Was macht ihr eigentlich vormittags? – Oder: Wie entsteht eine Inszenierung?
Anette Leistenschneider inszeniert Rossinis Barbiere Di Siviglia am Tiroler Landestheater Innsbruck
Wir Theaterschaffende werden oft gefragt: „Was macht ihr eigentlich vormittags?“
Um Ihnen, wertes Publikum, einen Einblick in unser (Arbeits-) Leben zu geben, lüfte ich das Geheimnis um unsere Vormittage – am Beispiel meiner nächsten Inszenierung, „Il Barbiere Di Siviglia“ am Tiroler Landestheater Innsbruck.
Die Entwicklungen bei den verschiedenen Inszenierungen sind ähnlich und ich bitte den geneigten Leser, auch immer die weibliche bzw. männliche Form der genannten Positionen oder Berufe hinzuzufügen.
Denn es gibt zum Glück auch viele Intendantinnen, Bühnenbildnerinnen und im Gegenzug selbstverständlich auch viele Agenten und Kostümbildner – und auch Regisseure …
Ein sehr guter Vormittag im Leben einer Regisseurin beginnt mit dem Anruf eines Intendanten oder einer Agentur: „Guten Tag Frau Leistenschneider, haben Sie Zeit und Interesse, diese oder jene Oper zu diesem Zeitpunkt zu inszenieren?“ –
„Guten Tag, Herr Intendant, Frau Agentin, ich freue mich sehr über Ihren Anruf!
Ja, wunderbar, genau in diesem Zeitraum habe ich noch Kapazitäten und das Stück interessiert mich sehr!“
Manchmal muss man leider ablehnen: „So gerne ich an Ihrem Haus inszenieren würde – genau für diesen Termin bin ich bereits eine Verpflichtung eingegangen. Aber vielleicht in der kommenden Spielzeit?“
Man einigt sich über den schnöden Mammon – und über das Team, also über Bühnen – und Kostümbildner.
Im Falle des Barbiere Di Siviglia am Tiroler Landestheater Innsbruck schlage ich Karel Spanhak für die Bühne und Ulli Kremer als Kostümbildnerin vor. (Da ich Ihnen die Beiden nun sozusagen vorgestellt habe, spreche ich nun von „Karel“ und „Ulli“)
Da wir Drei bereits am Pfalztheater Kaiserslautern, dem ehemaligen Haus des neuen Innsbrucker Intendanten Herrn Johannes Reitmeier, Lortzings „Zar und Zimmermann“ auf die Bühne gestellt haben, begrüßt Herr Reitmeier meine Wahl sehr.
Ein guter erster Vormittag als Start in eine Inszenierung!
Nun kenne ich Karel und Ulli schon sehr lange; gemeinsam haben wir etliche erfolgreiche Opern und Operetten auf die Bühne gestellt – unter Anderem eine Lustige Witwe, eine Cenerentola und eine Open – Air Carmen; wir haben uns auch dem Barbiere Di Siviglia bereits gewidmet und gemeinsam in Polen und den Niederlanden gearbeitet. Wir mögen es farbig, sinnlich, kulinarisch…
La Cenerentola, Magdeburg 2011, Copyright Nilz Böhme
Unsere erste gemeinsame Barbiere – Besprechung findet einige Wochen nach dem Engagement statt. Vorher habe ich mir die „Marschrichtung“ überlegt, in der unser sevillanischer Barbier laufen soll.
In der Musik von Rossinis Spielopern liegt für mich so viel Charme, Verspieltheit, Augenzwinkern, Leichtigkeit, Tempo. Und Sinnlichkeit, wie sie vom Hobbykoch Rossini ausgehen musste, der mit 37 Jahren sein Komponistenwerk an den berühmten Nagel hing und sich fortan nur noch dem Kochen widmete – von meist sehr üppigen Speisen.
Ähnlich wie Rossinis Gerichte empfinde ich auch seine Opern – eine appetitliche Ouvertüre zum mitträllern als Vorspeise, als Hauptgericht ein köstliches Sujet gewürzt mit den Zutaten Liebe, Intrige und Verkleidung, Verwechslung, ein bisschen Herzschmerz und als Dessert dann die süße Verschmelzung zweier Komponenten hin zum glücklichen Ende.
In diesem Sinne möchte ich dem Zuschauer einen schmackhaften, appetitlich – heiteren Abend kredenzen, denn gerade in der heutigen Zeit oft so platter, billiger Unterhaltung ist es mir wichtig zu zeigen, dass es sehr gute Unterhaltung gibt.
Sie, liebes Publikum, sollen sich amüsieren – und sich für zwei Stunden von uns in eine Phantasiewelt entführen lassen, an deren Ende ein Happy End steht.
Doch nun zurück zur Inszenierungsarbeit, die das dann auch ermöglichen soll.
Beim ersten Treffen schildere ich Ulli und Karel, in welcher Ästhetik ich inszenieren möchte;
wir vergleichen mit unserem letzten Rossini, der Cenerentola, und ich erkläre, was ich mir beim Barbiere anders vorstelle. Es hilft, dass man sich lange kennt; mein Team weiß schnell, wie ich mir unser Stück wünsche. Auch dieses erste Treffen – dem noch etliche weitere folgen werden – beginnt an einem
Vormittag und es nimmt den kompletten Tag in Anspruch. Dieses Mal sind Ulli und Karel zu mir nach Frankfurt gekommen.
Kapaun a la Rossini
Wir unterbrechen unsere Arbeit nur für ein kleines Mittagessen und einen Kaffee, denn Essen hält Leib und Seele zusammen, ganz im Sinne des Meisterkoches Rossini: „Essen und Lieben, Singen und Verdauen, das sind im wahrsten Sinne des Wortes die vier Akte der Opera buffa, die man gemeinhin das Leben nennt – und das vergeht wie der Schaum einer Champagnerflasche. Wer es dahinschwinden lässt, ohne es genossen zu haben, ist ein Erznarr.“
(G. Rossini)
Für uns muss es allerdings kein Kapaun gefüllt mit Trüffeln und Gänseleber sein – wir sind da etwas figurbewusster…
Ulli und Karel beginnen auf dem großen Esszimmertisch mit den ersten Skizzen, die in den folgenden Wochen und Monaten noch viele Modifizierungen und Details erhalten werden. Der Barbiere wird vor Bartolos Haus, in Rosinas Zimmer mit Balkon, Bartolos Schlaf – und Musikzimmer, dem Salon des Hauses und in der Küche spielen.
Für Karel geht es nun darum, die von mir gewünschten vier Zimmer des Hauses auf der Drehscheibe zu positionieren – in einer Optik, die auch dem strengen Auge eines Bühnenbildners genügt. Dass es in meiner Konzeption eine Inszenierung auf der Drehscheibe sein muss, um zügig von einem Raum in den nächsten zu gelangen, war eine meiner ersten Entscheidungen.
Zeitgleich skizziert Ulli die ersten Kostümtendenzen, den Stil, die Farben. Wie die Kostüme dann später detailliert aussehen werden, hängt nicht nur vom darzustellenden Charakter, sondern auch von Figur und Bewegungsstil des Sängers auf der Bühne ab.
Bereits beim ersten Gespräch einigen wir uns auf eine bunte, frei erfundene „Barockkoko – Popoptik“; es dominieren barock – üppige Schwünge, Formen und Elemente kombiniert mit dem leichteren, luftigen Rokokko, denen die Kollegen im Malsaal des Innsbrucker Theaters fröhliche Farben verpassen werden.
Auch die Kostüme werden in unserem „Barockkokko“ angelegt, darin aber wieder augenzwinkernd variiert. Kulinarisch soll es wieder einmal werden! (Rossini soll da oben im Künstlerhimmel seine Freude haben!)
Diesem Treffen folgen noch weitere; zwei Male in Raststätten an der Autobahn, so dass Bühnenbildner und Regisseurin jeweils nur die Hälfte der Strecke Kirchzarten – Frankfurt zu fahren haben.
Jedes Mal entwickeln wir unsere Grundidee weiter, verwerfen Details, erfinden Neue und nähern so dem „vorläufigen Endprodukt“.
Es werden Faxe hin – und hergeschickt mit Vorschlägen; man telefoniert, mailt sich weitere Ideen und Details zu und erstellt viele (vorläufige) Listen: von Möbeln, von Requisiten, von Kostümdetails, von Beleuchtungsstimmungen, von Spezialfeffekten, von Toneinspielungen und anderen mehr – und dann trifft man sich wieder.
Karel baut ein sogenanntes Weißmodell (ein Bühnenbildmodell im Maßstab, aber noch nicht coloriert) und anhand des Modells arbeiten wir weitere Ideen aus und haben zu diesem Zeitpunkt unserer Arbeit immer das herrlich übermütige Gefühl, sich wie auf einem Spielplatz austoben zu dürfen. Mit viel Spaß an der Arbeit – und mindestens ebenso viel Ernsthaftigkeit, unser Ziel nie aus den Augen verlierend.
Um eine größere Luftigkeit und Transparenz zu erreichen, verzichten wir einige Wochen und viele Überlegungen später auf die gebauten Mauern und stellen nur Türdurchgänge sowie die Begrenzungen der Mauern zwischen den Zimmern auf der Bühne.
Weißmodell
Hier sind beim Weißmodell die Wände komplett gebaut, damit das Kleinod (das noch etliche Reisen erleben wird) eine gewisse Stabilität hat.
Im Mai 2012, etwa fünf Monate nach der Anfrage Herrn Reitmeiers, steht die erste Besprechung in Innsbruck an – die technischen Abteilungen (Schreinerei, Schlosserei, Malsaal, Beleuchtung, Requisite, Tischlerei, Tapezierer und die Kostümabteilung) möchten wissen, was auf sie zukommen wird, denn die Zeiten zum Bau und Ausarbeitung aller Stücke der Spielzeit müssen koordiniert werden.
So treffen Karel und ich uns im schönen Tiroler Landestheater mit dem Technischen Direktor und den Vorständen der Abteilungen. Wir werden sehr freundlich empfangen und führen ein äußerst positives Gespräch mit Allen.
Für die technischen Ansprüche des Bühnenbildes werden Lösungen diskutiert und gefunden; und bis zum nächsten großen Termin, der sogenannten „Bauprobe“ Mitte Juni, müssen noch einige Details geklärt werden.
Wieder zurück in Frankfurt (Anette), Kirchzarten (Karel) und Trier (Ulli) wird wieder heftig gemailt, telefoniert, gefaxt. Kostümentwürfe und Stoffvorschläge für die benötigten Uniformen werden von Ulli per Post gesendet.
Meine Arbeit besteht nun in der Ausarbeitung der einzelnen Szenen und der exakten Charakterisierung der Figuren auf der Bühne. Dazu erfinde ich „Lebensläufe“ jeder Figur, sozusagen ihr „Leben vor dieser Oper“.
Damit Sie sehen, wie so etwas dann aussieht, hier als Beispiel der Lebenslauf Dandinis aus meiner Cenerentola (das ist übrigens der von den beiden Damen in die Mangel genommene Herr im rosafarbenen Anzug auf dem Foto oben): Dandini, rechte Hand Don Ramiros und Mann für alle Fälle
Geboren in Little Italy entwickelte er sich dort schnell zum Fachmann in Sachen Autotürschlösser und Juweliersafes. Als er gerade im Begriff war, sich intensivst um einen nagelneuen Maserati zu kümmern, tauchte plötzlich dessen Besitzer auf. Nach einem kleinen Schlagabtausch in jeder Hinsicht kamen die Beiden schnell überein, sich gemeinsam im Maserati davon zu machen. Das könnte mit den nahenden Polizeiwagen zu tun gehabt haben; der Polizeichef hatte kurz zuvor einen Tipp bekommen, dass sich der Patensohn Don C.s in der Stadt aufhalten solle. Und der Polizeichef wünschte sich nichts sehnlichster als eine kleine Unterhaltung mit diesem.
Von diesem Zeitpunkt an wurde Dandini zu einem engen Vertrauten Don Ramiros – und Chauffeur seines Maseratis. Auch seiner Ferraris. Und seiner Sammlung historischer Alfa Romeos. Und des Aston Martins aus dem Besitz eines englischen Geheimagenten.
An freien Tagen geht Dandini weiterhin seinem ehemaligen Beruf nach …
Vier Wochen später treffen wir Drei uns in Innsbruck zur „Bauprobe“, einem weiteren Meilenstein in der Inszenierungsarbeit, bei der das Bühnenbild mit vorhandenen Stellwänden, Latten und Normpodesterie auf der Bühne markiert wird.
Auch hier sind wir wieder sehr positiv überrascht – die Bühne ist nicht nur „irgendwie“ markiert, sondern alles ist mit Hilfe der speziell für die späteren Proben angefertigten geschwungenen „Wandfragmente“ aus Holz bereits bestens präpariert worden.
So ist die Bauprobe exzellent von den technischen Abteilungen vorbereitet; wir notieren noch die Geschwindigkeiten der Bühnendrehungen von einem Raum in den nächsten, verändern die eine „Wandhöhe“ und können schon aus einer Vorauswahl von Möbeln wählen.
Am Abend des Tages schauen wir uns im Theater den von Frau Ks Fassbaender inszenierten „Albert Herring“ an und amüsieren uns prächtig.
Aber auch hier sind wir nicht nur zum Vergnügen, sondern auch „dienstlich“ – ich schaue mir „unsere“ Sänger genau an und habe am Ende des Abends weitere Ideen für ihre Barbiere – Figuren entwickelt.
Für Ulli ist es wichtig, jeden Sänger auf der Bühne zu erleben um jeden optimal kleiden zu können.
Unsere Maxime ist es, die Stärken jedes Künstlers zu betonen – und in jedem Falle zu vermeiden, irgendwelche kleine Schwächen, die wir nun einmal alle haben, auszustellen.
Karel und ich entwerfen im Geiste schon ein Beleuchtungsschema für uns, lernen das Aufgebot der Scheinwerfer und deren Einsatzmöglichkeiten kennen und gehen alle Drei voller Eindrücke zurück ins Hotel.
Wir entscheiden uns dort noch für die Farben des Bühnenbildes, damit Ulli die der Kostüme so wählen kann, dass die Personen sehr präsent „im Bild stehen“ und nicht darin untergehen.
In den nächsten Tagen werden per Email mit der Ausstattungsassistentin einige Details festgelegt, andere auf den Saisonstart im September verschoben.
In Innsbruck wird bereits für die Spielzeiteröffnung geprobt; im Musiktheater inszeniert Herr Reitmeier die große Lyrische Oper La Wally von Catalani, GMD Alexander Rumpf dirigiert.
Diese Oper spielt in Tirol und ist ein absoluter Leckerbissen für alle Opernfreunde. Wallys große Arie „Ebben? Ne andro lontana“ ist durch den 80er- Jahre Kultfilm „Diva“ von Jean – Jacques Beineix einem großen Kinopublikum zum Begriff geworden.
Nach einigen Wochen „Vorproben“ der La Wally geht das Landestheater in die wohlverdiente Sommerpause, in der das Haus einige Wochen lang geschlossen ist. Keine Vorstellung läuft, die Künstler und viele Kollegen aus allen Abteilungen sind im Sommerurlaub, um dann frisch in die neue Saison zu starten.
Auch mein Team ist in der Sommerpause – zeitweise zumindest, denn für Karel stehen noch zwei Festspielproduktionen an; für Ulli eine Musicalproduktion am Deutschen Theater München in Kooperation mit Musik und Theater Saar in Merzig (Saarland) sowie eine Oper am Staatstheater Nürnberg.
Ich darf nach etlichen Sommern mit Open – Air – Produktionen zum ersten Mal seit langem den Sommer mit meinem Lebensgefährten genießen.
Keine 6 Wochen in einer anderen Stadt, keine Proben bei 40 Grad im Schatten oder bei 10 Grad im Dauerregen; keine Beleuchtungsproben bis zum Morgengrauen, sondern Urlaub.
(Aber – pscht – ich verrate Ihnen etwas – all das fehlt mir auch sehr!!!)
Die Sommerpause neigt sich ihrem Ende zu, genau wie meine Vorarbeiten zum Barbiere.
Dazu habe ich für jeden Moment der Oper einen szenischen Vorgang und dessen Subtext entwickelt.
Jeder Sänger soll wissen, wie ich mir erst einmal die „Verkehrsregelung“ und das Timing der Szene vorstelle (gerade bei Rossini – Ensembles extrem wichtig). Damit jeder weiß, wie er den Vorgang zu spielen hat, werde ich später in den Proben jedem erst einmal die Grundlage erklären – warum tut der Charakter auf der Bühne gerade das in dem Moment und was denkt er dabei.
Im Verlauf der Proben wird alles differenzierter; erst muss jeder wissen, wann er wohin geht und wann er wo enden soll.
So gibt es immer eine Vorgabe von mir – am Schreibtisch mit Klavierauszug und CD erarbeitet. Während der Proben freue ich mich immer sehr darüber, wenn die Sänger auf mein Konzept eingestiegen sind und ihre Figuren in meinem Sinne weiterentwickeln und eigene Vorschläge beisteuern.
Während der Vorarbeit in diesem Stadium werden alle vorher beschriebenen Listen erweitert; ich überlege mir bereits in etwa die Beleuchtungsstimmung, in der ich die Szene spielen lassen möchte, notiere kleine weitere Details für Karel und Ulli und verbringe die Vor – und Nachmittage am Schreibtisch mit CD – Stereoanlage – nur Rossini und ich.
Bald aber wird es ernst. Am 8. Oktober beginnen die szenischen Proben in Innsbruck. Das heißt Koffer packen für sieben Wochen Probenzeit, die Reise planen, zu Hause alles erledigen, was erledigt werden muss und bereits eine Postkarte entwerfen lassen, um allen Intendanten den Premierentermin mitzuteilen.
In Innsbruck werde ich bei beim Konzeptionsgespräch am ersten Probentag „meinen“ Sängern und den musikalischen Vorständen unsere Konzeption vorstellen; das Bühnenbildmodell wird bereit stehen und die Figurinen werden an eine Stellwand gepinnt sein, so dass jeder Sänger sieht, was an Bühnen – und Kostümästhetik auf ihn zukommen wird.
Hier beschreibe ich auch die einzelnen Charaktere ganz genau – vor Allem das, was ich zu den Vorgaben von Rossini und seinem Textdichter Sterbini dazu gedichtet habe. Das ist eine aufregende Stunde für mich. Ich hoffe, dass meine Ideen Anklang finden und dass bereits jetzt hier und da gelacht wird, wenn ich die einzelnen Charaktere beschreibe.
Ein Regisseur ist schließlich auch nur ein Mensch …
Ab jetzt sind wir alle ein Team, das gemeinsam an einem Strang zieht, um Ihnen einen unvergesslichen Abend zu bereiten.
Nun beginnt der Alltag der szenischen Proben – noch auf der Probebühne, wo unser Bühnenbild mit Versatzstücken „markiert“ worden ist. Die Hauptbühne ist noch mit den Proben der Stücke belegt, die vor uns Premiere haben wie La Wally, die Ballett – UA Carmen oder Der Kleine Horrorladen.
Wir proben vormittags (sic!) von 10 – 14 Uhr und am Abend wieder von 18 – 22 Uhr; samstags meist nur vormittags.
Am Vortag werden die Proben für den nächsten Tag geplant – wann probt in diesen Zeiträumen welcher Sänger mit welcher musikalischen Nummer am nächsten Tag? Da puzzeln oft Regisseurin und Regie- Assistent die ganze zwanzig minütige Pause über, um ein sinnvolles Programm zusammen zu stellen, bei dem niemand warten soll.
Puzzleteilchen sind nicht nur unsere Proben sondern auch die laufenden Vorstellungen, in denen die Sänger beschäftigt sind (was auch die Vormittagsproben bestimmt, wenn der singende Kollege eine große Partie am Abend hat); die vertraglich festgelegten freien Tage der Sänger;
die ebenfalls festgelegten Urlaubstage für Gastsänger, die an anderen Theatern weitere Verpflichtungen haben; die Verfügbarkeit des Chores, des Extra – Chores und der Statisterie sowie weitere Kleinigkeiten ohne Ende. Des Regisseurs täglich Brot …
Jetzt wird es von Tag zu Tag spannender. Die einzelnen geprobten Szenen wachsen von Probe zu Probe zusammen, Timing und choreographierte Szenen werden immer präziser, die Charaktere gewinnen an Kontur, das Zusammenspiel Aller funktioniert immer besser.
Die ersten Originalrequisiten werden vorgeführt; die Werkstätten verlangen nach kleineren Entscheidungen beim Bau des Bühnenbildes; das Statistencasting steht an, ebenso eine Besprechung mit dem Beleuchtungsmeister, der wissen möchte, was er für die Beleuchtungsproben vorbereiten
soll. Während der 6 – 7 wöchigen Probenzeit sind Karel und Ulli nicht ständig vor Ort, sondern nach Absprache mit den Werkstätten.
So werden für jedes Kostüm je nach Aufwand 3 – 5 Anproben eingeplant (manchmal auch mehr), bei denen Ulli hier und da rumzuppelt, Spitze aussucht, Verschlüsse, Schuhe, Strümpfe, Schmuck, die Stoffe am Sänger drappiert und dabei immer im Auge hat, den Sänger bestmöglichst aussehen zu lassen. Die Stoffe hat sie vorher ausgewählt – zum Teil aus dem Stofffundus des Theaters, zum Teil hat sie bei den Firmen bestellt, mit denen sie seit vielen Jahren zusammen arbeitet, oft fährt sie zum Brüsseler Flohmarkt, wo es herrliche alte Spitze gibt. Das Beste ist uns immer gerade gut genug.
So erarbeitet sie mit den Kolleginnen aus Schneiderei, Hutmacherei und Schuhmacherei (die leider in den meisten Theatern mittlerweile nicht mehr existiert) die Kostümausstattung, die ebenfalls von Tag zu Tag wächst.
Neugierige Regisseure (dazu gehöre ich) sind gerne bei den Anproben dabei und treiben sich immer wieder in den Werkstätten herum um mitzuerleben, wie alles zum Endprodukt zusammen kommt.
Nach etwa 3 Wochen Probenbühne geht es auf die Hauptbühne – die Spannung erhöht sich. Meist werden immer mehr originale Bühnenbildteile aufgebaut. Das Kribbeln nimmt zu.
Das Orchester beginnt unter seinem Dirigenten Kevin Edusei zu proben – alle müssen wissen, wie Kevin das Stück musikalisch interpretiert, welche Tempi er wählt und welche weiteren Absprachen für ihn wichtig sind.
Während für das Regieteam die Beleuchtungsproben beginnen – mittlerweile steht das Originalbühnenbild, es fehlt höchstens hier und da noch Kleinigkeiten – kommen Sänger und Orchester zum ersten Mal zusammen, zu den sogenannten „Sitzproben“.
Man probiert allerdings nicht aus, wer wie wo sitzt, sondern dieser etwas merkwürdige Name beschreibt, dass die Sänger beim Orchester sitzen und sich nicht wie später auf der Bühne bewegen.
Je nach Stück benötigt man 3 – 4 Sitzproben; währenddessen sitzen (!) Regisseurin, Bühnenbildner und Beleuchtungsmeister im dunklen Zuschauerraum und arbeiten die einzelnen Beleuchtungsstimmungen aus.
Am Regiepult- während der Beleuchtungsproben meines letzten Idomeneo
Die Kollegen der Beleuchtung richten und positionieren Scheinwerfer, wechseln Farbscheiben aus, hängen zusätzliche Scheinwerfer in die Züge über der Bühne.
Der Kollege im Stellwerk „zieht“ zum Anschauen die einzelnen Scheinwerfer, die der Beleuchtungsmeister ansagt; das Regieteam legt Farben und den Helligkeitsgrad fest.
Bei unserem Barbiere werden wir etwa auf 50 Lichtstimmungen kommen, dazu etliche Effekte wie das berühmte Gewitter und einige Specials, die sich auf der Bühne ereignen werden.
Dazu werden wir etwa 3 Tage benötigen; nach den Hauptproben in komplettem Kostüm und Maske wird dann nochmals korrigiert. Auch hier beenden wir unsere Arbeit erst, wenn wir ganz zufrieden sind, auch wenn es manchmal nur um Kleinigkeiten geht.
Die Spannung steigt – mittlerweile sind es noch etwa 10 Tage zur Premiere und die Bühnenorchesterproben beginnen. Nun sind Sänger und Orchester auf Bühne und im Orchestergraben vereint. Bei den BOs hält sich die Regisseurin vornehm zurück – die Aufmerksamkeit ihrer Sänger gilt jetzt zu allererst ihrem Zusammenspiel mit dem Orchester.
Die Spannung muss dann später wieder dazu kommen, nicht zu früh, denn schließlich müssen alle am Premierenabend stimmlich wie szenisch auf ihrem absoluten Höhepunkt sein.
Dann kommt die erste Stunde der Wahrheit – die Klavierhauptprobe. Zum ersten Mal spielen die Sänger in Kostüm und Maske im Licht im Original Bühnenbild.
Alle werden nun ein bisschen hektisch – hier passen die Schuhe doch nicht so gut zum Kleid, da wurde eine Weste vergessen, dort muss an der Farbe des Teints der Hauptdarstellerin noch etwas geändert werden.
Da häufig von Seiten der Regie unterbrochen wird – sei es, um schnell eine Beleuchtungsstimmung zu korrigieren, sei es, um einen Umbau nochmals proben zu können, gibt es „nur“ einen Flügel und einen (äußerst geduldigen) Pianisten. Ständig den großen Orchesterapparat anhalten zu müssen wäre in jeder Hinsicht kontraproduktiv.
Die Sänger singen nicht aus – sie wissen, dass es hier nicht um die große Kunst geht und sie ihre Kräfte bis zur Premiere hin gut einteilen müssen.
Nach der KHP proben wir auch mehrmals die Applaus – (Verbeugungs- ) ordnung, denn auch die muss sauber geprobt auf die Bühne gebracht werden.
Nach der KHP wird oft nochmals die Beleuchtung ein wenig korrigiert – schließlich haben auch wir nun zum ersten Mal das Gesamtergebnis gesehen.
Bis zur Orchesterhauptprobe am nächsten oder übernächsten Tag laufen die Werkstätten mit kleineren Korrekturen wieder auf Hochtouren; für die Sänger gibt es nach der Probe „Kritik“, meist in der Kantine, wo wir dann alle müde und abgekämpft sitzen.
Und alle müssen – ein vorletztes Mal – der Regisseurin zuhören, die immer noch Kleinigkeiten findet, die NOCH besser werden können.
In der Orchesterhauptprobe bauen alle Sänger wieder mehr Spannung auf – die Premiere ist in greifbarer Nähe.
Danach wird wieder verfeinert, verbessert – wir lassen auch uns selbst nichts durchgehen, hinterfragen ob wir dorthin gekommen sind, wo wir hinkommen wollten. Wenn nicht – woran lag es?
Die Generalprobe. Alles soll nun laufen wie bei einer Vorstellung. Weder Regisseurin noch Dirigent unterbrechen, wenn es nicht absolut sein muss. Jeder Sänger soll komplett durchspielen und –singen können. Danach die letzte Kritik – und Wehmut bei der Regisseurin.
Nun ist meine Arbeit zu Ende. Meist sind das Theater und das Sängerteam meine Ersatzfamilie geworden; man hat so lange so intensiv nicht nur miteinander gearbeitet, sondern auch gelebt.
Auf dem Weg nach der GP in die Theaterwohnung muss ich schlucken.
Meist liegt ein freier Tag zum Kräftesammeln vor DEM Tag, auf den wir seit über einem Jahr hin arbeiten – die Premiere. Jetzt sollen alle ihr Optimum zeigen, alle sind wie elektrisiert, die Spannung knistert schon, wenn man das Theater betritt.
Kleine ToiToiTois (Premierengeschenkchen) werden in den Garderoben ausgelegt als Dankeschön für die gemeinsame Arbeit.
Sänger singen sich ein, aus den Stimmzimmern hört man wie die Orchestermusiker ihre Instrumente stimmen und einspielen. Hektische Betriebsamkeit in der Kantine. Der Inspizient überprüft noch einmal mit dem Assistenten, ob auf der Bühne alles da ist – alle Requisiten, Kostüme zum eventuellen schnellen Umzug neben der Bühne. Da der Inspizient die technischen Signale für Drehscheibenfahrten, Umbauten, Verwandlungen und Beleuchtungsstimmungen abgibt, bespricht er sich noch mit dem Bühnenmeister, ob denn alles in Ordnung sei.
Alles bestens.
Das Orchester wird in den Graben gerufen.
Die Zuschauer sitzen – der Dirigent tritt auf, stellt sich vor sein Orchester und beginnt zu musizieren.
Hochspannung bei den Sängern. Alle positionieren sich, wünschen allen Kollegen noch ein kräftiges ToiToiToi und spucken dem Kollegen über die linke Schulter, denn da lauert der Teufel. Aber angespuckt kann er nichts mehr sehen und verzieht sich …
Das Ende der Ouvertüre naht.
Ein letztes privates Bewegen auf der Bühne, ein letztes Räuspern.
Jetzt.
Der Vorhang öffnet sich.
Los geht’s! Andiamo!
Wir wünschen Ihnen, liebes Publikum, einen vergnüglichen Abend – und gehen in unsere nächsten Vormittage und konzipieren, telefonieren, skizzieren, radieren, selektieren, formulieren, explizieren, kopieren, visionieren, probieren und realisieren schließlich das, inszeniert werden soll.
Herzlichst, Ihre
Anette Leistenschneider