Auf den richtigen Zug aufspringen
Wer es nicht zufällig live gesehen hat, konnte es mit Staunen im Fernsehen beobachten – wie ein Kran vor der Albertina vorfuhr und in einem Käfig einen riesigen Revolver auf das Dach des Hauses hievte. Ein Kunstobjekt, gewiß, aber heute geht es ja nur noch darum, „ein Zeichen zu setzen“ bzw. auf den richtigen Zug aufzuspringen und zu beweisen, dass man fest auf der richtigen Seite steht.
Dieser Revolver soll nun – ausgerechnet ein Symbol für den Frieden sein! Direktor Klaus Albrecht Schröder formuliert das Selbstverständliche, das leichter gesagt als getan ist – „dass Gewalt in jeglicher Form begrenzt werden, in ihre Schranken verwiesen werden muss“. Schön, aber da wäre es mir lieber gewesen, er hätte von einigen zeitgenössischen österreichischen Künstlern ein paar Friedenstauben schaffen lassen.
Freilich, so spektakulär wie der Revolver wären sie nicht gewesen – da kann man als Passant beim Vorbeigehen schon zustimmend den Kopf schütteln. Und die paar Schritte zu einem der Kaffeehäuser weitergehen und sich bei Kaffee und Kuchen darüber trösten, wie hässlich die Welt geworden ist… Aber die Albertina hat zumindest versucht, uns ein wenig aufzurütteln, nicht wahr?
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In Zeiten wie diesen, wo man als Journalist mit der kleinsten falschen Formulierung schon in hohem Bogen aus dem Job fliegt, ist es natürlich wichtig und nötig, Haltung zu zeigen, Bei jeder Gelegenheit. Da kommen auch die sonst ziemlich sakrosankten Bregenzer Festspiele an die Reihe. Da kann der Kritiker der „Welt“ doch den Regisseur Andreas Homoki (der uns den „Lohengrin“ immerhin ins Bierzelt verlegt hat, also ist er doch ein Guter, Moderner, Heutiger?) dahingehend rüffeln, dass er „zum schwärenden Konflikt um die kulturelle Aneignung bei dieser Oper“ nichts sagt. Ja, natürlich, der Kolonialismus! Aber hoppala, eine amerikanische Provinz war Japan ja wohl nicht? Trotzdem, irgendeine deutliche Kritik hätte er schon einbringen müssen über den Missbrauch der asiatischen Frau (obwohl sie kein Asia-Makeup trägt!) durch den weißen Mann, statt das Stück nur seebühnengerecht auf das gewellte Blatt zu stellen… das kann man schon verlangen.
Und den Einheimischen kann man im letzten Satz auch noch eine Watschen geben: „Und der begeisterte Bregenzer trinkt weiter sein Mohrenbräu.“ Ja, unvorsichtig von Herrn Johann Mohr, der die Brauerei immerhin 1763 gegründet hat (das hat schon Tradition!), einen Namen zu tragen, der zweieinhalb Jahrhunderten später Leuten, die nichts Besseres zu tun haben, rassistisch verdächtig vorkommt. Deshalb soll Herr Mohr um Namen und Ehre gebracht werden? Ganz so leicht geben die Alemannen nicht nach – und das ehrt sie. Aber der Journalist hat bewiesen, dass er absolut alles richtig sieht…
Auch jener Journalist der APA, der angesichts von Umberto Giordanos „Sibirien“ bemerkt, dass „ein verklärender Blick nach Russland aktuell in jedem Fall schwierig“ wirkt. Es hat sich offenbar noch nicht herumgesprochen, dass das historische Russland absolut nichts dafür kann, dass dem Land nach Stalin nun auch noch ein Putin beschert worden ist. Man erkennt zwar an, dass die Produktion längst auf den Schienen war, als dieser im Februar jenen Krieg begann, den die Russen nicht so nennen dürfen, wenn sie nicht jahrelang in einem Lager landen wollen – aber immerhin, man hat es gesagt. Man ist im richtigen Zug. Journalisten sind ja auch arme Schweine.
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Da haben wir doch schrecklich fälschlich gedacht, #metoo wäre ausgestanden. Der kurze Wirbel rund um die Wiener Filmakademie hat bewiesen, dass dem nicht so ist. Verena Altenburger hat ein langes Statement dazu abgegeben, bevor sie nach Salzburg abgerauscht ist, um (heuer mit Kurzhaarfrisur, nicht mit Glatze) die Buhlschaft in einer „Jedermann“-Aufführung zu spielen, die alles am Original zerstört hat und angesichts derer sich ihre ehemaligen Schöpfer vielfach im Grab umdrehen. Aber auch das Engagement ihrer Prominenz hat nichts genützt, nach zwei Tagen war die Meldung schon wieder aus den Medien. Ja, wenn man keine Namen nennt! In unserer Welt muss man jemanden zu Tode hetzen wollen, so groß wie Domingo oder Woody Allen, sonst funktioniert es nicht…
Und doch, in Bayreuth hat es jemand – wer eigentlich? – versucht und einen schönen Missbrauchsskandal vor Beginn der Festspiele hoch geköchelt. Ob das die Premierengäste, die sich bei elendiglicher Hitze ins Festspielhaus geschleppt haben, wirklich berührt? Man stumpft ja ab, wenn so etwas zur kleinen Münze des Alltags-Social-Media-Wirbels wird. Aber die Verantwortlichen, die müssen so was wieder „sehr ernst“ nehmen, natürlich. Da blickt Kulturstaatsministerin Claudia Roth bedeutungsvoll unter ihren Stirnfransen hervor und versichert, „sexuelle Übergriffe, egal ob verbal oder körperlich, sind absolut inakzeptabel und dürfen nicht ungeahndet bleiben.“ Dabei geht es doch auch um Machtmissbrauch der Dirigenten (und Regisseure?) – etwas, das die alte Garde dermaßen als ihr Gewohnheitsrecht betrachtet, dass sie vielleicht wirklich gar nicht wissen, wovon man redet.
Was meint Katharina Wagner, selbst Opfer eines Übergriffs (ein „eher bekannter Mitwirkender“ soll ihr an die Brust gegriffen haben – wieder keine Namen, die man hetzen könnte!), eigentlich damit, dass sich in Bayreuth viel ändern müsse? Schließlich sind die Festspiele seit langem allein ihr Werk. Will sie vielleicht künftig nur noch Jungspunde engagieren, die von der „Milch der frommen Denkungsart“ schon so eingekocht sind, dass sie freiwillig nur noch brav, bieder und politisch korrekt agieren? O du schöne neue Welt!
Renate Wagner