Prozent der Bevölkerung die Vorgaben der Regierung für sinnvoll halten und mittragen), sind leider zahlreich.

Schweden ist das Musterland für das, was DDr. Christian Fiala predigt (zuletzt in einem langen Interview von „News“, das beleidigt ist, nicht wie Dichands und Fellner angeblich von Kurz „gekauft“ zu sein und folglich aus allen Rohren schießt): Dass Covid-19 ein Virus sei wie alle anderen auch und alle Maßnahmen der Regierung sinnlos und schädlich sind, dass wir am besten täten, „Corona“ zu ignorieren, darüber hinweg zu leben und zu warten, bis es (wie die Grippe) einmal aufhört, was angeblich in der heißen Jahreszeit ohnedies der Fall sein wird. Ja, wenn man dessen sicher sein könnte, wenn irgendjemand irgend etwas so genau wüsste, dass er definitive und richtige Entscheidungen treffen kann!

Zurück zu Schweden, wo man alles offen gehalten hat, jetzt aber überlegt, Restaurants und Kaffeehäuser doch zu schließen, weil die Menschen sich nicht an die Vorsichts- und Abstandsregeln halten. Ratschläge der Regierung braucht man offenbar nicht zu befolgen – und wenn die Schweden jetzt etwas härter agieren und erklären, es handle sich sehr wohl um Richtlinien, die zu befolgen seien, werden sie nach all der liberalen Freizügigkeit, die sie bis jetzt gezeigt haben, die Leute zum Umdenken und verantwortungvollen Handeln bringen?

Ja, gerade habe ich auch gelesen, dass man im Großraum Sydney die geöffneten Strände nach wenigen Tagen wieder geschlossen habe. Weil das Ersuchen, dass dort nur wenige Menschen Sport betreiben sollten und im übrigen nicht zusammen rücken, absolut nicht befolgt wurde. Statt dessen war für die Australier offenbar Party, Party angesagt. Was soll man nun machen? Wenn man durch Verbote doch die Bürgerrechte beschränkt! Wenn man doch dem österreichischen Kanzler einen Shitstorm an den Hals hetzt, wenn er einfach sagt, es sei keine Schande, seine Kinder in Betreuung zu geben, damit man wieder arbeiten gehen kann… Auch die Journalisten, die das aufbauschen, gehören auch und leider sehr zum Unsicherheitsfaktor Mensch.

Und die Kultur, die uns allen so am Herzen liegt? Werden wir alle neues Verhalten lernen? Werden jetzt alle, die (glücklicherweise sehnsüchtig) in die Museen streben, bedenken, sich beim Anstellen nicht zu drängeln, vor Bildern nicht auf den Nebenmann aufzurücken, damit man bessere Sicht bekommt?

Und die Theater? Keine Ahnung, was Bogdan Roscic am Sonntag verkündet, aber es gibt noch keinen Orchestergraben der Welt, wo Musiker mit einem Meter Abstand von einander sitzen können (abgesehen davon, dass man viel mehr Notenpulte bräuchte, wenn Musiker nicht mehr ein Notenmaterial teilen können). Und auf der Bühne? Bleib mir vom Leib, Aida, ich kann Dich leider nicht einmal im Tod umarmen? Und die Zuschauer? Stundenlang mit Maske vor dem Gesicht in einem geschlossenen Raum – das kann zu Panikattacken führen!

Ich habe auch schon Erwägungen gehört, man könne in Salzburg beim „Jedermann“ im Freien (und nur dort) nur jeden zweiten Sitz  belegen. Wer bekommt dann, beim überlaufensten Stück, die Karten, von denen nur noch die Hälfte zur Verfügung steht? Und – rechnet sich das Ganze überhaupt noch, denn die Stars werden wohl Gagenreduktion auf die Hälfte nicht gerne sehen. ..

Wie soll das Ganze funktionieren? Ich weiß nur eines, dass niemand, auch kein Politiker in die Zukunft schauen kann. Und sie müssen Entscheidungen treffen, die – dramatisch gesagt – Leben und Tod betreffen. Auch wenn Frau Lunacek mehr von dem verstünde, was ihr anvertraut ist, wäre sie nicht gescheiter. (Aber in Österreich war man ja immer der Ansicht, Politiker müssten von dem, was sie tun, nichts verstehen – Claudia Schmied bekam einst angeboten, sich das Ressort auszusuchen, das sie wolle, und da hat sich die Bankerin „halt“ die Kultur genommen…)

In Wien marschierten 200 Demonstranten und trugen Transparente wie „Lieber in FREIHEIT sterben als LEBEN in euren Verordnungen“. Quod erat demonstrandum. Wenn es nicht den „Unsicherheitsfaktor Mensch“ gäbe, könnte man vielleicht etwas riskieren. Aber da man es besser weiß… was tun? Der Vorhang zu und alle Fragen offen?

Renate Wagner

 

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