Der Fall Depardieu:
Weil er halt nicht brav ist…
Der Fall Depardieu geht über die Grenzen Frankreichs hinaus, weil er eben ein Weltstar ist, weil Film als Medium raumübergreifender wirkt als jedes andere. Ihn kennt man in Europa und in China, in Afrika und Südamerika, überall, wo es Kino gibt. Und fraglos hat Depardieu im Lauf einer langen und erfolgreichen Karriere unzählige Menschen erreicht. Als möglicherweise kontroverser, aber immer faszinierender Darsteller (zuletzt als überraschend stiller, melancholischer Kommissar Maigret).
So wissen alle, wir wissen alle, von wem und wovon die Rede ist. Der Mann war immer unangepasst. Hat getan, was er wollte, hat sich nie geduckt. Als noch andere Werte und Regeln galten, hat man ihn als mutigen freien Geist hoch gepriesen.
Und dann kam diese entsetzliche (ach so verlogene, weil nur als Mittel zum Zweck benützte) moralische Wende, dann kamen die Sozialen Medien mit ihren künstlichen Aufregungen, dann kamen die Hexenjagden. Manche (man denke an den großen James Levine) wurden davon ruiniert. Andere in den Tod getrieben. Andere (wie Woody Allen, der wohl trotz seines Alters noch immer gerne jedes Jahr einen Film drehen würde) wurden zum Schweigen gebracht.
Und nun erwischt es Gerard Depardieu. Ein Künstler einerseits, und ein ungebärdiger Mensch. Ein Mann, der möglicherweise (es gilt die Unschuldsvermutung – hatte er es wirklich nötig?) Frauen nicht nur bedrängt, sondern ihnen auch Gewalt angetan hat. Was zu ahnden ist. Doch schlimmer, und darum geht es eigentlich: Er hat nicht mit der Menge gebuckelt (wie lautet die widerliche Phrase, mit der sich alle schützen: „Wir nehmen das sehr ernst“), er hat den Mund nicht gehalten, sich fröhlich despektierlich geäußert, wie es früher möglich war. So wie Catherine Deneuve beklagte, sie wolle nicht in jedem Mann, der ihr Knie getätschelt hat, einen verdammenswürdigen Aggressor sehen Das ist das heute übliche unproportionale Aufbauschen von Petitessen, nur um ein Ziel zu erreichen.
Gerard Depardieu hat sich vermutlich schlecht benommen. Wie hassenswert, verfolgenswert, verachtenswert das auch Einzelnen erscheinen will: Es geht um die Hexenjagd. Aber am Ende sind es die Hexenjäger, die eines Tages draufzahlen werden, wenn der Wind sich wieder dreht. (Auch Robespierre bestieg am Ende das Schafott, das er so vielen bereitet hatte.)
Immerhin – es gibt hier einen Lichtstrahl am Horizont. So wie Markus Söder sich einer Medienintrige nicht gebeugt hat, nicht (wie in Österreich vielfach erlebt) sofort in die Knie gegangen ist und folglich Hubert Aiwanger nicht hat fallen lassen für etwas, was dieser Jahrzehnte davor als dummer Bub getan haben mag, so riskierte Emmanuel Macron, sich für Depardieu einzusetzen – und er riskierte wirklich etwas, denn der berühmte „Shitstorm“ ließ nicht auf sich warten. Keiner steht so hoch, dass man ihn nicht im Namen der Moral anpinkeln darf.
Aber nun haben auch über 50 Kollegen eine Erklärung für Depardieu abgegeben, einerseits erschüttert über den „„Hass, der sich über seine Person ergießt“, andererseits über die klare „Missachtung der Unschuldsvermutung“. Denn wie üblich – Placido Domingo, dem Amerika für seine Karriere verloren ging, kann ein Lied davon singen – wird verurteilt, ohne dass der Beschuldigte auch wirklich etwas dazu sagen könnte. Es geht ja auch nicht um Schuld und Unschuld – Hauptsache, man hat einen Vorwand gefunden, jemand Unliebsamen (Putin? Korea? Pfui!) zu vernichten. Nein, wirklich, dieser Depardieu ist nie brav in dem Strom der politischen Korrektheit geschwommen. Dafür erwischen wir ihn schon noch…
Eines Tages werden nicht nur die immer Besonnenen, immer Vernünftigen zu Wort kommen, während die anderen möglicherweise aufwachen werden: Wie konnte das geschehen? Wieso hat sich die Welt in den Dienst eines geifernden Mobs gestellt, der sich einzelne Opfer vornahm, in der Hoffnung, sie ins Elend und vielleicht sogar in den Tod zu treiben?
Hallo, Welt, wann wachst Du auf? Wir leben in üblen; schrecklichen Zeiten, unfrei in unseren Meinungen, die terroristisch geknebelt werden, unter der Diktatur von seltsamen, sinisteren Mächten (man könnte glatt zum Verschwörungstheoretiker werden bei der Frage, wer da dahinter steckt). Aber es kann Hoffnung geben. Wie heißt es in einem der schönsten Brecht-Gedichte? „Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.“
Renate Wagner