Interview mit Andreas Scholl am 3. März 2013 im Theater-Hotel Teufelhof Basel
PH: Sie kommen heute von einem „Wanderer-Konzert“ aus Istanbul zurück. Wie haben Sie sich als Künstler aus einem anderen Kultur/Sprachkreis dort gefühlt.
Ich glaub ich war vor 10 Jahren zum ersten Mal in Istanbul für ein Recital und hab jetzt in diesem Saal schon einige gesungen. Die Frage, wie das Publikum reagiert, stellt sich natürlich nur einmal. Wenn man ein fachkundiges Publikum sieht, einen ausverkauften Saal vor sich hat, weiss man, dass man gut aufgenommen wird. Dies war sehr wohl der Fall, auch dieses Mal!
Andreas Scholl, Sie haben eine Beziehung zum Theater Basel, zu Basel ganz allgemein. Ich habe den Eindruck,
dass Sie sich auf das Konzert morgen hier in unserem Haus freuen.
Sicher! Meine Frau (Tamar Halperin) und ich freuen uns, sind aber wahnsinnig nervös, weil natürlich der ganze Freundeskreis, inklusive Studenten von der Hochschule dasitzen.
Was ist für Sie das Besondere an Basel, am Theater Basel?
Mein selbstständiges Leben hat in Basel begonnen. Basel war für mich erst mal eine Metropole mit Theater, Konzert, Schauspiel – wie Paris, wie London. Wenn man aus einem 4000 Seelendorf kommt ist das unglaublich spannend. Ich habe 1987 mein Studium an der Schola Cantorum Basiliensis begonnen. Die Schola ist eigentlich etwas Besonderes in Basel. Ich finde es schade, dass nur wenige Basler wissen, was für einen Stellenwert in der Musikwelt die Schola hat. Dies gilt natürlich ebenso für die Stiftung von Paul Sacher.
Sie singen im Konzert keine Barockwerke, sondern meines Wissens das erste Mal ein Programm mit Liedgut aus dem 18./19. Jh. also eher aus der Zeit der Romantik. Wieso?
Als Student hat mich das romantische Repertoire nie gereizt, weil ich es im Gegensatz zum Repertoire aus der Barockzeit immer ein bisschen zu gekünstelt empfunden hatte. Daher spezialisierte ich mich auf Werke aus dem Barock. Jeder Sänger sollte sich folgende Fragen stellen: Wer bin ich? Was geschieht vor und nach dem Vortrag eines Liedes? An wen richte ich mich, wo geht meine Energie hin? Das aber sind die gleichen Fragen, welche ich mir auch sonst bei jedem Werk stellen muss. Nach über 20 Jahren wage ich eine Ausweitung hin zu Werken aus der Romantik. Diese Erweiterung ist – so glaube ich, ein Bestreben eines jeden Musikers. Ab einem gewissen Punkt zitiert man sich immer wieder selbst. Diese Neuausrichtung, diese Expansion, ist auch spannend. Natürlich singe ich auch gerne wieder die Johannes Passion, das ist gar keine Frage. Ich finde dies auch nie langweilig. Aber so einmal im Jahr suche ich immer ein Projekt, das ausserhalb liegt, um neues Territorium zu erkunden. So auch mein Bestreben mit diesem Programm.
Die Darbietung von Liedern aus der Romantik erscheint mir oft wie barocke Architektur. Ihre Interpretation, ohne Pathos, mit viel menschlicher Wärme, sehe ich mehr als gotische Architektur. Ist dies nun Andreas Scholl, ist dies Countertenor oder beides zusammen?
Es ist mein individueller Zugang, es sind meine Vorstellungen wie ich diese Lieder sehe. Die Interpretation ist eine Kombination aus den eigenen Vorstellungen und der Frage: Wie, was steckt in mir drin um diese Vorstellung auszudrücken. Es ist wichtig, dass eine Interpretation, besonders die vom Üblichen abweichende, immer motiviert ist. Nur wenn ich selbst eine klare Vorstellung habe, darf ich erwarten, dass das Publikum meine Auffassung teilt oder zumindest nachvollziehen kann. Wenn ich nur die Partitur aufschlage, singe und noch ein bisschen die Manierismen, die Vorgaben von berühmten Sängern dazugebe, dann fehlt etwas, fehlt viel. Ihr Vergleich mit der Architektur ist ein sehr schönes Bild. Aber, ich glaube, dass die barocken Elemente, die Ornamente, Verzierungen an sich nicht nur leere Formeln sind. Im richtigen Moment, mit der richtigen Absicht angewendet, können diese Ausschmückungen etwas vertiefen oder deutlicher machen, hervorheben.
Die von Ihnen ausgewählt Werke wurden ursprünglich für einen wesentlich intimeren Rahmen geschaffen. Nun ist das Basler Theater nicht unbedingt intim. Die Bühne, das Auditorium selber ist gross. Wie fühlen Sie sich auf dieser Bühne?
Die Herausforderung besteht darin, den Saal schrumpfen zu lassen, einen grossen Saal klein erscheinen zu lassen. Im Lauf der Jahre an Extrembeispielen hab ich gelernt, dass das funktioniert, z. B. in der Royal Albert Hall mit 6000 Leute wenn die voll ist. Anthony Rooley, ein Lehrer an der Schola, spricht vom“ Holy Space“. Er sagt: `Wir erzeugen den Ort in dem die Musik stattfindet. Das kann hier im Restaurant Teufelhof sein, das kann in einem schönen Konzertsaal ebenso wie in einer hässlichen Umgebung sein. Unsere Körpersprache, unsere mentale Energie suggeriert dem Publikum viele Dinge, unter Umständen eben auch die Raumgrösse, den intimen Rahmen. Zunächst wenn ich durch mein Auftreten zum Anfang des Konzertes Ruhe einkehren lassen. Es gibt immer noch bisschen Geraschel, es setzt sich noch jemand, redet. Man schaut ins Publikum und wartet. Irgendwann kapiert der ganze Saal: Der Scholl fängt nicht, an bis wirklich Ruhe ist. Und wenn ein Konzert, ein Liederabend in einer völligen Stille beginnt, ist der Ton schon gesetzt. Von da an kann sich etwas entfalten.
Wann können wir Sie hier in Basel, auf der Bühne, in einer Opernproduktion sehen, am liebsten mit einer Besetzung wie in Salzburger Julius Cäsar im Mai 2012 (Cecilia Bartoli, Anne-Sophie von Otter, Andreas Scholl, Philippe Jarousski, Christophe Dumaux und Jochen Kowalski)
Die Agentur hatte schon Kontakte mit dem Theater Basel. Ich würde mich sehr freuen, eine Opernproduktion in Basel zu machen. Ich fühle hier mich nicht fremd. Hier, Nach 20 Jahren in Basel, bis 2008, ist Basel für mich wie eine zweite Heimat. Hier in Basel könnte ich locker acht Wochen verbringen, etwas das ich in fremden Städten eher als mühsam empfinde. Mit dem Zug sind es nur drei Stunden bis Mainz oder Frankfurt und dann bin ich fast Zuhause. Also das wäre natürlich ne tolle Sache. Das würde ich sehr gerne
machen, ja.
MH: Da bleibt die grosse Hoffnung, dass wir Sie dann mal auch, eben als…was denn hören können?
Also ich würde sehr gerne mal hier eine Opernproduktion singen. Georges Delnon hat mir sogar ein E-mail geschrieben, er kommt ja morgen ins Konzert. Wir planen eine Produktion mit der Choreografin Kathrin Abask. Noch ist dieses Projekt nur in Planung. Vorgesehen ist eine szenische Sache machen mit dem Gamben-Consort, Musik und Tanz. Es ist heutzutage ganz schwierig solch neue Projekte zu lancieren. Es funktioniert eigentlich nur wenn mehrere Veranstalter daran interessiert und bereit sind, dies als Co-Produktion zu machen. Ein Veranstalter hat immer Angst, sich mit so was aus dem Fenster zu lehnen. Na ja ich bin mal gespannt, vielleicht wird das Projekt Wirklichkeit.
Sie sind als Opernsänger in eine Produktion eingebunden. zu tun. Oft wird auf der Bühne provoziert und alles wird neu erfunden. Das Publikum wird unruhig! Wie bewältigen Sie so einen Abend?
Das Singen in einer umstrittenen Inszenierung ist eine grosse Herausforderung und es erschwert die Arbeit der Sänger und Sängerinnen ungemein. Bei Julius Cäsar in Salzburg hatte ich Glück, obgleich ich nicht das Gefühl hatte, dass mein Julius Cäsar besonders ernst genommen wurde. Er wurde als Karikatur inszeniert. Dies war eine Idee des Regisseurs welche ich nicht unbedingt teile. In der Barock Oper haben die Personen Tiefgang. Natürlich gibt es auch komische Momente. Doch ist Cäsar kein Berlusconi, wie in Salzburg dargestellt. Als Sänger habe ich zur Inszenierung kein Mitspracherecht. Ich werde angefragt, ob ich in Salzburg Julius Cäsar singen möchte und sage zu. Ein Vertrag wird unterschrieben ohne dass ich eine Idee habe, was mich erwartet. Nachdem uns, meinen Kollegen und Kolleginnen, das Konzept des Regisseurs unterbreitet und erklärt wurde, konnten wir die ungewöhnlichen Ideen nachvollziehen. Es kann, das ist meine persönliche Meinung, Gesellschaftskritik geübt werden, auch Kritik am Publikum im Saal. Wenn diese Kritik übertrieben, überzeichnet wird, dann kommt sie nicht mehr an. Genau wie Michael Moore`s wichtige Filme, welche so polemisch sind, dass das Publikum abschaltet.
Zu kontrovers, das Alles kennen wir zur Genüge. Wenn jetzt die Salzburger Festival Gesellschaft kritisiert wird, muss dies auf eine Art und Weise geschehen, dass die Leute aufmerksam bleiben. Mein ehemaliger Schwiegervater sass da und sagte: `Ich habe die Augen zugemacht und die Musik genossen.` Gesellschaftskritik darf und muss sein. Sie soll so subtil sein, dass sie ankommt und nicht einfach zurückgewiesen, ja nicht einmal zur Kenntnis genommen wird. Wenn von der Mehrheit im Saal die Handlung des Werks nicht mehr verstanden wird, verliert der Regisseur sein Publikum. Die Aufgabe der SängerInnen wird um ein Vielfaches erschwert. Sie spüren, dass die Musik, der Gesang akzeptiert wird, das Szenische jedoch nicht überzeugt. Die Sänger werden nicht bestraft und es gibt Szenenapplaus.
Natürlich ist es schwieriger, einen unsympathischen Cäsar zu spielen und dem Publikum trotzdem zu gefallen. Ich habe mich als Julius Cäsar in zwei anderen Produktionen besser gefühlt. Da spielte ich den Charakter in all seinen Schattierungen: Ein bisschen derb, auch verunsichert, ich verliere dann alles und stelle alles in Frage und gewinne am Schluss Weisheit. Diese Thematik findet sich in allen Opern von Händel: die Entwicklung vom unvollständigen zum vollständigen Menschen durch Herausforderungen. Menschen
die sich der Geschichte stellen. Das ist die Tradition des griechischen Theaters. Der Zuschauer soll mitleiden. Wenn durch das Bühnengeschehen dieses Mitleiden nicht mehr möglich ist, das Publikum blockiert wird, müssen sich Sänger/Sängerinnen aufs Letzte verausgaben, um zumindest die Musik zu retten.
Und dann je nach dem vor einem halbleeren Haus!
Bei einem Festspiel wie Salzburg ist das zum Glück kein Thema, da ist der Andrang nach wie vor gross. Wenn solche Produktionen aber in kleinerem Rahmen, in einem Theater aufgeführt werden, dann machen die negativen Kritiken sich sehr schnell bemerkbar. Nikolaus Lehnhoffs Inszenierung der Zauberflöte in Wiesbaden, damals mit Cheryl Studer als Pamina, wurde mit Demonstrationen und Buuh – Rufen bedacht. Am Ende war dies eine der Inszenierungen, welche über Jahre hinweg immer ausverkauft waren. Regie, Bühnenbilder, Interpretation usw., all dies kann eine Gratwanderung sein. Aber ich muss mich beim Publikum nicht anbiedern und mein Hauptaugenmerk darf nicht sein, Allen zu gefallen. Übertreiben, darf ich nicht sonst erreiche ich mein gesetztes Ziel nicht und ich verliere man einen Teil der Zuschauer und meine Botschaft geht ins Leere.
PH:
Sind Sie der Meinung, dass, auch wenn die Inszenierung, das Bühnenbild zu Kritik Anlass gibt, der Sänger immer
sein Bestes geben muss?
Unbedingt! Das schulden wir dem Komponisten, dem Orchester und allen Mitwirkenden. Jeder gibt sein Maximum, muss sein Maximum geben und darf sich nicht in seiner Bühnenpräsenz von dem distanzieren, was der Regisseur mit dem ganzen Team erarbeitet hat. Der Regisseur in Salzburg war ein super Regisseur. Ich hab gerne mit ihm gearbeitet. Ich hab unglaublich viel von dem gelernt. Aber zum Endergebnis darf ich, auch ohne Regisseur zu sein, meine persönliche Meinung haben. Ich kann mir vorstellen, dass Regie führen sehr schwierig ist. Es hat grosse Freude gemacht mit diesen tollen Kollegen zu arbeiten, aber in der Inszenierung, so meine Auffassung, wurden die Charaktere nicht ernst genommen. Francisco Negrin, der Regisseur von Julius Cäsar in Kopenhagen erklärt: `Der Fehler ist oft dass ein Regisseur ein Barock Libretto links liegen lässt und etwas Neues aufbaut. Bei genauem Hinschauen aber findet sich immer eine interessante Idee dahinter. Und das wird dann die Herausforderung, die zu bewältigen ist. Da werden Charaktereigenschaften in Frage gestellt, ist der Akilla der Bösewicht, der im letzten Moment noch bereut und stirbt. Hat der Tolomeo verschiedene Chancen gut zu sein, schafft es aber trotzdem nicht, er wird niedergemacht. Ist Cäsar der Stratege, ein bisschen Macho, dem die weibliche Komponente fehlt. Cleopatra ist verwöhnt, aber Regentin eines Landes. Ihr fehlt was der Cäsar hat. Und diese zwei zusammen ergänzen sich zu vollständigeren Menschen. Das Schlussduett steht für die Vereinigung dieser Elemente. Dieses Duett steht nicht nur für Party, für Happy End, sondern ist die Auflösung da. Sesto wird vom Jungen zum Mann. Jeder durchschreitet eine Entwicklung und die findet sich im Libretto. Wenn ein Regisseur von vorne herein alle Barock Libretti als schwach ablehnt, verpasse er sicher wichtige Chancen`.
MH: Haben Sie sich schon mal überlegt, auch Regie zu führen?
Nein, Nein! Ich hab jetzt am Wochenende zum zweiten Mal dirigiert. Ein Barock Orchester und einen Chor. Das hat mir sehr viel Freude gemacht und da ist meine persönlich Erfahrung als Sänger von Bachkantaten gross genug. Es waren, davon bin ich überzeugt, zwei erfolgreiche Konzerte. Aber: `Schuster bleib bei deinen Leisten`. Dirigieren sind zwar etwas neuere Leisten, aber die haben doch mit meinem Beruf zu tun. Ich bin einfach kein Operntier. Um den Wechsel in die Regie zu vollziehen, müsste ich ein viel erfahrener Opernsänger sein. Ideen haben wir alle, aber da muss ich mich realistisch einschätzen.
Wie lassen Sie sich durch Kritiken beeinflussen?
Das ist ein sehr schwieriges Thema. Zum Thema Kritiken gefragt sagte der Dirigent von Les Violons du Rois aus Quebec, Banalaride, Folgendes: `Einmal im Jahr, zur Weihnachtszeit, geben in Quebec Kritiker für Musiker ein Konzert. Da stehen oder sitzen alle die Musikkritiker auf der Bühne und spielen was. Es geht nicht um Häme und Schadenfreude. Banalride sagt, das hilft uns, den Musikern sehr. Ich singe etwa 40 Konzerte im Jahr. Ich zitiere Renée Fleming: `An fünf oder sechs Tagen im Jahr bin ich stimmlich in Hochform, leider hab ich dann meistens kein Konzert`. So geht es mir auch.
Die momentane Leistung ist so schwer zu bewerten, weil das persönliche Befinden eine Rolle spielt. Wenn ich leicht indisponiert bin, kann ich das natürlich ankünden. Aber? Nimmt der Kritiker darauf Rücksicht, hat das Publikum dafür Verständnis. Auch kann aus dieser Situation etwas Besonderes entstehen. Man ist auf der Bühne erst unsicher, dann entwickelt sich aber etwas Besonderes. Mit leicht angeschlagener Stimme muss ich an anderen Dingen arbeiten und daraus kann etwas musikalisch Schönes werden.
Kritiken erwähnen oft was nicht optimal war. Der Sänger, die Sängerin wird verglichen mit der CD-Aufnahme: Aha, da wird an einer Stelle mehr Luft genommen, ein Ton ist nicht ganz sauber und da wackelt die Kadenz. Das Publikum aber geht aus anderen Gründen ins Konzert. Das kollektive Erlebnis wird wichtig. Da hab ich auch als Zuschauer im Konzert gesessen, wie bei einem Abend mit Renèe Fleming in der Carnegie Hall und war zu Tränen gerührt. Die Kritik vermerkte, dass die Fleming einen kalt gelassen habe. Natürlich sind dies höchst persönliche Eindrücke. Wir gehen in ein Konzert mit einer Absicht uns zu freuen und dann freuen wir uns. Der Vergleich mit Tonträgern macht Live Auftritte ist für Sänger und Sängerin schwierig. Und wir alle würden natürlich am liebsten sagen, wir lesen keine Kritiken. Mir hat mal jemand gesagt, `ich lese die Guten und die Schlechten nehme ich gar nicht zur Kenntnis`.
Renèe Fleming hat einen persönlichen Assistenten. Der gibt ihr nur die guten Kritiken. Und das ist auch irgendwie richtig! Viele Musiker sind sensible, verletzliche Wesen, welche besondere Emotionen beim Publikum wecken können. Die sind dann im Feedback empfindlicher. Ich gebe gerne zu, dass ich mich auch über manche Kritik geärgert habe aber dies kommt zum Glück selten vor. Und wenn ich selbst der Meinung bin, dass ich an diesem Abend nicht gut war, ist auch der Verriss akzeptabel.
Kritik muss auch fair sein, der Ton sollte stimmen.
Wenn in einer Kritik steht: Der Scholl singt jetzt schon seit 20 Jahren und man hört das Alter. Es klingt nicht mehr so frisch, so klar wie vor 20 Jahren. Dies verletzt und ist das nicht fair.
Um eine schlüssige Beurteilung zu machen müsste mich dieser Kritiker über mehrere Konzerte begleiten. Und dann, nach zehn Konzerten z.B. kann er feststellen: Insgesamt ist es noch so wie früher, natürlich ist die Stimme ist reifer als vor 20 Jahren. Es ist doch so: Wir alle, Künstler oder Nichtkünstler, haben Formschwankungen. Auch persönliche Erlebnisse oder Schicksale von Freunden beeinträchtigen unser Können. Heute nach unserer Ankunft in Basel erhalten wir die Nachricht, dass ein sehr guter Freund in Australien gestorben ist und so was hat einen Einfluss auf unsere Emotionen. Und dann steht man auf der Bühne und muss trotzdem fröhliche Barock Lieder singen. Zum Glück gibt’s solche extremen Momente nicht allzu oft.
In Kopenhagen bei der Opernproduktion Julius Cäsar hab ich ne allergische Reaktion auf einen Schimmelpilz gehabt. Bei Probenbeginn hab ich mich wohl gefühlt, hab mich gefreut. Mit jedem Tag näher der Premiere hatte ich weniger Stimme. Und dann auf: von einem Spezialisten zum anderen keiner weiss so richtig was zu tun ist! Die Premiere singe ich im angeschlagenen Zustand. Eine Journalistin, die ich eigentlich ganz gut kenne, schreibt dann, ohne Rückfrage, in der Financial Times: Counter Tenöre sind halt nicht so haltbar, nun hat es wohl auch Andreas Scholl erwischt. Das war vor ungefähr acht Jahren wurde damit mein Karrieren Ende in der Financial Times verkündet. Da das macht einen schon fertig. Ein guter Sänger gibt er immer 100 %, er gibt alles, vielleicht sind die 100% nicht immer gleich viel. Ich singe die Johannes Passion: `Es ist vollbracht! Ich habe Gänsehaut, auch beim zweiten Mal noch dieselben Gefühle, aber beim dritten Konzert auf der Tournee sind diese nicht mehr so stark, die Emotionen! Und auf einer Tournee von sieben Konzerten wird natürlich immer das Eine oder Andere hervorstechen. Aber ich muss auch mit den anderen Konzerten
leben. Ich hoffe, dass das morgige Konzert in Basel einer der sehr guten Auftritte wird.
Davon sind wir überzeugt und freuen uns auf den morgigen Abend. Vielen Dank für dieses Gespräch.
Peter Heuberger (PH), Michael Hug (MH) Basel