ANNA CATERINA ANTONACCI
Ich war immer eine Außenseiterin
Anna Caterina Antonacci, die als berühmte Rossini-Interpretin begann und heute nicht nur im französischen Repertoire, sondern auch in der Moderne verankert ist, singt die Cassandre in der Premiere von „Les Troyens“– eine Aufführung, mit der sie reist, ist die Wiener Staatsoper doch die bereits vierte Station der Inszenierung, nach London, Mailand und San Francisco.
Von Renate Wagner
Frau Antonacci, nun zum vierten Mal die Cassandre in der McVicar-Inszenierung, die 2012 in London herauskam – doch die Rolle begleitet Sie schon viel länger?
Ich habe sie 2003 an der Pariser Oper gesungen, eine Aufführung von Yannis Kokkos, die damals zum 200. Geburtstag von Berlioz heraus kam und die wir dann 2007 in Genf wiederholt haben. 2008 gab es eine wunderbare Aufführung mit James Levine beim Tanglewood-Festival, Freilicht, sehr stimmungsvoll. Und ich freue mich, dass ich in dieser Produktion bei all ihren Stationen dabei sein kann, also erstmals in der Wiener Staatsoper singe. Gerade noch vor dem Ende meiner Karriere…
Davon reden wir später, aber gleich von der skurrilen Tatsache, dass Sie in aller Welt gesungen haben, aber mit wenigen Ausnahmen noch nie in Wien. Riccardo Muti hat Sie 1999 für eine Staatsopern-Produktion des „Don Giovanni“ im Theater an der Wien als Elvira eingesetzt – und was ist dann geschehen?
Mit Muti habe ich noch einige Zeit zusammen gearbeitet, ich war bei seinem „Falstaff“ an der Scala dabei, aber wie das schon ist in diesem Beruf, dann kommen andere Sängerinnen, die im Moment interessanter sind. Dass ich an der Wiener Staatsoper nie gesungen habe – nun, ich glaube, mein Repertoire war einfach zu verrückt (weird), um hier hereinzupassen.
Zurück zu diesen „Trojanern“ und Ihrer Rolle. Alle Kritiken – und jetzt auch Dirigent Alain Altingolu – preisen Ihre darstellerische Ausdruckskraft, für die Sie überhaupt berühmt sind. Ist für Sie das „Spielen“ einer Rolle so wichtig wie das Singen?
Das kann man so sagen, fast, als ob die Darstellung der entscheidende Teil meiner Performance wäre, ich würde nie einen Charakter vernachlässigen, nur um schön und gut zu singen. Man muss absolut ehrlich sein, und das ist meine Art, mich dem Publikum darzubieten. Und was die Inszenierung von David McVicar betrifft, so schätze ich an ihm, dass er immer so loyal ist zu Text und Musik.
Als Cassandre in der Londoner Aufführung (Foto ROH)
Nun hat die Cassandre einen „Nachteil“: Sie verschwindet mit Ende des zweiten Aktes, nach der Pause geht die Handlung zu Didon über. Nun gibt es Sängerinnen – Deborah Polaski, Shirely Verrett -, die beide Rollen an einem Abend gesungen haben. Würden Sie das je erwägen?
Um Gottes Willen, ich bin schon nach der Cassandre völlig ausgepowert und müde, diese Oper ist wie Donner und Blitz, so voll und gewaltig, und das gilt auch für meine Rolle. Außerdem sehe ich keine dramaturgische Notwendigkeit: Es sind ja doch zwei Opern, Aeneas ist die Figur, die durchgeht, im ersten Teil liegt der Schwerpunkt auf Cassandre, im zweiten auf Didon, warum soll das dieselbe Frau sein? Andererseits – ja, ich liebe die Musik der Didon, und ich könnte sie auch singen, aber tatsächlich hat sie mir noch niemand angeboten – vielleicht, weil jeder sieht, wie sehr ich Cassandre liebe und mich mit ihr identifiziere. Aber wenn jemand nach der Didon fragte, wer weiß? Wir Sänger sind ja so darauf angewiesen, Angebote zu erhalten. Ich habe deprimierende Erfahrungen damit gemacht, wenn ich versucht habe, Opernhäusern und Direktoren meinerseits etwas nahezulegen …
Zum Beispiel?
Zum Beispiel habe ich eben im April im Teatro Real in Madrid erstmals die „Gloriana“ von Benjamin Britten gesungen, übrigens auch in der Regie von David McVicar – und ich habe mich in diese Rolle verliebt! Diese alternde Königin entspricht endlich auch meinem realen Alter – denn egal, wie alt man ist, auf der Bühne soll man immer als junge Frau stehen. Die Elizabeth I., für die ich mein gesungenes Englisch sehr polieren musste und deren Musik nicht so ganz einfach ist, wenn man aus dem französischen und italienischen Fach kommt, war eine ungeheure Herausforderung. Aber jetzt würde ich die Rolle gerne überall spielen – aber niemand ist interessiert. Dabei könnte man die zugegeben aufwendige Produktion von Madrid auch anderswo zeigen, man weiß gar nicht, worauf man da verzichtet. Also, ich würde alles geben (would die for), die Elizabeth oft und überall singen zu können. Und das ist nur ein Beispiel…
Wir hören gern auch andere.
Der italienische Komponist Marco Tutino hat 2003 an der Scala die Oper „Vita“ herausgebracht, eine wundervolle Rolle für mich, eine alternde Psychoanalytikerin, die im Sterben liegt und merkt, dass sie nur für ihren Beruf gelebt hat und es jetzt keine Menschen rund um sie gibt… Ein großer Erfolg – und verschwunden, nie nachgespielt. Dann bekam Tutino einen Kompositionsauftrag von der San Francisco Opera und er wählte Moravias Roman „La Ciociara“, den jeder kennt, weil es ein so wunderbarer Film mit Sophia Loren war („Und dennoch leben sie“). Er hat die Rolle auf meine Stimme geschrieben, wir haben das Werk 2015 in San Francsico herausgebracht und dann 2017 noch einmal in Sardinien, im Teatro Lirico in Cagliari, gespielt… und sonst will niemand etwas davon wissen. Dabei ist das doch der Weg, den die Opernhäuser gehen sollten – sich neuen Werken zu öffnen.
Das heißt, Sie bewegen sich derzeit in einem Repertoire abseits des Opern-Mainstreams?
Das habe ich immer getan, Ich war immer eine Außenseiterin. Ich bin Italienerin, ich wollte Verdi singen und musste mit den Grenzen meiner Stimme leben. Also wurde es Rossini, darunter auch viele Werke, die man damals nicht kannte, und alte Musik, was vor ein paar Jahrzehnten auch noch ganz „neu“ war. Die Cassandre hat dann eine Wendung bedeutet, sie hat mir das französische Repertoire geöffnet, auch die Carmen, die ich in London mit Jonas Kaufmann gesungen habe, und vieles mehr – demnächst werde ich in Genf die Medea von Charpentier singen, nicht die von Cherubini, die habe ich vor zehn Jahren schon gemacht.
Das heißt, dass Sie früher genannte Träume von „konventionellen“ Rollen wie Norma oder Lady Macbeth aufgegeben haben und weiterhin dabei bleiben, dass der Name Anna Caterina Antonacci für das Außergewöhnliche steht?
Man träumt ja so manches, vieles erfüllt sich nicht. Aber es gibt ja so viel zu entdecken, etwa vor ein paar Jahren, als ich Hindemiths „Sancta Susanna“ in Paris gesungen habe – aber auch „Il segreto di Susanna“. Oder Werke, die kaum jemand kennt, wie die Penelope von Fauré, die ich mit Oliver Py in Straßburg gemacht habe. Ziemlich lange schon singe ich „La voix humaine“ von Francis Poulenc, oft auch kombiniert mit Liedern. Es ist mir ein Bedürfnis, immer etwas Neues zu machen – gerade jetzt, wo ich auf das Ende meiner Karriere zugehe.
Damit kokettieren Sie in jedem Interview schon seit Jahren, und Ihre zahlreichen Anhänger – ich kenne Opernfreunde, die Ihren Produktionen nachreisen – sind glücklich, dass es nicht dazu kommt. Was wollten Sie denn dann machen?
Nun, mein Sohn ist 18, und ich habe ihn nach Los Angeles geschickt, damit er ein Schauspielstudium aufnimmt. Er ist sehr begabt, aber junge Männer von heute denken nicht so sehr an ihre Zukunft, da habe ich ein bisschen nachgeholfen, ihm eine Richtung zu geben. Im Moment ist die nächste Zeit noch verplant, aber dann werde ich mich zu meinen Olivenbäumen zurückziehen – ich sage immer, am glücklichsten bin ich, wenn wir Olivenöl produzieren… Nur im Moment hat uns in meinem Heimatort Leuca, wo meine Eltern herstammen, dort an der Südspitze von Apulien, eine wahre Katastrophe betroffen, die Olivenbäume sterben, wunderbare, jahrhundertealte Bäume sind auf Grund einer Seuche tot. Da muss man jetzt alles neu pflanzen – ich selbst habe 130 Bäume und große Probleme damit. Das muss ich jetzt verdrängen und mich auf die Arbeit konzentrieren.
Wenn Sie in Wien sind, gehen Sie da auch in die Oper?
Bis jetzt bin ich noch nicht dazu gekommen, obwohl mich vor allem der eine oder andere Ballettabend reizen würde. Aber ich gehe wahnsinnig gerne in Museen. Als ich vor vielen, vielen Jahren für eine verrückte Aufführung von Glucks „Alceste“ in der Regie von Achim Freyer im Theater an der Wien war – das war nicht gut, ich war damals noch nicht bereit für Gluck -, habe ich mir alle Museen angesehen. Jetzt gehe ich wieder und stelle fest, sie sind alle ganz anders und neu und schön. Ja, und im übrigen gehe ich gerne ins Kino. In Genf bin ich dann eine von vier, fünf älteren Damen, die sich am Nachmittag einen alten Film ansehen…
Da kann man nur hoffen, dass Ihre Zukunft noch lange auf den Opernbühnen stattfindet und Ihnen viel Erfolg für Ihre geliebte Cassandre wünschen!