Corona-Chic
Darwins „Survival of the Fittest“ bedeutet nicht, wie oft fälschlich übersetzt, dass der Stärkste überlebt. Nein, es geht um den „Angepasstesten“. Und das war, seit es Menschen auf der Erde gibt, immer noch der Mensch. Als Spezies – und als Einzelperson – hat er immer Erstaunliches geleistet. An Anpassung.
Eine Katastrophe – das kommt nicht alle Tage. Man sieht es sich kurz an und hat schnell heraus, wie man sein Gejammere darüber zielgerecht umsetzen kann. Viele Gelder werden ausgeschüttet, also nichts wie ran. Auch Leute, die man a priori nicht zu den Armen zählen würde wie Ex-Außenministerin Karin Kneissl. Sie hat als Ministerin 7.600 Euro netto im Monat verdient, aber offenbar war das nicht genug, um etwas auf die hohe Kante zu legen. Die Hochzeit war teuer (zahlt das die Braut allein?), die Betreuung ihrer Tiere auch, das waren große Ausgaben, Grund genug, jetzt beim Härtefonds der Regierung einzukommen. Erstaunen, dass man abgelehnt wird. Wo doch in Österreich gleiches Recht für alle herrscht… Man erinnert sich: Das Ehepaar Wussow, damals von einer lukrativen TV-Serie zur nächsten eilend, ist auch um „Arbeitslose“ eingekommen, wenn man zufällig einmal einen Monat nichts zu tun hatte. Anpassung…
Natürlich gibt es Leute, die nicht nur in den Tag hinein leben, als gäbe es kein Morgen (wer hätte gedacht, das „Morgen“ könne je so aussehen wie unser Heute?), sondern sich längerfristig den Kopf zerbrechen. Do & Co-Chef Attila Doğudan etwa hat „immer sehr konservativ gewirtschaftet und Reserven angelegt“, wie er im „Trend“-Interview sagte. Das heißt, er hat die alte Bibel-Erkenntnis, dass auf fette Jahre unweigerlich auch magere Jahre folgen müssen, irgendwie verinnerlicht. (Wahrscheinlich stehen so kluge Dinge auch im Koran.) Und eine Fähigkeit, die unsere Eltern besaßen, müßte jetzt wieder aus der Vergessenheit hervor geholt werden. Den Gürtel enger schnallen, wenn es nicht anders geht.
Aber nein, so schlimm ist es ja nicht. Keinesfalls. Wenn ich im Internet lese, wo sich Leute in Not mit ihren Sorgen hinwenden können, blitzt seitlich die Werbung für tolle Uhren auf. Ich kann nicht anders, übermütig klicke ich eine an: Das gute Stück kostet 25.000 Euro. Es wird also eine Zukunft geben, wo das ein Thema ist – und nicht: Wie bringe ich meiner Oma Milch und Semmeln? Sondern: Kann ich mir dieses Stück Handschmuck leisten, um meine Mitwelt gebührend zu beeindrucken?
Was heißt Zukunft? Es herrscht Gegenwart, und an die passt man sich an. Es ist geradezu drollig zu lesen (und sich die Bilder anzusehen), wie schnell die großen Designer auf die neue „Mode“ der Atemschutzmasken reagiert haben! Da stellt schon jedes Modehaus, jeder kreative Kopf sein eigenes Modell vor, „Corona-Chic“ ist angesagt, wer hat den extravagantesten Mundschutz? Na ja, schützen soll er auch, aber das ist doch nicht die Hauptsache!
Aber es gibt auch bereits Anweisungen, wie man die Maske, wenn man sie schon tragen muss, selbst nähen kann. Das ist dann ein unikates Original, das man sich für den Supermarkt umbindet, und man kann nur hoffen, dass die Mitmenschen aus mindestens einem Meter Entfernung das sehen, würdigen, bestaunen, denn wozu machte man sich sonst die Arbeit? Anpassung, wie gesagt – niemand kann es besser als der Mensch.
Überhaupt, sind das nicht interessante Zeiten? Noch nie haben so viele Leute ORF geguckt, weil sie wissen, es gibt immer irgendetwas Neues. Die ORF-Leute, teils in freiwilliger Isolation (das ist ein Abenteuer, über das man nicht nur in Twitter berichtet, sondern über das man sicher nachher ein Buch schreiben kann), wissen, dass sie dauernd irgendetwas bieten müssen, damit die Leute bei der Stange bleiben und nicht in der Corona-Verzweiflung erstarren, sondern in der Krise auch unterhalten werden. Ein bisserl geschreckt, ein bisserl beruhigt, wie es gerade opportun ist…
Da gibt es die schönen Worte: Der Herr Bundespräsident spricht vom „neuen Miteinander“, auch wenn nicht jeder viel davon bemerkt. Immer wieder erzählen uns Menschen, wie fabelhaft sie mit der Isolation umgehen, ja, es ist schön, wieder die Vögel zwitschern zu hören (es ist nur ein bisschen kitschig-billig, auf dieser Schiene zu fahren). Und dauernd liest uns ein Promi etwas vor. Oder sagt uns, wie es ihm geht.
Und die kostenlosen Streams überschütten uns. Wenn jemand wie ich, hoffnungslos theatersüchtig vermutlich bis zu seinem letzten Schnauferer, so durch die Münchner Kammerspiele, das Hamburger Thalia Theater oder die Berliner Schaubühne (mit ihren aktuellen Produktionen) zappt, stehen einem allerdings die Haare zu Berge bei dem, was heute Theater genannt wird. Na ja, ersetzt den Friseur…
Aber das betrifft den Durchschnitts-Corona-Betroffenen weniger (und betroffen sind ja auch jene, die es nicht haben). Aber ist es nicht langsam „chic“, die Welt wissen zu lassen: „Ich bin positiv!“ (Damit verkündet man ja nicht, wie einst bei AIDS, „Ich Trottel hatte ungeschützten Sex“.) Placido Domingo unterhält seine noch immer vorhandene Schar von Anhängern mit Bulletins zu seinem Gesundheitszustand. Und bitte, wenn der Fürst von Monaco, der englische Kronprinz und der österreichische Habsburg-Firmenchef „es“ haben, dann ist „Corona“ doch erstrebenswert, nicht? Wir wollen ja immer alles haben, was die Promis uns vorspielen. Und außerdem sagen alle, die es mit ein bisschen Husten hinter sich gebracht haben und nicht daran gestorben sind: So schlimm ist es ja nicht…
Es gibt ja auch Fachleute, die das sagen. O Gott, Fachleute. Frag einen und glaub ihm, aber frag nicht zwei oder drei und schau Dir keine Diskussion an, denn dann wirst Du wahnsinnig. Denn wie immer sind die Herren „Fachleute“ ganz verschiedener Meinung, und was, bitte, macht man dann? (Man glaubt natürlich, was man selber glauben will, aber das steht auf einem anderen Blatt…) Also, der eine sagt: Es ist wirklich schlimm, bleiben Sie zu Hause, nur so vermeidet man Ansteckung. Der andere sagt: Also, ja, es gibt Corona, aber daran sterben werden nur jene, die auf Grund ihres Alters ohnedies schon auf der Abschussliste stehen oder deren Vorerkrankung dafür sorgt, dass jeder Virus sie umwirft. Der nächste sagt: Tut Euch nichts an, lauft herum wie in Schweden, natürlich wird ein gewisser Prozentsatz sterben, aber sterben müssen wir alle, wozu die Aufregung, und der Rest infiziert sich durchgehend, und das nennt man dann „Herden-Immunität“… Und der arme Durchschnittsmensch sitzt vor dem Fernseher und weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll. Zumal es weder ein verbürgtes Krankheitsbild gibt (offenbar hat jeder etwas anderes) noch die nötigen Medikamente…
Sind das nicht herrliche Zeiten, diese Corona-Zeiten, mit den chicen Gesichtsmasken, den dauernden Neuigkeiten, dem neuen Miteinander, den Verschwörungstheorien, den Katastrophen für Wirtschaft, Sport (Wimbledon abgesagt! Wer weiß, wann die Formel 1 wieder fährt!) und Kultur, es ist immer was los. Spannend. Toll. Weiter so!
Weiter so?
Renate Wagner