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APROPOS: An den Pranger mit ihm!

07.02.2023 | Apropos, Feuilleton

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An den Pranger mit ihm!

Wir leben im Zeitalter der moralinsauren Selbstgerechten. Wie sind wir gut, wie abgrundtief schlecht die anderen! Gibt es etwas Schrecklicheres als etwa die Menschen des Mittelalters, die sich ergötzten, wenn ein Mitmensch am Pranger stand und  die dem Betroffenen ihre Häme, ihre Schmähungen, ihre Empörung entgegen riefen? Und natürlich ihre Verachtung und moralische Überlegenheit…

Was hätten wir anderes getan, jene, die sich heute im Landesgericht so zahlreich angemeldet haben, dass man den Großen Schwurgerichtssaal dafür zu öffnen bereit war? Florian Teichtmeister an den Pranger – wie gierig hätten sie auf jede Nuance seines Auftretens gesehen, echte Reue oder nur ein guter Schauspieler? Wird er weinen, stammeln, zusammen brechen? Ein grenzenloses Spekulationsfeld für das Zeilenhonorar der Journaille.

Immerhin hat man es mit einen Mann zu tun, der um seine Existenz kämpft, darum, ob er die nächsten Jahre hinter Gittern verbringen muss. Ein Mann, für dessen Taten niemand (logischerweise) Verständnis aufbringen kann, also verbietet sich auch die Sympathie für den Menschen, der hinter dem nun so verachteten Promi steckt.. Aber da ist doch ein Mensch hinter der Sucht, die ihn letztendlich zerstört hat. Und nicht nur Martin Kusej (der sich sehr gewunden-inhaltslos im ORF-Interview äußerte) konnte „es“ nicht glauben – auch die Kollegen, die mit ihm gearbeitet haben, die ihn privat kannten. „Der Florian? Nie und immer. Das ist doch so ein lieber Kerl.“

Aber nicht darüber ist zu urteilen, sondern über den Genuß, mit dem sich unsere Moralgesellschaft wieder an die Vernichtung eines Menschen gemacht hat. In Österreich und im deutschen Sprachraum hat Teichtmeister mit Sicherheit keine berufliche Zukunft mehr, er wird sich also in irgendeinem Teil der Welt verstecken müssen, wo man ihn nicht kennt – und wer einmal Burgschauspieler, Fernsehstar, Publikumsliebling war, für den gibt es keine Alternative. Ein kaputtes Leben. Lassen wir es damit gut sein und hecheln wir nicht in Küchenpsychologie nach jeder Faser von des Mannes Bewußsein – wir können ohnedies nichts darüber wissen.

Aber Florian Teichtmeister hat sich noch ein paar Feinde zusätzlich gemacht, nämlich alle, denen er feige „die Show gestohlen“ hat. Er ist „krank“, der Gerichtstermin geplatzt, vielmehr „abberaumt“, wie es in etwas drolligem Juristendeutsch heißt. Vermutlich gibt es keinen Menschen, der ihm (obwohl auch hier die „Unschuldsvermutung“ gilt) diese Krankheit glaubt. Ärzte, die einen krankschreiben, finden sich immer, kann man munkeln, und einen Amtsarzt wird das Gericht wohl nicht vorbei schicken.

Hat Teichtmeister die Nerven verloren? Hat er sich gedrückt und die Welt um ihr Schauspiel gebracht? Oder ist er, wie Zehntausende andere auch, wirklich zu krank, um außer Haus zu gehen?

Vielleicht sollte man ihn  aus Mitmenschlichkeit, weil wir doch alle so „gut“ sind im Gegensatz zu den „Bösen“, auf die wir mit den Finger zeigen, einen nicht veröffentlichten neuen Termin unter Ausschluss der Öffentlichkeit geben. Das Ergebnis wird man, geifernd, schon erfahren. Und endlos kommentieren. Die Welt sollte endlich aufhören, so viel Freude an der Vernichtung eines Menschen zu empfinden.

Übrigens – ein paar Skurrilitäten am Rande; Wer hat die „58.000“ Kinderporno-Fotos eigentlich alle, alle begutachtet? Wer hat sie gezählt? Ist eigentlich klar, mit welcher Zahl man da hantiert? Der Mann müsste täglich Hunderte von neuen Bildern gehortet haben (nicht gedacht soll es werden, welche Summen er dafür im Darknet versenkt hat, denn die schenken einem nichts). Und, ohne jetzt zu bezweifeln, dass es überdurchschnittlich viele dieser sicher großteils abscheulichen Fotos waren – was bedeutet eigentlich die Bemerkung im oft.at-Bericht:  

Offenbar wurde aber nicht abschließend geklärt, ob auf den Dateien ausschließlich Kinder bzw. Minderjährige abgebildet sind. Der Hauptverhandlungsrichter sichtet jetzt das Beweismaterial, um sicherzugehen, ob und inwieweit alle inkriminierten 58.000 Dateien den angeklagten Tatbestand erfüllen.

Also, wenn davon nur 50.000 Bilder von Minderjährigen wären und der Rest von irgendwelchen Nymphchen, die sich freiwillig für Geld fotografieren lassen (das soll es geben), ist er weniger schuldig?  Ist man nur bei 58.000 schuldig und bei 5800 nicht?
Wäre doch schön, wenn das Rechtssystem das klar ausdrücken könnte!

Renate Wagner

 

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