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ANNABERG/ BUCHHOLZ: TANHÄUSER von C.A. Mangold

03.05.2014 | KRITIKEN, Oper

Annaberg/Eduard-von-Winterstein-Theater: „TANHÄUSER“ VON C. A. MANGOLD 02.05.2014   (Pr. 27.4.2014)

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Tanhäuser (Frank Unger) samt Lyra und Venus (Bettina Grothkopf) in der Badewanne alias Venusberg“. Foto: Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg

 Wohl jeder Opernfreund kennt (und liebt) den „Tannhäuser“ von Richard Wagner, aber wer weiß schon, dass der gleichaltrige Carl Amand Mangold zur gleichen Zeit die traditionelle Volksballade vom Tannhäuser ebenfalls als Opernstoff bearbeitet hat. Beide Komponisten schrieben gleichzeitig an ihrer Oper. Wagner wurde eine Woche früher, am 29.12.1844, fertig und Mangold am 6.1.1845! Wagner gelang es auch, seinen “Tannhäuser“ einige Monate früher in Dresden zur Uraufführung zu bringen. Mangolds Oper wurde mit großem Erfolg in Darmstadt zwischen 1846 – 1850 mit großer Zustimmung des Publikums gespielt und erst durch Mangolds letzte Oper „Gudrun“ abgelöst. Weitere Aufführungen an anderen Opernhäusern wurden mit „Rücksicht“ auf Wagner vereitelt!

 Während Wagner in dem Konflikt zwischen sinnlicher und aufrichtiger Liebe und Erlösung durch die wahre Liebe, ein Leitthema, das sich durch viele seiner späten Werke zieht, die sinnliche Liebe verteidigt, wird bei Mangold in echt romantischer Weise die Tugend gepriesen und die gottlose Liebe verteufelt. Er schrieb nicht wie Wagner einen eigenen Text, sondern vertonte ein Libretto des österreichischen, später in Deutschland lebenden, Dichters und Politikers Eduard Duller. Während Mangold seine Oper ganz in der musikalischen Tradition seiner Zeit verfasste, fand Wagner seinen eigenen Personalstil. Wagner verband die Tannhäuser-Sage mit dem Sängerkrieg auf der Wartburg, Duller und Mangold mit der Sage vom getreuen Eckehardt.

 Nachdem Wolfgang Seeliger im Juni 2006 die Oper erstmals in moderner Zeit bei den Darmstädter Residenzfestspielen mit seinem Konzertchor Darmstadt im Schlosshof “open-air” präsentierte, brachte nun das Eduard-von-Winterstein-Theater in der Erzgebirgsstadt Annaberg Mangolds die Oper szenisch auf die Bühne. Es ist ein hübsches kleines, im Krieg unzerstört gebliebenes, gut restauriertes Theater mit fast 300 Plätzen, das auf eine über 100jährigen Geschichte zurückblicken kann und 1893 mit Goethes „Egmont“ – in der Titelrolle der bekannte Schauspieler Eduard von Winterstein – als 1. Theater im Erzgebirge eröffnet wurde.

 Während beispielsweise an der Semperoper immer wieder die gleichen Opern wie „Zauberflöte„, „Hochzeit des Figaro„, „Carmen“ usw. neu inszeniert werden und nicht unbedingt besser, ist es immer wieder das Verdienst kleinerer Theater, ein Werk der Vergessenheit zu entreißen und dem Publikum wieder bekannt zu machen, womit sie in positiver Hinsicht auf sich aufmerksam machen. Die Aufführungen dieses „Tanhäuser“ dürfte – schon als Vergleich zu Wagners „Tannhäuser“ – weit über die Grenzen der Region hinaus Bedeutung haben und das interessierte Publikum von weither anziehen.

 Während der Ouvertüre werden die Besucher in der Inszenierung von Ingolf Huhn mit einem überdimensionalen hölzernen Schwert des Eckhart, das später von gleich 2 Mimen hinausgetragen werden muss, und 2 handwerklich gefertigten hölzernen Arbeitsböcken empfangen, auf denen später einige Leute der Volksmenge Platz nehmen, die sich in ihren vielfarbig abgestimmten, stilgerechten Mittelalter-Kostümen, einschließlich eines besser tanzenden als singenden Narren, auf der Bühne versammelt, um ein mittelalterliches Mysterienspiel zu erleben. Die Geschichte von der Versuchung des Ritters und Minnesängers Tanhäuser durch Frau Venus, dessen getreuen Dienstmann Eckart und seiner ebenso getreuen und tugendhaften Tochter Innigis wird hier als Theater auf dem Theater geboten. Es findet vor einer ebenso hölzernen, wie exakt gebauten Bretterstaffage (Ausstattung: Tilo Staudte) statt, die später mit Hilfe der Drehbühne wie ein Orgelprospekt ohne Pfeifen wirkt, aus dessen „Oberwerk“ erst Frau Venus a la Frau Holle ihren „Bettvorleger“ mit unzweideutiger Ansicht herunterwallen lässt und später an gleicher Stelle Urbanus, der Patriarch von Jerusalem, seinen extralangen (Gebets?-)Teppich, der zu seiner Autorität führt. Holz spielt in dieser Ausstattung eine größere Rolle. Schließlich ist man hier mitten im Erzgebirge, wo die Holzkunst große Bedeutung hat.

 Tanhäusers Venusberg-Erlebnis im 2. Akt fällt hier nicht ins Wasser, sondern samt Lyra und Frau Venus in eine hölzerne Badewanne a la mittelalterlichem Badezuber der öffentlichen Badestuben, die im Mittelalter als sündhafte „Beschäftigung“ galten und bald verboten wurden (wegen der Verbreitung von Krankheiten). Mit roten Perücken ausgestattete Bacchantinnen „verwöhnen“ Tanhäuser auf ihre Art und der agile Amor (Rebekka Simon) zeigt ihm „selbstgenähte“ Stoffpuppen als Kinder, die von Frau Venus einbehalten wurden (Anspielung auf die gerade aktuelle „Kinderporno-Welle“?) – ein witziges, minimalistisches Bacchanal mit überlegenem Augenzwinkern.

 Man leistet sich nicht nur echte Theaterkostüme, sondern auch für jeden Akt ein eigenes Bühnenbild, was viel Abwechslung und Frische in das, im Gegensatz zur Musik, etwas angestaubte Sujet bringt. Ein überdimensionales Vogelnest auf Ständern dient ferner als heimisches Liebesnest, Ballonfahrt nach Jerusalem, bei der man sogar ein paar kleine Tannenbäumchen als Stückchen Natur sieht, und als übergroßes Tauf- oder Weihwasserbecken als Assoziation der Hoffnung von Tanhäuser und Innigis auf Absolution vom Patriarchen. Dass die beiden Liebenden versuchen, zu diesem Zweck auf einer Leiter zum Pfaffen emporzuklimmen, um Gnade zu erflehen, wirkt eher belustigend, aber aus dieser Inszenierung mit ihrer individuellen Sicht ist sogar der ursprüngliche Inhalt der Oper zu erkennen.

 Die Musik ist sehr ansprechend, erinnert an Meyerbeer und Mendelssohn und entspricht allen Fakten einer guten Komposition. Manchmal vermeint man sogar Wagner zu hören. Ist es Sinnestäuschung oder hat doch einer vom anderen, wie es früher „üblich“ war, schon auf „Umwegen“ aus den Noten des anderen „stibitzt“? – aber wer von wem?

 Unter der Leitung von Naoshi Takahashi bildete die Erzgebirgische Philharmonie Aue mit ihrer sehr ansprechenden Musizierweise das kontinuierlich sichere Fundament der abendfüllenden Oper. Das Tempo war genau richtig, die Streicher gut, die Hörner mit wechselndem Glück, die Harfe klangschön, und die Pauke im Proszenium unterstrich im richtigen Maß die Gesamtkonzeption. Die sichere Solovioline mit herzhaftem Strich deutete die Lockrufe von Frau Venus an, die Tanhäuser eigentlich im (hier nicht vorhandenen) Wald vernimmt. Warum erscheint eigentlich im Zeitalter von Umweltschutz und Bio kein Wald auf der Bühne, wenn davon die (gesungene) Rede ist?

 Überraschend gut sangen der Chor des Eudard-von-Winterstein-Theaters und der Extrachor (abgesehen von einer etwas „vordergründigen“ Tenorstimme). Besonders schön vermittelte er im 4. Akt die Freude der „Eltern“, die ihre Kinder wieder in Empfang nehmen können, nachdem die Liebe Innigis‘ zu Tanhäuser die Macht der Venus und damit der Hölle gebrochen hat.

 Die Solisten hatten das Problem einer sehr zurückhaltend komponierten Orchesterbegleitung der Arien. Die umfangreichste Partie hatte Frank Unger als Tanhäuser zu bewältigen. Was seiner Stimme in der Höhe Schwierigkeiten zu bereiten schien, glich er durch seine jugendlich-kraftvolle Erscheinung und sein Spiel aus.

 Madelaine Vogt schien stimmlich keine Probleme zu haben. Ihre Stimme wirkte allerdings für die ehrlich liebende Innigis wenig innig und eher rationell und ihr Spiel sehr zurückhaltend. Ganz im Gegensatz dazu bot Bettina Grothkopf eine sehr muntere, verführerische Venus.

 Als moralischer Gegenpol dazu verbreitete László Varga mit seiner volltönenden Stimme und seiner Rollengestaltung Wärme und Harmonie. Er hatte die erforderliche Würde für diese Bühnengestalt.

 Gut besetzt war mit Jason Nandor-Tomory die Gestalt des Urbanus, der Tanhäuser nicht von dessen Sünde freispricht, weil das für ihn so unmöglich ist, wie die Tatsache, dass sein Patriarchenstab wieder grünen könnte, aber schließlich treibt der Stab doch noch Blüten, zumindest eine sichtbare, durch Innigis‘ Liebe. Als ein Sänger und später Anführer der Wallfahrer agierte Marcus Sandmann durchaus überzeugend.

 Die Musik Mangolds ist reich an sangbaren Melodien und gut orchestriert. Sie enthält Höhepunkte und lyrisch betrachtende Passagen, ist eingängig, abwechslungsreich, ausdrucksstark und dramatisch, wie z. B. beim Erzwingen der „Entlassung“ aus Frau Venus‘ Armen, die dann aus Langeweile mit Amor Schach spielen muss, oder Tanhäusers individueller Auseinandersetzung mit dem Urteil des Patriarchen.

 Das Libretto kann aus heutiger Sicht mit seiner Ritterromantik, dem reinen, aufrichtigen „Jungfräulein“, der Vaterlandsschwärmerei („Oh, du mein deutsches Vaterland ...“), die aber auch in Wagners „Meistersingern“ auftaucht und dem damaligen Zeitgeschmack entsprach, nicht mehr unbedingt begeistern, aber die Musik ist frisch und immer gegenwärtig. Schon der Musik wegen hat sich der Aufwand der Wiederaufführung von Mangolds „Tanhäuser“ in Annaberg gelohnt, nicht zuletzt als interessanter Vergleich zu Wagners „Tannhäuser„.

Ingrid Gerk

 

 

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