Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

ANNABERG/BUCHHOLZ: TANHÄUSER von Carl Amand Mangold. Premiere

28.04.2014 | KRITIKEN, Oper

ANNABERG-BUCHHOLZ / TANHÄUSER von Carl Amand Mangold Premiere am 27.4.2014 (Werner Häußner)

 In der Geschichte der Oper gibt es eine Reihe merkwürdiger Fälle, in denen Komponisten am gleichen Stoff arbeiteten, ohne voneinander Kenntnis zu haben oder zu nehmen: Man denke an Puccinis und Leoncavallos „La Bohème“, an Aubers und Verdis „Maskenball“, an Donizettis „Elisir d’amore“ und Aubers „Le Philtre“; auch Manfred Gurlitt und Alban Berg vertonten „Wozzeck“, ohne voneinander zu wissen.

Kaum bekannt war bisher, dass sogar der „Tannhäuser“-Stoff gleichzeitig zwei Komponisten beschäftigte: Während Richard Wagner in Dresden an der Arbeit war, griff in Darmstadt der Leiter des dortigen Musikvereins, Carl Amand Mangold, nur ein halbes Jahr jünger als Wagner, für einen „Tanhäuser“ zur Feder. Wagner brachte sein Werk am 19. Oktober in Dresden zur Uraufführung, Mangolds Version erschien zum ersten Mal am 17. Mai 1846 in seiner Heimatstadt Darmstadt.

Bis 1850 ist diese Oper – wie berichtet wird, mit Erfolg – in der Großherzogsstadt gespielt worden. Durchgesetzt hat sie sich über deren Mauern hinaus nicht. Wer die Wiederentdeckung von Mangolds Version nun in Annaberg-Buchholz miterlebt hat, wird auch sagen können, warum. Es war nicht allein, wie Mangolds Bruder argwöhnt, die Rücksicht auf Wagner, die weitere Aufführungen vereitelte.

Die durchaus verdienstvolle Ausgrabung am kleinen, unter Intendant Ingolf Huhn äußerst rührigen Theater in der Erzgebirgsstadt präsentiert ein musikalisch solide gearbeitetes Werk, mit reizvollen Farben und Details in der Instrumentation, mit hörbarem satztechnischen Können geschrieben. Was ihm fehlt, ist charakterisierende Prägnanz und melodische Erfindung. Mangold zeigt sich, vor allem im dritten Akt, als effektsicherer Musikdramatiker. Aber der Romanze und der Finalarie der Innigis (so heißt Elisabeth bei Mangold), der Romanze des „getreuen“ Eckart im zweiten und der großen Arie des Tanhäuser im vierten Akt fehlt die einprägsame Idee.

Das Libretto des Schriftstellers und Journalisten Eduard Duller erzählt – mit unüberhörbarer Begeisterung für das deutsche Vaterland – die Tanhäuser-Geschichte mit anderen Akzenten als Wagner: Wir erleben, wie der Titelheld in den Berg der heidnischen Götter einzieht, halb durch Zauber, halb durch das Bild eines Weibes „in voller Herrlichkeit“ verführt. Seine Sehnsucht nach Rückkehr in den grünen Wald wird ausgelöst, als er einen Zug von Kindern sieht, die wegen der Sünden ihrer Eltern auf ewig in den Berg verbannt wurden: „Durch die Kinder hat Gott mir Erleuchtung gesandt“. Doch die Fürstin des Venusbergs lässt ihn nicht ohne den Eid ziehen, im Falle nicht erlangter Vergebung zu ihr zurückzukehren. Nur dann würden die Kinder freigelassen.

Tanhäuser zieht also mit den Eltern, die für ihre frivolen Trinklieder Buße tun, und mit der treuen Innigis nach Jerusalem, erreicht aber bei Patriarch Urbanus nicht die erhoffte Vergebung. Zurück im schönen Thüringen, preist Tanhäuser erst einmal ausgiebig das „deutsche Vaterland“, erkennt dann in Innigis` Hingabe die lang ersehnte echte Liebe, muss aber den Eid einlösen, in den Venusberg zurückzukehren. Innigis folgt ihm dorthin. Nachdem sich der Fels „unter einem furchtbaren Donnerschlag und lang nachhallendem Geroll“ geschlossen hat, tritt das Wunder ein: Der dürre Stecken des Patriarchen zeigt eine frische Blüte, der Felsen weicht auseinander und gibt seine Gefangenen frei. Das Halleluja der Pilger und der Geretteten beschließt die Oper.

Mangold zielt mit einer an den Regeln bürgerlicher Moral ausgerichteten Geschichte vor allem auf die Treue: Nicht umsonst führt er die Figur des „treuen Eckart“ ein: Als Warner umzieht er den Hörselberg, „dass Treue in deutschen Landen nicht untergehen kann“. Das Motiv der durch eine übernatürliche Macht entführten Kinder – später höchst eindrucksvoll verarbeitet in Victor Neßlers Oper „Der Rattenfänger von Hameln“ (1879) – lässt den Tanz der Städter vor der Drohkulisse des Jüngsten Gerichts noch verwerflicher erscheinen.

Innigis‘ verzweifelt entschlossene Treue rückt sie näher an die Wagner’sche Senta als an die Elisabeth des „Tannhäuser“. Von der in existenzielle Tiefen getriebenen Verhandlung des Dualismus von sinnlich-sündiger und reiner, transzendentaler Liebe, wie sie Wagner seinem Publikum zumutet, ist in den biederen Texten Eduard Dullers wenig zu finden, ebenso von der Wagner’schen Opfer- und Erlösungs-Theologie. So wirkt es noch befremdlicher, dass der Jerusalemer Patriarch in seinem Bühnenauftritt – dem packendsten Teil von Mangolds Oper – den Besuch in Venus‘ Berg-Boudoir für unvergebbar hält, während er bei Bruder- oder Vatermord durchaus bereit scheint, Gnade walten zu lassen. Was beide Tannhäuser-Opern verbindet: Die Barmherzigkeit Gottes überwindet jeden menschlichen oder kirchlichen Schuldspruch, lässt sich nicht in Gesetze pressen: „Die Gnade blüht, die Hölle muss weichen“, heißt es bei Mangold. „Hoch über aller Welt ist Gott, und sein Erbarmen ist kein Spott“, schließt Wagners „Tannhäuser“.

Eine ernsthafte Alternative zu Wagner hat sich mit Mangolds Werk ebenso wenig gefunden wie etwa mit Pierre-Louis Ditschs Vertonung des „Fliegenden Holländer“. Dass Ingolf Huhn die Trouvaille auf die Bühne stellt, macht dennoch Sinn: Sie gibt einen aufschlussreichen Blick auf die Zeit frei, in der Wagner seine internationale Karriere startete. Sie macht die damaligen Klagen über den Zustand deutsche Oper begreifbar. Und sie lässt nachvollziehen, wieso sich das Publikum – zum Verdruss der Propagandisten der deutschen nationalen Oper – so willig dem italienischen und französischen „Tand“ zuneigte.

Die Erzgebirgische Philharmonie Aue lässt unter GMD Naoshi Takahashi auch hören, wo Mangold seine Stärken hat. Chor und Extrachor des Eduard-von-Winterstein-Theaters ziehen mit, beleben freundlich den Liedertafel-Ton der Trinkchöre, loben den gold’nen Wein, als wären die Melodien von Heinrich Marschner gekeltert, schmettern die Jägerweisen des Beginns und skandieren unerbittlich die erbarmungslosen Mönchsgesänge der Jerusalem-Szene. Der innige A-Cappella-Chor „Herr, durch dein eig’nes Aufersteh’n“ kann ebenso überzeugen wie der finale Hymnus. Chordirektor Uwe Hanke kann mit seiner Mannschaft zufrieden sein.

Dem Orchester schenkt Mangold immer wieder aparte Farben, auch wenn er die Konvention seiner Zeit nicht überschreitet: Klarinetten- und schmeichelnde Cello-Soli erinnern an Weber, Harfen und Gong an die Farben der grand opéra. Die Kombination etwa von Bläserfanfaren mit Pizzicati und Pianissimo-Beckenschlägen in der Ouvertüre ist originell. Und in der ersten Romanze der Innigis gibt es Momente, die zeigen, dass Mangold und Wagner aus den gleichen musikalischen Traditionen geschöpft haben.

Für die Sänger hält Mangolds „Tanhäuser“ keine leichten Aufgaben bereit: Frank Unger (Tanhäuser) hat den entschlossenen Ton des venerischen Liebhabers ebenso zu finden wie die Verzweiflung des Zurückgestoßenen, die Zärtlichkeit des Liebenden ebenso wie die hymnische Begeisterung des Patrioten. Innigis steht in der Tradition der Soprane Webers, Marschners und Kreutzers: Sie braucht das Durchsetzungsvermögen der Heroine ebenso wie den innigen Herzenston. Madelaine Vogt bemüht sich um beides, sucht dabei ihre Stimme flexibel und den Ton frei zu halten.

Lászlo Várga stellt den lyrischen Biedersinn des getreuen Eckart mit einem ansprechenden Bass dar, so dass der in der Rolle angelegte Kitsch erträglich bleibt. Als Urbanus macht Jason Nandor-Tomory eine imponierende Figur. Bettina Grothkopf hat eher die metallisch-schneidenden als die schmeichelnd-verführerischen Töne für die Herrin des Hörselbergs. In kleineren Partien: Marcus Sandmann (Sänger/Anführer der Wallfahrer) und Rebekka Simon als beweglich kletternder Amor.

Für Regisseur Ingolf Huhn hat Tilo Staudte eine Holzkonstruktion gebaut, die sich mit der Drehbühne schnell zu Volksfestplatz, Höllentor, Patriarchen-Turm und Venusberg-Badehaus verwandeln lässt. Huhn muss den Raum zumal in den Chorszenen äußerst ökonomisch nutzen, schafft es aber mit Geschick, den Eindruck statischer Arrangements so weit wie möglich zu vermeiden. Seine Idee, die Geschichte des Tanhäusers im Hörselberg als Mysterienspiel auf einem Volksfest im mittelalterlichen Eisenach als Theater auf dem Theater spielen zu lassen, bleibt freilich im Ansatz stecken, weil der Raum nicht erlaubt, die Distanz des Spiels im Spiel zu wahren.

So bleibt es bei einem von keinem Regietheater-Virus angekränkeltem, buntem Spiel. Dass Tanhäuser seine vaterländische Hymne zu Beginn des vierten Akts aus des Adlers Horst singt, sorgt für Schmunzeln, ebenso die Venusberg-Szenen im mittelalterlichen Badezuber mit den feuerrot perückten Dienstgeistern der Venus. Den Anhängern sogenannter werkgerechter Inszenierungen dürfte dieser „Tanhäuser“ keinen Anlass zur Klage geben. Annaberg-Buchholz hat – nach Raritäten wie Rudolf Wagner-Régenys „Der Günstling“ oder „Der Löwe von Venedig“ des in Annaberg geborenen Johann Köselitz (alias Peter Gast) – wieder einmal gezeigt, wie ein kleines, vitales Theater den „Großen“ gewitzt die Schau stehlen kann.

Werner Häußner

 

Diese Seite drucken