Dass nicht sein kann, was nicht sein darf…
Denn, so schließt er messerscharf, dass nicht sein kann, was nicht sein darf… das hat (in leicht variierter Form) schon Christian Morgensterns Palmström gewusst
Als Filmjournalist wurde man in letzter Minute von der Nachricht überrascht, dass der Sony Konzern die Pressevorführung von „No hard feelings“ abgesagt hat. Es gab keine Begründung (und genügend Kollegen haben es doch geschafft, den Film zu sehen und zu rezensieren).
Was waren die Überlegungen, oder, genauer gesagt, Ängste, die hinter diesem Entschluß steckten?
Man wolle das „Groomng“ nicht unnötig thematisieren, hieß es unter vorgehaltener Hand (Wikipedia: Als Grooming (zu Deutsch sinngemäß „Anbahnung“) wird die gezielte Kontaktaufnahme Erwachsener mit Minderjährigen in Missbrauchsabsicht bezeichnet.)
Wie bitte? Weil eine junge, wenn auch nicht mehr ganz junge Frau einen Teenager verführen soll? Alte Frau – junger Mann, nein, das geht gar nicht, während alter Mann – junge Frau tägliche Realität ist (wenn er genug Geld hat natürlich, Richard Lugner beweist es immer wieder). So ist die Welt nun einmal, und man kann das ja auch für sich persönlich ändern. Aber per drückebergerischem, schleimerischem Moralgesetz??? Schließlich gilt, wie Alfred Kerr 1920 schrieb, als sich die Berliner Mitwelt so unendlich über den „Reigen“-Prozess (Arthur Schnitzler hatte den Beischlaf auf die Bühne gebracht) entrüstete: „Das Leben ist kein Kindergarten.“
Neuerdings aber schon. Wenn man einen Film, der dank seiner Hauptdarstellerin Jennifer Lawrence vermutlich sein Publikum finden wird, doch in die Kinos bringen möchte, dann aber bitte heimlich, still und leise, damit niemand merkt, dass es um etwas schrecklich Unsittliches geht! O Du liebe politische Korrektheit, in welchen Wirbel hast Du Dich hinein geredet!
Nun wurde auch schon Literatur umgeschrieben. Man erinnert sich daran, wie die Briten (ausgerechnet sie, die normalerweise kühler und nüchterner urteilen) in „Robinson Crusoe“ die koloniale Anmaßung ihres Helden gegenüber Freitag entdeckten und das Buch am liebsten ins Feuer geworfen hätten. James Bond und die Helden von Agatha Christie gerieten gleicherweise unter Verdacht – diesmal war es meist Rassismus (zehn kleine Schwarzafrikaner statt zehn kleiner N- … wer würde das N-Wort heute noch wagen?), das musste zumindest durch Umschreiben geahndet werden. (Ich könnte mir vorstellen, dass es inzwischen schon einen Schwarzmarkt für „unbereinigte“ Originale gibt.) Und von Karl May und Winnetou ganz zu schweigen, egal, wie edel die Indianer bei ihm sind, die indigenen Völker haben ja doch befunden, wie klischiert sie dargestellt worden seien..
Ja, und jetzt ist die Bibel an der Reihe, kein Witz. (Als man Bertolt Brecht fragte, welches Buch ihn am meisten beeinflusst und beeindruckt hätte, sagte er: „Sie werden lachen, die Bibel.“)
Nun ja, wer je auch nur darin geschmökert hat, weiß, wie viel Sex in der Bibel vorkommt, zumal im Alten Testament. Das gehört zum Leben, aber bald wird uns die Künstliche Intelligenz dabei helfen, Kinder nur noch im Reagenzglas zu erzeugen, und dann ist es aus mit dem elenden, schmutzigen Sex, der im Moment noch dafür nötig ist! Was kann man bis dahin tun? Aus amerikanischen Schulbibliotheken ist schon eine Unzahl von moralisch beanstandeten Büchern hinaus geworfen worden. Wie man hört, ist die Bibel als nächstes dran.
Ob wir es noch erleben, dass die Welt wieder zu Verstand kommt? Dass wir aus dieser Falle einer terroristischen Moral- und Anklage-Gesellschaft. die jede freie Meinung verbietet, wieder heraus finden?
Renate Wagner