Buh – und danke recht schön!
Buh, Buh, Buh – nein, meine Buh-Rufe hätten nicht dem neuen „Tristan“ in Bayreuth gegolten. Gut, die Kollegen überschlagen sich schon wieder in witzigen Formulierungen von „Kunst und Krempel“ bis „Trödelladen“ für das Bühnenbild von Vytautas Narbutas (das zumindest ein logistisches Kunststück erster Ordnung ist, wenn man sonst schon nichts gelten lässt). Und die Regie von Thorleifur Örn Arnarsson (den man aus vier unterschiedlichen Produktionen am Burgtheater kennt) bekam auch einiges ab („Stupides Stehtheater“, „trostlos“).
Ich meine halt, dass das Bühnenbild versucht hat, etwas zur Geschichte beizusteuern: Die vollgemüllten Leben, die für viele Menschen in den mittleren Jahren (und Tristan und Isolde sind nicht jung) typisch sind – und dass man es abschütteln kann für einen Neuanfang, auch wenn das Schicksal ihn nicht will. Und die Regie? Ist es Stehtheater, wenn Sänger nichts tun müssen, was ihrem Text, ihrer Figur, ihrem Gefühl widerspricht? Ist es ideenlos, wenn die Geschichte erzählt wird?
Und ist das tatsächlich ein Rückschritt? Oder nicht eher ein Fortschritt, weil es mit der Zerstörung ja nicht ewig weiter gehen kann. Wenn es schrecklich langweilig wird, sich immer von blödsinnigen Regieideen zuschütten zu lassen, unter denen die Werke nicht mehr kenntlich sind – man aber Null Lust hat, zu grübeln, was Herr XY sich möglicherweise ausgedacht haben mag? Wer je den Wiener „Tristan“ durchlitten hat, weiß, wovon ich rede.
Ja, die Werke. Richard Wagner. Schon sehr gestrig, der Alte, nicht wahr? (Vor allem, wenn man die Werke nicht wirklich kennt.) Und er macht nicht einmal mehr Kasse in Bayreuth. Mag ja teilweise stimmen, und Katharina, die Urenkelin, hat sicher ihren Anteil daran. In meiner Jugend (das war rund um den Chereau-„Ring“) war in Bayreuth wirklich keine Karte zu bekommen. In den letzten Jahren mussten Freunde von mir, die die Nase voll hatten, froh sein, wenn ihnen jemand ihre Vollpreis-Karten für die Hälfe oder weniger abgenommen hat. Meinen Mann hat der Castorf-„Ring“ aus Bayreuth vertrieben. „Nie wieder“, sagte er und hielt sich daran.
Aber wenn man Wagner seit frühester Jugend erlegen ist, kann man – auch wenn man nicht mehr auf den Grünen Hügel „pilgert“ – sich die Welt ohne die Bayreuther Festspiele nicht vorstellen. Claudia Roth, auf die ich heftig hingebuht hätte, hätte ich sie vor der Premiere gesehen, kann das schon. Vielmehr kann sie sich ein Festspielhaus ohne Wagner vorstellen. Statt dessen „Hänsel und Gretel!“ Geht’s noch? Da fallen einem viele Wienerische Kraftausdrücke ein.
Die Dame, die zusammen mit Genossin Annalena Baerbock 20 der kostbaren Benin-Bronzen deutscher Museen schnappte und nach Nigeria zurück brachte, mit der Entschuldigung für die Kolonialzeit (wobei das Königreich Benin keine deutsche, sondern eine britische Kolonie gewesen ist… bei manchen Politikern ist Bildung rar), hat sich schon manches Zeitgeist-Kunststück geleistet. Aber die Austreibung Wagners aus der (in jeder Hinsicht) teuren Halle, die einzig und allein er geschaffen hat, für sich und keinen anderen sonst, schlägt dem Faß den Boden aus.
Der wohltuende Shitstorm ließ nicht auf sich warten. Wobei man sich anständigerweise daran erinnern sollte, dass auch Urenkelin Nike Wagner einst, als sie sich (zusammen mit Gerard Mortier) um die Intendanz bewarb (glücklicherweise vergeblich), das Monopol Wagner brechen wollte – von „Wozzeck“ war damals die Rede… Kann sich irgendjemand ein Publikum vorstellen, das sich sommers nach Bayreuth aufmachen sollte, um „Hänsel und Gretel“ oder „Wozzeck“ zu sehen? Wie hirnrissig wäre das? Sollen die Kindergärten zwischen Bamberg, Coburg und Co. zusammen getrieben bzw. alle Alban–Berg-Gesellschaften mit Freikarten beglückt werden, damit da Haus voll wird?
Aber was soll’s, Frau Roth hat die verdienten Buh-Rufe erhalten, und sie hat mehr getan: Sie hat Bayreuth vor Beginn der diesjährigen Festspiele nachdrücklicher ins Gespräch gebracht als es jede echte künstlerische Tat vermocht hätte. Die Erregung über einen imbezilen Vorschlag hat es hingegen in die Weltpresse geschafft. Und alle Wagnerianer, die im Regime Katharina durch Regie-Untaten ziemlich resigniert waren, wieder gezwungen, Flagge zu zeigen.
Also am Ende ein „Danke recht schön“ an eine Polit-Dame, über die man weiter nicht reden soll und muss, aber die mit ihrem Sakrileg wenigstens eines klar gestellt hat: Richard der Einzige hat auch der Einzige auf dem Grünen Hügel zu sein. Er ist für einen Teil der Opernfreunde die Ultima Ratio dessen, was auf dem Gebiet der Oper geleistet wurde und verdient seinen Alleinstellungsanspruch wie kein anderer. Basta.
Und nun möge Frau Roth in ewigem Schweigen versinken. Denn wer weiß, was ihr sonst noch einfällt… Vielleicht das Goethe-Haus schließen, weil man irgendwo unkorrekte Stellen in seinen Werken finden könnte?
Renate Wagner