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ANETTE LEISTENSCHNEIDER: Und jetzt Operndirektorin!

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Foto: Herta Haider

ANETTE LEISTENSCHNEIDER

Und jetzt Operndirektorin!

Anette Leistenschneider hat ihren Weg nach oben beharrlich Schritt für Schritt gemacht – von der Statistin zur Praktikantin, von der Regieassistentin zur Regisseurin, von der Festival-Gründerin nun auch zur „Chefin“ – ab Herbst wird sie Operndirektorin am Theater in Nordhausen (Nordthüringen) sein. Vorher erlebt man in Baden bei Wien noch ihre „Frasquita“. Grund genug, dem Online Merker Rede und Antwort zu stehen.

Das Gespräch führte Renate Wagner

Frau Leistenschneider, wer sich als Opernfreund auch in den Bundesländern umschaut, denen sind Sie ein Begriff, denn Ihre Inszenierungen von „Der Barbier von Sevilla“ und „Hänsel und Gretel“ in Innsbruck waren ausgesprochen große Erfolge. Nun sind Sie uns ein bisschen näher gerückt, bis Baden, wo Sie die diesjährige Sommerspielzeit in der Sommerarena mit der selten gespielten Lehar-Operette „Frasquita“ eröffnen.

Intendant Sebastian Reinthaller und ich haben uns erst einmal bei einem Kaffee kennen gelernt, ich habe meine „Mappe“ mitgebracht mit Fotos meiner Inszenierungen, hatte auch DVDs dabei. Man muss natürlich auch spüren, ob die Chemie zwischen einem Intendanten und einem Regisseur stimmt, sonst geht es nicht. Ich habe meine eigene Ästhetik, teils sehr opulent und bunt, das muss gewollt werden. Und nach diesem allgemeinen Kennenlernen, wo noch keine Rede von „Frasquita“ war, kam der Anruf mit der Anfrage, ob ich diese Lehar-Operette machen würde, erst ein knappes Jahr später. Und da habe ich gemerkt, wie schön hier in Baden die Tradition der Operette gewissermaßen „authentisch“ gepflegt wird und welch toller Raum diese Sommerarena ist – wenngleich wir sie erst, weil sie ja den Winter über zugesperrt war, „putzen“ mussten…

Können Sie sich erklären, warum diese „Frasquita“ – Lehar ist schließlich ein allererster Operettenname – im Vergleich zu anderen Werken des Komponisten so wenig gespielt wird?

Eigentlich nicht. 1922 bei der Uraufführung gab es nur wenige Vorstellungen, da hatte die Operette mit Revuen und dem Film plötzlich zu viel Konkurrenz. Vielleicht denkt man bei „Frasquita“ auch an „Carmen“ und meint, es würde eine große, dramatische Geschichte – obwohl die Dramatik ja nicht zu kurz kommt, aber es hat ein Happyend. Natürlich hat Lehar, um es einmal so auszudrücken, „stärkere Musiken“ geschrieben als hier.

Stichwort 1922: Da würden nun viele Kollegen die Zeitumstände mitinszenieren und wohl auch die Zigeuner-Problematik einbringen, also heutige Gesichtspunkte. Ist das für Sie in einer Operetten-Inszenierungen relevant?

Natürlich analysiert man für eine Inszenierung nicht nur das Libretto und die Musik, sondern informiert sich auch über die Zeitumstände. Aber nichts an „Frasquita“ trägt den Stempel „1922“, dieses Werk hätte genau so gut auch 1880 geschrieben sein können, und die Zwischenkriegszeit hat da nichts damit zu tun. Für mich ist entscheidend, Unterhaltung auf gutem Niveau zu machen, ich will das Stück erzählen, die Geschichte erzählen, die Charaktere herausarbeiten. Und für mich muss Operette opulent sein, das gehört dazu. Ich arbeite für das Stück, das Theater und das Publikum. Wenn ich nur für mich und für meine versponnene Phantasie Theater machen würde, könnte ich das auch mit Kasperlepuppen tun. Aber es geht ja darum zu sagen: Kommt Leute, setzt Euch zwei Stunden hin, lacht oder weint und gebt Euch da rein – und genießt Theater.

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Bibiana Nwobilo und Sebastian Reinthaller /
„Frasquita“ in Baden / Foto Christian Husar, Stadttheater Baden

Das könnte man nun für einen äußerst verwerflichen „kulinarischen“, unserer Zeit unwürdigen Standpunkt halten. Ja, ich wage zu sagen, dass Sie vielleicht nicht in Nordhausen, einer mittelgroßen Stadt in Thüringen, Operdirektorin wären, sondern an einem großen Haus, wenn Sie das anders sähen?

Ja, aber das bin ich nicht. Ich muss meine Inszenierungen vertreten können. Mein Naturell ist, wie es ist, ich bin ein offener fröhlicher Mensch, darum bin ich der Operette zugeneigt, und da ich kann mich nicht verstellen und mag es auch nicht. Ich kenne natürlich Kollegen, die mehr oder minder zugeben, ja, ich haue richtig auf den Putz, damit ich in die Presse komme, denn wenn ich das Stück eins zu eins inszeniere, interessiert das keinen…

In unserer Zeit sind Frauen als Regisseurinnen absolut keine Seltenheit mehr, aber noch vor zwei Jahrzehnten war das anders. Wie kommt man übrigens als junges Mädchen, das in einer kleinen Stadt im Saarland aufgewachsen ist, zu diesem auch heute nicht alltäglichem Berufswunsch – Schauspielerin oder, wenn man es sich schwerer machen will, Sängerin läge ja viel näher?

Ich bin in Dillingen aufgewachsen, einer Stadt mit 20.000 Einwohnern im Saarland, und komme aus einer Familie von Steuerberatern, Ärzten und Lehrern – einem Elternhaus, in dem ich immer nur Unterstützung erfahren habe und in dem mir eine sehr schöne Kindheit geschenkt wurde. Auch wenn meine Eltern selbst keine Theatergänger waren, haben sie mir von früher Kindheit an ermöglicht, das Saarbrücker Staatstheater zu besuchen. Sechs Jahre war ich alt, als ich dort „Die Schneekönigin“ sah – und ab dem Moment vom Theater verzaubert war. Und als ich dann mit 14 Jahren meine erste Oper gesehen habe – den Weberschen „Freischütz“ -, hat mich die Musik mitten in die Seele getroffen. Aber ich war nie ein Mensch, der sich darstellerisch auf der professionellen Bühne präsentieren wollte, so viel an Laientheater ich auch gespielt habe. Mich haben die Bilder auf der Bühne fasziniert und das, was die Sänger und Sängerinnen auf der Bühne gezeigt haben; wie sie welchen Charakter dargestellt haben und wie viele unterschiedliche Lesarten für dieselben Stücke es gibt. Und sobald ich Opern- oder Operettenmusik höre, entstehen Bilder in meinem Kopf, entwickeln sich die einzelnen Charaktere der Bühnenfiguren… ich war zur Regisseurin bestimmt.

Und da sind Sie gleich mit diesem Berufswunsch direkt zum Theater gegangen?

Nach dem Abitur habe ich studiert, Musikwissenschaften, außerdem Germanistik und Kunstgeschichte, das theoretische Rüstzeug für den Beruf. Aber ich bin auch gleich mit 18 Jahren zum Saarländischen Staatstheater in Saarbrücken gegangen: Hier bin ich, ich würde gerne hospitieren. Das gab es damals in der Form noch gar nicht – nein, das hatten wir noch nie, das geht nicht, schon wegen der Versicherung nicht… Also wurde ich Statistin, da war ich versichert, und dann war ich so freundlich penetrant, bis ich dann bei „Othello“ Kaffee holen durfte und Kopien machen und sonstige kleine Dienste, und von da an ging es Schritt für Schritt, ich habe alles gemacht, selbst Beleuchtungsinspektion und Souffleuse. Und Jun Märkl, der damals in Saarbrücken Generalmusikdirektor war, wollte mich immer bei den Vorsingen dabei haben und fragte dann auch, was ich von diesem oder jenem Sänger hielte… Ich habe damals so viel von ihm gelernt, einfach an kompetenten Urteilen, das möchte ich um keinen Preis vermissen. Das war Learning by Doing. Nach vier Jahren hat man mir dann einen Assistenzvertrag angeboten – ich kann sagen, ich habe wirklich dafür gekämpft, mir meinen Traumberuf zu ermöglichen. Dabei wollte ich nie Schauspielregisseurin sein: Das Musiktheater hat mich immer mehr berührt als Sprechtheater – die weitere Dimension der Musik erreicht Seele und Herz, und das brauche ich.

Und wann darf man dann von den niedrigen Diensten zur Selbständigkeit aufsteigen?

Ich hatte Glück. Im Jahr 1988 wurde der Zuschauerraum des Großen Hauses komplett saniert, und so konnte dort fast ein Jahr lang nicht auf der Hauptbühne gespielt werden. So wurde auf andere, kleinere Spielstätten ausgewichen, und ich durfte mit dem Ensemble, dem Orchester und dem Ersten Kapellmeister des Theaters meine erste Inszenierung auf die Bühne der Musikhochschule zu bringen, das war „Der Triumph der Ehre“ von Alessandro Scarlatti. Und nochmals Glück – dass ich als junge Regisseurin meine zweite Inszenierung am Prinzregententheater mit den Opernstudio-Absolventen proben durfte – unter der musikalischen Leitung von Staatskapellmeister Heinrich Bender, der vor kurzem leider verstarb, das war eine große Ehre für mich. Da auch einige Studenten von Astrid Varnay in meinem kleinen „Öperchen“ mitsangen – es waren „Die beiden Pädagogen“ von Mendelssohn –Bartholdy -, habe ich auch sie selbst noch kennen gelernt. Das ist ein immer noch sehr präsenter Moment in meinem Regieleben. Dass die Inszenierung dann vom Fernsehen aufgezeichnet wurde, war ein Ausflug und Abenteuer in ein anderes Medium. Danach ging es wieder weiter am Staatstheater, als Assistentin und Abendspielleiterin und immer wieder mit einer Inszenierung betraut.

Als Sie dann beschlossen, freie Regisseurin zu werden – war das nicht sehr riskant? Hätte das nicht ganz schief gehen können?

Kirsten Harms, die damals designierte Intendantin am Opernhaus Kiel war, und Georges Delnon, damals der designierte Intendant des Theaters Koblenz, und ein Saarbrücker Kinder-und Jugentheater hatten damals gemeint, wenn ich je frei schaffend würde, hätten sie wohl etwas für mich, und so habe ich den Sprung ins kalte Wasser gewagt. Beiden zukünftigen Intendanten hatte ich zuvor in Saarbrücken assistiert, und es ist natürlich wichtig, dass man Leute kennt und langsam sein Netzwerk ausbreitet. Obwohl ich sagen muss, dass ich gar nicht so gut darin bin, mir ist die Arbeit wichtiger als alles andere – Männer verwenden, glaube ich, da mehr Energie und Geschick auf ihr Networking. Aber es wäre gelogen, wenn ich sagte, dass ich es nicht tue – man muss einfach immer wieder auf sich aufmerksam machen. Seit einigen Jahren versende ich zum Beispiel nach den Premieren Postkarten mit einem Produktionsfoto, Ausschnitten von Kritiken, den Folgevorstellungsdaten und einer persönlichen Einladung an nahezu alle Intendanten und Intendantínnen im deutschsprachigen Raum. Präsent bleiben ist sehr wichtig in meinem Beruf. Mittlerweile gibt es auch viele Intendanten mit denen ich seit Jahren in Kontakt stehe; Dramaturgen oder Dirigenten wechseln die Häuser und berichten über unsere gemeinsame Arbeiten, und so wird man dann auch weiterempfohlen.

Sie sind in den mittelgroßen deutschen Häusern sehr herumgekommen, wenn man Ihre Website ansieht – Hagen, Kiel ,Detmold, Koblenz, Gießen, Heidelberg, Hannover, Gera, Magdeburg, Mainz, Osnabrück, Augsburg, Lübeck, Dortmund, Kaiserslautern, Erfurt, Eutiner Festspiele, mit Ausflügen in die Niederlande, nach Polen, Rumänien, Bulgarien…

Ich liebe es, an den unterschiedlichsten Theatern zu arbeiten und die unterschiedlichsten Menschen kennen zu lernen. Einmal bekam ich sogar ein Angebot aus Südkorea, ich hätte das liebend gerne gemacht, aber es ging sich nicht aus.

Neben all diesen Inszenierungen, manchmal vier pro Jahr, haben Sie 2009 noch ein Zertifikat als „Kulturmanagerin“ erworben. Was ist darunter zu verstehen?

Da hatte ich längere Zeit eine Lücke zwischen Inszenierungen, und ich dachte, bevor ich zuhause sitze und Däumchen drehe – zuhause ist noch meine Wohnung in Saarbrücken und die gemeinsame Wohnung mit meinem Mann in Frankfurt, der dort als Wirtschaftsingenieur beruflich gebunden ist – , habe ich dieses Studium gemacht. Und das konnte ich sehr gut brauchen, als ich 2010 mit meinem Freund Peter Bernhard das Festival Schenkenberg in der Schweiz gegründet habe, und jetzt natürlich auch für die Arbeit in Nordhausen. Aber ich habe einige Zeit Coaching für junge Sänger gemacht – ich hatte ja selbst von der Abiturzeit an acht Jahre lang Gesangsunterricht bei einer Gesangspädagogin, nicht, weil ich selbst auf der Bühne stehen wollte, der Mensch bin ich nicht, sondern weil ich wissen wollte, wie dieser „Apparat“ funktioniert und um meine Ohren zu schulen. Und wenn da eine Sängerin Anfang 20 kommt und die Konstanze vorsingen will, für die sie viel, viel zu jung ist, dann sagt man ihr – und ich kenne die Vorsingen ja von der „anderen Seite“ – , was sie lieber nicht wählen sollte. Und wie sie sich präsentieren soll. Und ich arbeite mit Sängern auch an einzelnen Arien – eine Agatha-Arie „auseinander zu nehmen“, damit ist man stundenlang beschäftigt. Man muss sie auch das „aktive Zuhören“ lehren und vieles mehr. Aber jetzt, als Operndirektorin in Nordhausen, werde ich dafür wohl keine Zeit mehr haben, man muss das ja auch seriös vertreten können.

Nun werden Sie nach der Badener Premiere nach Nordhausen gehen und dort Ihre Stelle als „Operndirektorin“ antreten. Das ist für Sie neu und vermutlich entsprechend spannend.

Thüringen ist ein sehr heikler Standort, es ist kein reiches Bundesland, es gibt wenig Geld, man muss immer neu darum kämpfen, es wird viel fusioniert, das Schauspiel bezieht Nordhausen schon lange aus Rudolstadt. Unsere Vorgänger haben zehn Jahre lang hervorragende Arbeit geleistet und das Publikum sehr ans Haus gebunden, also lastet auf uns die Verantwortung, so erfolgreich weiter zu machen. Nordhausen hat eben die Sparte Musiktheater, also Oper, Operette, dazu Musical und Ballett, wobei die Operette in der nächsten Saison eine „spanische“, also eine Zarzuela sein wird. Ich inszeniere selbst drei Stücke von sechs Musiktheaterpremieren, „La Boheme“, „Salome“ – da gibt es Blut auf der Bühne! – und im Sommer als Freilichtvorstellung bei den Schlossfestspielen Sondershausen „Zar und Zimmermann“, zusätzlich gibt es zwei Musicals und zwei große Ballettpremieren. Wir haben auch einen hervorragenden Jugendclub und sehr reichhaltiges Jugendtheater. Wir haben für die nächste Spielzeit den für die Abonnenten sehr bewährten Rhythmus beibehalten, mit einem Theaterfest zu Beginn, einer Operngala mit Ausschnitten aus den Premieren, der ersten Opernpremiere Mitte September und so weiter.

Wie groß sind Ihre Möglichkeiten im Opernrepertoire, wie hoch können Sie in der Werkwahl gehen?

Nun, wir machen heuer „Salome“, wir haben ein sehr gutes Hausensemble von acht Sängern in den nötigen Stimmlagen, mit denen man viel besetzen kann, aber man muss natürlich finanziell aufpassen, dass eine Produktion nicht zu viele Gäste braucht. Wir können uns natürlich keine Weltstars leisten, aber es ist sehr schön, mit jungen Sängern zu arbeiten. Wir werden sicher in Richtung Puccini gehen, eventuell einen Verdi, was eben möglich ist.

Sie „dürfen“ nebenbei noch als freie Regisseurin arbeiten. Da wäre doch, was Österreich betrifft, nach Innsbruck und Baden und gemäß ihrem Ruf als Spezialistin für die „leichte Muse“, die es auf der Bühne gerne opulent und üppig, fröhlich und bunt hat, der nächste logische Schritt die Volksoper in Wien. Könnten Sie sich das vorstellen?

Und wie! In Wien zu arbeiten, wäre natürlich herrlich.

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Foto: Herta Haider

 

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