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APROPOS. Der „Un.Mensch“ ist stärker

Der „Un.Mensch“ ist stärker

21.11.2024 | Apropos, Feuilleton

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Der „Un.Mensch“ ist stärker

Wie jeder arbeitende Mensch (vermutlich) verbringe ich viel Zeit am Computer. Mit dem Selber-Schreiben (noch), aber mehr mit dem Surfen, das bei mir nicht Chatten oder Pornos-Suchen bedeutet, sondern schlicht und einfach von Tag  zu Tag immer neu zu recherchieren. Denn auch, wenn ich mir „nur“ die neusten Nachrichten der Weltpolitik hole, gehört das zu meiner „Bildung“ als Mensch, der einfach wissen sollte, was auf der Welt los ist. Also, ob der internationale Haftbefehl gegen Netanjahu durchzusetzen ist – Putin hat ja auch noch keiner verhaftet, und der jettet in der Welt umher…

Na ja, ich lese auch, dass eine Banane mit Tixo-Band in unserer völlig verrückt gewordenen Welt um 6,2 Millionen Dollar versteigert werden kann (!!!!!!!!! Wie viele Rufzeichen braucht man da?), aber auch so vernünftige Meldungen wie jene, dass Philippe Jordan 2027 Chef in Paris wird, also nach seinem mutigen Streit mit Bogdan Roscic nicht im Regen stehen bleiben wird. (Man weiß ja, dass mächtige Leute schon manche Karrieren ruiniert haben.)

Vor allem aber lese ich über Politik und Zeitgeschehen. Dass ich in einer so ideologisch geprägten Medienlandschaft wie der unseren (niemand wage das Wort „unabhängig“ in den Mund zu nehmen!!!), zwischen links und rechts herumlese  (die „Mitte“ ist abhanden gekommen) und nur versuche, den Schmarrn zu vermeiden (es interessiert mich nicht, was Harry tut), ist ohnedies klar.

Nun, apropos Mensch: Da lese ich eben in „News“, dass K I nicht aufzuhalten und kein Job mehr sicher ist. Also, dass es nicht aufzuhalten ist, glaube ich mit Sicherheit, weil es in der Natur des Menschen liegt, alles auszureizen, was er nur kann, selbst wenn er sich dabei selbst eines Tages abschafft – in Sci-Fi-Filmen oder Romanen ) ist es oft genug beschworen worden. („Game Over“ von Philip Kerr hat mich da sehr beeindruckt, obwohl hier nur High Tech, nicht K I den Menschen ausgetrickst hat.)

Also, K I wird mich in der Recherche überholen. Klar, ich kann nicht Millionen und Abermillionen Webseiten in Sekundenschnelle durchrasen, abgesehen davon, dass die Informationen in den meisten Fällen ohnedies wertlos sind (und K I natürlich Wichtiges von Blödsinn unterscheiden kann, oder?). Im allgemein finde ich als Normalmensch (den gibt es) das meiste in vernünftiger Zeit, und wenn das Netz nicht reicht, habe ich noch ein paar tausend Bücher daheim, die mir helfen, Details ausfindig zu machen. (Natürlich sie brauchen Platz, und Papier ist eine Verschwendung der Natur-Ressourcen, also will ich gar nicht daran denken, was nach meinem Tod mit meinen armen Büchern geschieht.)

Nun, ich lese auch in dem News-Artikel  – soll mich das freuen? – dass Menschen zumal in Österreich K I skeptisch gegenüber stehen, aber, wehe, wehe, damit versäumen wir die Entwicklung, den Fortschritt, sowieso alles.

Und natürlich ist so ein digitales Etwas, das angeblich wie der Super-Super-Super-Mensch funktioniert, als „Un.Mensch“ dem Echt-Menschen nicht nur in Geschwindigkeit und Vernetzung überlegen. Er /Sie / Es muss nicht essen, trinken, schlafen, geht nicht aufs Klo, plaudert nicht in der Arbeitszeit mit Kollegen (oder surft gar privat im Internet), hat vor allem keine Wünsche (Schaufenster mit neuer Mode sollten ihn nicht interessieren), verlangt nicht rabiat eine Tee-Pause wie die Briten  und besteht nicht auf die Anerkennung von Überstunden, jammert und motzt nicht, tut, was man ihm sagt (und wahrscheinlich vieles darüber hinaus, was man ihm nicht zu sagen braucht), kostet – wenn man ihn einmal hat (teuer ist er ja wohl) kein Honorar mehr. Kurz, all die lästigen Eigenschaften von Menschen gehen K i -Programmen ab. Und dass die Maschinen tatsächlich Gefühle entwickeln, wie es Maria Schrader in ihrem schönen Film „Ich bin dein Mensch“ gezeigt hat… das ist ja wohl Fiktion. Die hochgradige Verwendbarkeit von K I besteht ja darin, keine menschlichen Schwächen zu haben.

Aber wird K I , wenn ich einmal doch aufhöre, für mich die Öffis nehmen, ins Theater an der Wien fahren, sich auf einen Stuhl setzen, eine Opernvorstellung sehen (wie`) und darüber schreiben – auch wie, wenn es nur Fakten zu den Werken und Vorberichte gibt, aber keinen lebendigen Eindruck?

Allerdings hört man, wie ich in dem Artikel lese, dass K I die menschliche Intelligenz in ein paar Jahren in jeder Hinsicht übertreffen wird. Na, warten wir’s ab…

Wenn ich zum nächsten News-Artikel klicke und mich (ich gebe zu, das Thema ist labrig) darüber informieren will, „Warum Rechtspopulisten oft das Gegenteil von ‚traditionellen Familienwerten‘ leben“, finde ich bei der Autoren-Zeile nur den Hinweis „Hier schreibt die Online-Redaktion von News“. Nichts ist personalisiert, es gibt kein Foto, keinen Namen, nur das Kopf Rumpf Logo von Nobody, No Name. Bilde ich mir jetzt ein, dass der Artikel wirklich leer ist, zusammen geschriebene Fakten mit auf der Hand liegenden, sicher oft geäußerten Meinungen über die Doppelmoral der Politiker?

Nun ja, K I wird kommen. Es ist so vieles gekommen, was man sich nie hätte vorstellen können. Was würde Julius Caesar sagen, wenn man ihn in eine U-Bahn setzte, wo absolut jeder in sein Smartphone schaut, als wäre es ihm an der Hand angewachsen? Nun, der Mann war hoch intelligent. Ich denke, er wäre höchst  interessiert daran, was da abgeht … Vielleicht würde er eine Art religiösen Wahns diagnostizieren?

Wir Menschen des 20. Jahrhunderts haben alle Entwicklungen des 21. mitgemacht. Es wird uns, wie bisher, nichts erspart bleiben.

Renate Wagner

 

 

 

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