Hg: Klaus Petermayr, Alfred Weidinger
ANTON BRUCKNER
EINE BIOGRAFIE
352 Seiten, Verlag Anton Pustet Salzburg. 2023
Ein Mosaik als Ganzes
Nicht jedes Land hat einen Komponisten dieser Größenordnung aufzuweisen. Anton Bruckner war Oberösterreicher, in seinem Wesen, seiner Sprache, seiner Prägung, und er ist es geblieben. Wie sehr das Land Oberösterreich hier beteiligt ist, zeigt sich daran, dass sich der ranghöchste Kulturmanager des Landes, Alfred Weidinger, und der wissenschaftliche Leiter des Anton-Bruckner-Instituts, Klaus Petermayr, zusammengetan haben, um ihm im Jahr seines 200. Geburtstags eine ebenso umfangreiche wie im Konzept letztlich originelle Biographie zu widmen.
Dieser Umriß eines Lebens von 1824 bis 1896 setzt sich nämlich aus einer großen Zahl von Einzelartikeln verschiedener Autoren zusammen, die einerseits nach Schwerpunkten die Entwicklung von Bruckners Leben vom Lehrerssohn in Ansfelden bis zum gefeierten (wenn auch immer umstrittenen) Komponisten in Wien nachzeichnen. Andererseits werden darüber hinaus in „Querschnitt“-Betrachtungen, die nicht zu einer bestimmten Zeit festzumachen sind, Einzelaspekte behandelt.
Grundsätzlich folgen alle Untersuchungen in diesem Buch dem Motto: Fakten, Fakten, Fakten, und das ist gut so. Denn selten war das Bild einer Persönlichkeit so „verschmiert“ wie jenes von Bruckner, was wohl auch auf die Wiener Musikwelt und Musikpresse zurück geht, für die Anton Bruckner als Künstler eine solche Provokation darstellte, dass man ihn als Menschen weidlich herunter gemacht hat.
Nun einfach so klar wie möglich nach zu erzählen, was war, warum es war, wie es wirklich war, das kann man Schritt für Schritt, Kapitel für Kapitel nachvollziehen, wobei man dem seltenen Fall eines Menschen begegnet, der lebenslang immer lernte und weiter lernte und unermüdlich gearbeitet hat (immer auch als Organist und Lehrer). Man nimmt sich hier zwischen Buchseiten Zeit und Raum, auch den Menschen um ihn ausführliche Betrachtungen zu widmen – schließlich lebt niemand im luftleeren Raum,
Die „Sonderaspekte“ (manchmal auch nur eine Seite lang) haben auf jeden Fall ihren besonderen Stellenwert. Sie ranken sich um den Mann persönlich – seine Sprache (oberösterreichisch), seine Frömmigkeit, seine Kleidung (er trug immer schlicht das Gleiche), seine Arbeitsweise, aber man erlebt ihn auch als Reisenden (seine einzige „private“ Reise führte ihn in die Schweiz), als Wanderer (er war viel zu Fuß unterwegs). Es geht um Bruckner als Tänzer (!), um seine Bibliothek, schließlich seine Persönlichkeit (nicht leicht zu fassen aus Mangel an autobiographischen Aussagen) und das, was sich seine „Universalität“ nennt.
Andere Exkurse beschäftigen sich mit dem Umfeld: Familienmitglieder, (was wusste man schon über seinen Bruder Ignaz, der später von Antons Erbe gut lebte), die Frauen (ein Thema, das oft bis zur Peinlichkeit ausgeschlachtet wurde), die Freunde, seine „Kreise“, und es geht auch um seine spezifische Musikwelt (sein Volksmusikverständnis, in der Heimat stark geprägt, seine Orgeln, sein Orchester, seine Instrumente) Viel Spezialwissen also, und dennoch fällt dem Bruckner-Fan noch mehr ein, was er hätte wissen wollen (etwa eine Untersuchung über Bruckner und Geld durch sein Leben hindurch).
Man hat nicht gespart bei diesem Buch, man wollte wirklich „alles“- eng gedruckt bündeln sich auf gut 350 Seiten das, was man verbürgt über ihn wissen kann (Verzeichnisse wie Lebensdaten, Werk-Verzeichnis, Bruckner-Orte – wann war er wo in Österreich und Europa – gehören natürlich dazu.)
Und da ist auch noch der Ehrgeiz, alle bekannten Fotos von Anton Bruckner chronologisch zu publizieren. Interessant das erste, um 1854, der 30jährige schon gelegentlich zu Studien in Wien: So locker wie später nie wieder steht er da, eine Hand in der Hosentasche, in der anderen eine Notenrolle, den Kopf leicht geneigt… kein Vergleich zu den späteren Fotos, die eines ums andere ernst und steif wirken, der Gesichtsausdruck gelegentlich nahezu grimmig, ein einziges Mal (1890) meint man, so etwas wie den Anflug eines Lächelns auf dem Gesicht zu sehen. Keine Frage, dass der Bruckner der Fotos kaum etwas von dem preisgibt oder ausstrahlt, was sich musikalisch in diesem Kopf abspielte. Gegen Ende gibt es noch das eine Privatfoto, das ihn vor seinem letzten Wohnsitz im Belvedere zeigt – der Rest ist Krankenbett, Totenmaske, Sarg. Mit diesen bedrückenden Bildern sollte man keinesfalls aus diesem Buch heraus gehen. Vielmehr bewundern, wie viel Wissen hier faktisch und sachlich zusammen getragen wurde, um einem Künstler Ehre zu erweisen, der diese mehr als verdient.
Renate Wagner